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Schweizer Waffen im syrischen Pulverfass

03.07.2012 |  Von  |  News

Syrische Rebellen kämpfen auch mit Schweizer Waffen. Das enthüllten Recherchen der SonntagsZeitung. Die zuständigen Stellen in der Schweiz können sich den skandalösen Fund nicht erklären. Hiesige Politiker zeigen sich erstaunt und besorgt. Dabei ist eine Menge Scheinheiligkeit im Spiel.

Konkret geht es um Granaten vom Typ Offensive OHG92 und SM 6-03-1, hergestellt vom bundeseigenen Rüstungsbetrieb Ruag in Bern. Ein Reporter, der die Rebellen im Kampfgebiet begleitet, entdeckte und fotografierte die Waffen am Donnerstag in der syrischen Ortschaft Marea. Auch eine weitere Quelle belegt gemäss der SonntagsZeitung, dass die Freie Syrische Armee (FSA) mit Schweizer Waffen kämpft. Diese seien möglicherweise über die Türkei ins Land geschmuggelt worden. Zuletzt hatte Katar die Rebellen in Libyen mit Schweizer Waffen versorgt.

„Es ist fatal, dass wir Waffen in das Pulverfass im Nahen und Mittleren Osten exportieren“, kommentierte der grüne Nationalrat und Aussenpolitiker Geri Müller (AG). „Wie man sieht, gibt es keine Gewähr, dass das Material rechtmässig eingestzt wird.“ Er möchte das Thema bei der Sitzung der Aussenpolitischen Kommission (APK) ansprechen – genau wie der APK-Präsident und SVP-Nationalrat Andreas Aebi (BE). „Es ist eine Katastrophe, dass Schweizer Waffen in Syrien eingesetzt werden“, kritisierte auch die SP-Nationalrätin Chantal Galladé (ZH), Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK). „Die Bestimmungen müssen verschärft werden.“

Nationalrat lehnte Vorstoss zum Waffenexport-Verbot ab

Dass Schweizer Waffen über Drittstaaten leicht in Kriegsgebiete gelangen können und dabei auch unterschriebene Nichtwiederausfuhr-Erklärungen nicht helfen, war natürlich längst vorher bekannt. Die einzige wirksame Massnahme, um den Einsatz von Schweizer Waffen im Pulverfass des Nahen und Mittleren Ostens zu unterbinden, bestünde darin, Waffenlieferungen dorthin komplett zu verbieten. Einen solchen Vorstoss hat der Grüne-Vizepräsident und Alt-Nationalrat Jo Lang mit der Petition „Sofortiger Stopp aller Kriegsmaterialexporte in den arabischen Raum“ bereits gemacht. Doch siehe da: Der Vorstoss wurde am 3. Mai 2012 vom Nationalrat mit 101 zu 54 Stimmen gekippt.

Nationalrat Geri Müller hatte damals in der Debatte eindringlich für die Annahme der Petition geworben und vor genau der Situation gewarnt, die jetzt scheinheilig beklagt wird: „Es ist uns ganz klar, und wir wissen es, dass die Situation in diesen Gebieten, auch wenn zum Teil noch kein sogenannter Kriegszustand herrscht, extrem explosiv ist. … Deshalb einfach diese generelle Forderung: Schluss, aus – es ist nicht nötig, dass die Schweiz dorthin Waffen liefert. … Deshalb fordern wir nun mit dieser Motion, dass wir keine Waffen mehr liefern.

Das heisst, wir gehen über das Kriegsmaterialgesetz hinaus. Das Parlament möchte nicht – ich bin überzeugt: in Abstimmung mit dem Schweizervolk -, dass unsere Waffen morgen oder meinetwegen übermorgen irgendwo zum Einsatz gelangen. Deshalb bitte ich das Parlament, das Heft in die Hand zu nehmen, diese Exporte zu stoppen und zu sagen: Wir wollen, über das Kriegsmaterialgesetz hinaus, eine bestimmte Region, die heute brennt, nicht weiter mit Waffen beliefern, auch wenn uns weiss Gott zugesagt wird, dass die Waffen nicht verwendet werden.“

„Waffenexporte sichern Schweizer Arbeitsplätze“

Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann konterte darauf mit dem Argument, dass Waffenexporte gut für die Arbeitsplätze und den Erhalt der Technologiebasis seien: „Ich habe sogar Verständnis für Sie, zumal das Produkt eigentlich nicht ein besonders sympathisches Produkt ist, ein Produkt aber, das auf der Welt nun einmal eine Nachfrage hat. Es hat mit Technologie zu tun, und wir haben – das betone ich noch einmal, auch wenn das vielleicht nicht sympathisch tönt – in diesem Land ein Interesse, die Technologiebasis für unsere Unabhängigkeit und auch für unsere Arbeitsplätze zu erhalten. So gesehen ist mir wohl, wenn ich weiss, wie sorgfältig und wie restriktiv wir mit den Vorschriften umgehen.“

Also, vielleicht muss man den jüngsten Vorfall einfach mal positiv sehen (Achtung Zynismus!): Dass syrische Rebellen mit Schweizer Handgranaten schmeissen und für ein blutiges Anheizen des Konflikts sorgen, sichert Schweizer Arbeitsplätze und fördert die Nachfrage nach hiesigen „Technologie-Produkten“. Da darf man dann auch nicht so kleinlich sein und es kritisieren, wenn Waffen genau zu dem Zweck eingesetzt werden, zu dem sie konstruiert wurden. Oder?

 

Zum Thema Syrien siehe im Blog auch:

 

Quelle: www.sonntagszeitung.ch
Oberstes Bild: © Fer Gregory – shutterstock.com