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Beinverlängerungen: Höllenqualen für die Wunschfigur

29.02.2012 |  Von  |  Beitrag

Der grassierende Schönheitswahn treibt mitunter absurde Blüten. So erschreckt der folgende Trend: Eine buchstäblich wachsende Zahl von Menschen lässt sich operativ die Beine strecken, bloss um nachher ein paar Zentimenter grösser zu sein.

Beliebt sind künstliche Beinverlängerungen vor allem bei Russinnen, Chinesinnen und Japanerinnen. Durch längere Beine erhoffen sich die Frauen höhere Jobchancen und grösseren Erfolg bei der Männerwelt. Aber auch immer mehr Männer wollen künstlich an Körpergrösse zulegen und nehmen dafür Qualen und hohe Risiken in Kauf, wie eine Entwicklung in den USA zeigt.

Im Internet sorgt aktuell der Fall eines 37-jährigen Mannes aus New York für Aufsehen. Apotheosis, so sein Pseudonym, war ursprünglich 1,67 cm gross. Zu klein, wie er fand. Er entschied sich dazu, seine beiden Beine im Lauf einer kostspieligen und schmerzhaften operativen Prozedur um ganze 15 cm verlängern zu lassen. Ärzte wandten dazu eine neue Methode an.

Neues Verfahren: Marknagel im Knochen

Dabei wird zunächst der Ober- bzw. Unterschenkelknochen durchtrennt. Zwischen den Knochen wird ein Marknagel – ein so genannter Intramedullary Skeletal Kinetic Distractor (ISKD) – implantiert. Der Abstand zwischen den Knochen wird täglich um 1 Millimeter vergrössert. Im Spalt bildet sich allmählich neuer Knochen. Zusätzlich wird das Längenwachstum durch einen Magnetsensor überwacht. Innerhalb von drei Monaten kann das Bein auf diese Weise um 5 bis 10 cm wachsen. Der gebildete Knochen ist aber noch zu weich. Daher muss der Verlängerungsnagel noch 1,5 bis 2 Jahre getragen werden, damit der Knochen stabil wird.

Im Gegensatz zu früheren Verfahren, bei denen äussere Gestelle die Haut durchdrangen, wird zwar ein Infektionsrisiko durch offene Wunden vermieden. Dennoch ist die Operation alles andere als risikolos. Vor allem ist die ganze Prozedur beschwerlich und mit Schmerzen verbunden. Der qualvolle Heilungsprozess dauert Monate und muss durch physiotherapeutische Massnahmen unterstützt werden. Und diese Tortur nehmen Menschen allein für die „Schönheit“ auf sich?!

Operationsmesser soll mangelndes Selbstbewusstsein beheben

Unproblematisch sieht dies der US-Chirurg Dror Paley, der am Paley Institut in der St. Mary’s Klinik in Florida arbeitet. 650 Beinverlängerungen hat er im letzten Jahr durchgeführt. Die meisten Patienten behandelt er zwar aus medizinischen Gründen, etwa wegen schwerer Deformierungen, aber einen Teil auch allein der Kosmetik halber.

„Die Mehrheit der Patienten, die aus kosmetischen Gründen kommen, leidet an einer so genannten Grössen-Dysphorie. Diese Menschen sind mit ihrer Grösse einfach unglücklich“, so Paley zu ABC-News. Psychotherapien könnten dabei kaum helfen – der Chirurg möchte das Problem lieber auf seine Art lösen. „Es ist eine der wenigen psychischen Störungen, die man mit dem Operationsmesser heilen kann“, meint Paley.

Beinverlängerungen auch in der Schweiz und in Deutschland

Die neue Methode der Beinverlängerung wird auch in der Schweiz praktiziert. In den Kantonsspitälern St. Gallen und Luzern bekamen Patienten bereits solche Distraktionsnägel (ISKD) eingesetzt – allerdings aus medizinischen Gründen.

Auf Beinverlängerungen spezialisiert hat sich das Beinverlängerungszentrum München (ZEM) unter der Leitung von Professor Rainer Baumgart, der sein Verfahren „Fitbone®“ nennt. Auch Baumgart behandelt mehrheitlich Patienten aus medizinischen Gründen, allerdings nach eigener Auskunft ebenso gesunde Patienten, die sich einfach zu klein fühlen (siehe hierzu etwa die folgenden Berichte in „Galileo“ oder „Stern“).

Jenseits medizinischer Notwendigkeit

Tatsächlich können künstliche Beinverlängerungen medizinisch sinnvoll und für Betroffene sogar ein Segen sein. Menschen, die von Geburt an oder durch einen Unfall bedingt an einseitiger Beinverkürzung leiden, kann eine solche Operation helfen. Da sich durch einen Eingriff schädliche Belastungen von Wirbelsäule, Becken und Gelenken beseitigen lassen, kann vor einer Operation eine vernünftige Risikoabwägung vorgenommen werden.

Der gefährliche Unsinn beginnt dort, wo sich Menschen für eine beidseitige Beinverlängerung allein aus kosmetischen Gründen entscheiden. Kein seriöser Arzt wird hier mitspielen. Mit Schönheit hat all dies auch nichts mehr zu tun, zumal durch einen derartigen Eingriff die Proportionen des Körpers verletzt werden. Selbst wenn Menschen schliesslich mit künstlich verlängerten Beinen umherlaufen – sollten sie nicht schlimmstenfalls im Rollstuhl landen -, haben sie noch immer ein wesentliches Problem nicht gelöst: Für wahre Grösse kann nämlich kein Schönheitschirurg sorgen.

 

Titelbild: puhhha – shutterstock.com

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