Bundesrat empfiehlt lebenslanges Lernen – es bleibt offen, wie das gehen soll

Ein Kommentar zu zehn Jahre Berufsbildungsgesetz

In Hochglanzprospekten, in vollmundigen Reden und mit selten am wahren Leben orientierten Initiativen wird gerade jetzt, zehn Jahre nach der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes, ein lebenslanges Lernen als Erfolgsmodell der Schweizer Wirtschaft favorisiert. Die dazu notwendigen Reformen seien abgeschlossen, jetzt gehe es um die Umsetzung. Und gerade hier setzt meine Kritik an, die sich mit Bildungshaltungen auseinandersetzt, die weit an der Realität vorbeigehen.

Berufsbildungsgesetz mit Lücken

Nach der Jahrtausendwende war es wirklich höchste Zeit, für die Schweiz ein modernes und an den Gegebenheiten orientiertes Berufsbildungsgesetz aufzulegen, das einer fundierten Berufsausbildung einen gesetzlichen Rahmen gibt. Angesprochen wurden damit in erster Linie Erstauszubildende, Ausbildungsbetriebe und der gesellschaftliche Rahmen. Was sich erst nach und nach in hartnäckig erbetenen Reformen durchsetzte, war das Anliegen, auch die berufliche Fort- und Weiterbildung und die Umschulung auf einen gesicherten Sockel zu heben. Das allerdings scheint nur zum Teil gelungen.

Bis heute ist nicht klar geregelt, wie sich beispielsweise Migranten mit fehlender oder in der Schweiz nicht anerkannter Berufsausbildung im Schweizer Arbeitsmarkt integrieren können. Und zwar so integrieren, dass sie chancengleich und entsprechend ihrer beruflichen Bildung und Erfahrung auch adäquat beschäftigt werden können. Hier ist nämlich nicht nur die Bildungspolitik gefragt, und auch die Sonntagsreden der Politiker auf kantonaler und Bundesebene können nichts an den offensichtlichen Missständen in der Wirtschaft ändern. So zeigen sich auch zehn Jahre nach der Verabschiedung Lücken im Berufsbildungsgesetz, die nur mit gutem Willen nicht zu schliessen sind.


Bis heute ist nicht klar geregelt, wie sich beispielsweise Migranten mit fehlender oder in der Schweiz nicht anerkannter Berufsausbildung im Schweizer Arbeitsmarkt integrieren können. (Bild: Lisa S. / Shutterstock.com)
Bis heute ist nicht klar geregelt, wie sich beispielsweise Migranten mit fehlender oder in der Schweiz nicht anerkannter Berufsausbildung im Schweizer Arbeitsmarkt integrieren können. (Bild: Lisa S. / Shutterstock.com)


Auch die Jugend ist betroffen

Zwar wird der Berufsausbildung der Jugendlichen im Berufsausbildungsgesetz ein hoher Stellenwert eingeräumt. Echte Probleme sind aber auch hier nicht berücksichtigt. Was ist mit den älteren Jugendlichen, die aufgrund von Erziehungs- und Bildungsmängeln keine Berufsausbildung beginnen konnten und auch für heranführende Massnahmen nicht zu erreichen waren? Gern wird hier davon gesprochen, dass auch solche Menschen eine zweite Chance haben müssten. Wie aber sollen sie diese ohne eine ausreichende Grundausbildung wahrnehmen und: Wer soll das bezahlen?

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wann und wie mittlerweile Beschäftigte ohne berufliche Ausbildung diese nachholen sollen. Das erfordert letztlich eine Freistellung von der Arbeit, im Umkehrschluss den Verlust des Arbeitsplatzes. Dieser meist unter grossen Schwierigkeiten unter Lohnverzicht ergatterte und in der Regel einfache Arbeitsplatz ist aber der einzige Garant für ein halbwegs normales Leben. Er bietet zwar ein eher bescheidenes, aber dennoch festes Einkommen. Ich glaube nicht, dass der Staat jetzt die Berufsausbildung dieser Kandidaten startet und ihnen dafür ein Ersatzgehalt anbieten kann. Zumal der Erfolg solcher Bildungsmassnahmen ungewiss ist. Auch berufsbegleitende Ausbildungen klingen gut, funktionieren aber kaum, wenn der Arbeitsplatz nicht gefährdet werden soll. Dazu ist ein gesetzlich geregeltes Bildungssystem einfach zu träge und zu wenig flexibel.

Lebenslanges Lernen vom Bund gefordert, aber nicht gefördert

Interessant ist, dass jetzt auch die Bevölkerungsgruppe der 25- bis 65-Jährigen in den Fokus der sicherlich gutgemeinten Bildungsinitiativen rückt. Ausgelernt hat man wohl nie, aber was, wann, wo und wie Erwachsene lernen sollen, bleibt wieder offen. Geredet wird hier in erster Linie von Fort- und Weiterbildungen oder von abschlussorientierten Bildungsgängen für der Beruf. Also wird in erster Linie die Wirtschaft bedient. Selbstverständlich können auch die Bildungsteilnehmer von speziell geeigneten Bildungsgängen und erweiterten Abschlüssen karrieremässig profitieren. Das wird jedoch eher selten zutreffen.

Auch hier stellt sich die Frage, wann im Erwachsenenalter neben der Arbeit (möglichst in Vollbeschäftigung), Familie und gesellschaftlicher Einbindung gelernt werden soll. Und wiederum zeigt sich, dass die üblichen Arbeitgeber in aller Regel nicht bereit sind, Ihre Beschäftigten bei vollem Lohnausgleich für langwierige Bildungsmassnahmen freizustellen. Bereits die branchen- und berufsspezifischen Fort- und Weiterbildungen belasten viele, vor allem kleinere Arbeitgeber durch immens hohe Kosten. Und warum sollte ein Unternehmen eine Hilfskraft zur Schule entsenden, wenn diese im Betrieb genau das leistet, was von ihr erwartet wird?

Lernen muss sich am Leben orientieren

Ich habe hier einige Fragen aufgebracht, deren Beantwortung mir bei der Auseinandersetzung zwischen politischer und wirtschaftlicher Absicht und lebensnaher Realität zu kurz gekommen sind. Sicherlich wird es hier wieder keine adäquaten Antworten geben. Vor allem an den Kosten scheiden sich die Geister, selbst dann, wenn sie sich in der Sache selbst einig sind. Ich denke, man sollte beim lebenslangen Lernen nicht einfach nur an berufliche Qualifikationen und nachträgliche Abschlüsse denken. Vielmehr sollte es darum gehen, was Menschen für sich und ihr Leben auch im Alter noch lernen wollen und können.

Letztlich wird es nur wenige Arbeitnehmer jenseits der Fünfzig geben, die noch eine Berufsausbildung oder einen höheren Bildungsabschluss nachholen wollen. Wofür auch? Irgendwann hat sich fast jeder Mensch mit seinem Leben und den individuellen Möglichkeiten arrangiert. Dann sind es eher Wünsche und persönliche Interessen, die darüber bestimmen, was noch gelernt werden soll. Aber selbst davon können Unternehmen und Gesellschaft profitieren, wenn damit die persönliche Kompetenz der Menschen gestärkt wird. Da geht es weniger um abrufbereites und anwendbares Spezialwissen für den Beruf denn um kleinere Qualifikationen (auch für das Hobby), die den einzelnen Menschen in seiner Gesamtheit stärken können. Und dafür opfern viel Schweizer gern auch eigenes Geld und die eigene Zeit. Ganz ohne Berufsbildungsgesetz, ohne schöngefärbte Sonntagsreden und ohne verlockende Hochglanzblätter, die oft mehr versprechen, als sie halten können.

 

Oberstes Bild: © wallybird – Shutterstock.com

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