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Hintergrund: Stirbt der Pazifik an Fukushimas Folgen?

21.04.2014 |  Von  |  Beitrag

„Der Ozean fühlte sich wie tot an.“ Mit dieser schaurigen Schilderung beschrieb der Weltumsegler Ivan Macfadyen den Pazifischen Ozean, als er das Meer im vergangenen Jahr von Japan aus überquerte. Der tierärmste aller Ozeane könnte bald zum tierlosen werden – darauf deuten einige Befunde hin.

Totenstille, verbleichende Schifflackierungen und „Meeres-Rotz“: etwas Unheimliches passiert im Pazifik, und es passiert sehr schnell. Schuld daran kann eigentlich nur Fukushima sein.

Der Pazifische Ozean deckt 47 Prozent der Erdoberfläche ab. Er gilt als der am wenigsten artenreiche aller Ozeane. Ein tierloser Pazifik scheint jedoch eher einem apokalyptischen Hollywood-Film als der Realität entsprungen zu sein. Und doch könnte das erschütternde Szenario jetzt Wirklichkeit werden.

Der australische Segler Ivan Macfadyen hat vor zehn Jahren schon einmal den Pazifik überquert und kann deswegen einen direkten Vergleich ziehen. Sein Fazit: „Nachdem wir Japan verliessen, fühlte sich der Ozean wie tot an.“ Es sei merkwürdig still gewesen, ausser den Wind- und Wellengeräuschen sei fast nichts zu hören gewesen – kein Kreischen der Seevögel, keine Fische, keine Delfine, keine Schildkröten. Dafür ein Wal mit einem grossen Tumor am Kopf und kilometerweise Müll, der offenbar von dem Tsunami im März 2011 von der japanischen Küste aufs Meer gespült wurde.

Noch etwas Merkwürdiges beobachtete Macfadyen. Die gelbe Aussenfarbe seines Fiberglas-Bootes verblasste auffällig stark während des Segeltörns. Dies war bei vorherigen Trips nie passiert. Offenbar befanden sich im Wasser aggressive Substanzen, die den Lack des Schiffes angriffen.

Beunruhigende ökologische Fakten

Dass die von Macfadyen subjektiv wahrgenommene Leblosigkeit des Pazifiks auch tatsächlich an einer reduzierten Biodiversität liegt, bestätigen Forscher des kalifornischen Meeresforschungsinstituts Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI). Sie beobachteten an ihrem 200 Kilometer vor der kalifornischen Küste gelegenen Forschungslabor „M“ eine dramatische Zunahme des sogenannten „Meeres-Rotzes“. Dieser besteht aus totem Plankton, toten gallertartigen Lebewesen wie Quallen und Medusen sowie dem Kot von Meerestieren. Während im Frühjahr 2012 nur ein Prozent des Meeresbodens rund um das Forschungslabor mit Meeres-Rotz bedeckt war, stieg dieser Anteil bis Juli 2012 auf sage und schreibe 98 Prozent. Das ist eine Verachtundneunzigfachung in nicht einmal vier Monaten!

Auch an anderen Stellen beobachten amerikanische Forscher Beunruhigendes. So werden an der US-Westküste immer häufiger Fische entdeckt, die aus Kiemen und Augäpfeln bluten und zudem radioaktiv belastet sind. 2013 starben an der Südküste Kaliforniens mehr junge Seelöwen als sonst üblich. Irgend etwas Schlimmes passiert im Pazifischen Ozean, das steht ausser Frage.

Fukushima – noch immer eine Strahlenschleuder

Und das Schlimme, bzw. dessen Ursache, hat einen Namen: Fukushima. Es kann als zweifelsfrei angesehen werden, dass die Havarie des Atomkraftwerks in Folge des Tsunamis für den gewaltigen Umsturz des pazifischen Ökosystems verantwortlich ist. Kein Wunder, bei den Mengen an Radioaktivität, die von Fukushima aus ins Meer gelangen: Jeden Tag (!) fliessen 300 Tonnen hochradioaktiv verseuchtes Kühlwasser in den Ozean. Zudem waschen starke Regenfälle in der Region Fukushima den radioaktiv verseuchten Boden aus und transportieren Isotope wie Cäsium 134 und Cäsium 137 in die Flüsse und dann ins Meer. Hierbei handelt es sich wohlgemerkt nicht um die Panikmache von grünen Atomgegnern, sondern um Erkenntnisse des französischen Institutes für Klima- und Umweltwissenschaften, kurz LSCE.

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Besonders hart dürfte es die US-Westküste treffen, die dem japanischen Kontinent direkt gegenüber liegt. Werden beispielsweise die San Francisco Bay Area und Vancouver Island zu Todeszonen? Darüber streiten sich die Experten. Fakt ist: Die US-Regierung hat im vergangenen Jahr 14 Millionen Jobtabletten bestellt. Das darin enthaltene Jod soll statt des radioaktiven Jod 137 in der Schilddrüse gebunden werden; andernfalls droht die dauerhafte Einlagerung eines radioaktiven Strahlers im Körper, was die Krebsgefahr erheblich steigert.

Gegen das Vergessen – für eine kontrollierte Energiewende

Fukushima – aus den Augen, aus dem Sinn? So ergeht es uns hierzulande, nachdem die Berichterstattung diesbezüglich relativ bald nach dem Reaktorunglück abebbte und zu einem leise dahinplätschernden Informationsstrom verkam. Dabei ist Fukushima, gemessen an seinen Umweltauswirkungen, wahrscheinlich noch katastrophaler als Tschernobyl. Doch die japanische Regierung sowie der Betreiber Tepco haben seit jeher eine Informationspolitik des Bagatellisierens betrieben, inzwischen sollen in Japan wieder neue Atommeiler gebaut werden – undenkbar, wäre die Katastrophe hierzulande geschehen.

Was bleibt, ist die Erkenntnis dass ein Ausstieg aus der Atomkraft sicherlich erstrebenswert ist. Schliesslich sind die Umweltfolgen eines Reaktorunfalls derart katastrophal, dass sie nicht als gelegentlicher „Kollateralschaden“ hingenommen werden können. Hier gilt es allerdings, in Bezug auf den Pazifik weitere Forschungen abzuwarten, um einen genaueren Kausalzusammenhang zwischen Radioaktivität und ökologischen Folgen zu ermitteln. Die Energiewende – in der Schweiz und auch in Deutschland nach Fukushima arg hastig in Angriff genommen, als hätte es Tschernobyl und Harrisburg nie gegeben – bleibt ein wichtiges Ziel. Von einem schnellen Totalverzicht auf AKWs sowie einer schnellen Restrukturierung sollte man allerdings nicht ausgehen  – die Umstellung kostet, und genauso lange, wie sich unsere Gesellschaft auf der bequemen Atomenergie ausgeruht hat, braucht es um sie ganz durch regenerative Energieformen zu ersetzen.

 

Titelbild: Evlakhov Valeriy – shutterstock.com[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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