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Antibiotika: Segen oder Risiko?

04.11.2014 |  Von  |  Beitrag

Durch den breiten Einsatz des einstigen Wundermittels bilden sich zunehmend Resistenzen. Immer öfter versagt deshalb die Waffe im Kampf gegen Krankheiten. Gehen wir gar auf ein post-antibiotisches Zeitalter zu?

In den 1940er-Jahren brach mit dem Einzug des Penicillins in die medizinische Praxis eine neue Ära an. Vor allem die Erfolge gegen Staphylokokken, das sind die Erreger von Wundinfektionen, brachten dem Medikament den Ruf eines Wundermittels ein. Vielen Verwundeten des Zweiten Weltkriegs hat es das Leben gerettet.

Das neue Arzneimittel eroberte rasch die Medikamentenschränke unserer Haushalte. Die Entwicklung von immer neuen Formen etablierten wirkungsvolle Therapien gegen bakterielle Infektionen. Dem Penicillin ist es zu verdanken, dass viele einst gefürchtete Krankheiten heute hervorragend behandelbar sind. So gelang es alleine bei der bakteriellen Lungeninfektion, die Sterberate von 80 % auf 5 % zu senken.

Wo Licht, da auch Schatten

Penicillin ist das Selbstverteidigungsmittel von Pilzen gegen Bakterien. Diese Laune der Natur wird genutzt, um das menschliche Immunsystem gegen unerwünschte Eindringlinge zu unterstützen. Mittlerweile existieren aber bereits synthetisch hergestellte Antibiotikaklassen, die gegen unterschiedliche Krankheitserreger wirksam sind. Die Bakterien werden durch verschiedene Mechanismen getötet: Beispielsweise wird durch das Antibiotikum der Stoffwechsel des Erregers verändert, oder deren Zellwand wird aufgelöst. Allerdings sind die Bakterien nicht wehrlos. Durch die Veränderung der Oberfläche ihrer Hülle können sie sich unangreifbar machen – nicht eine bewusste Abwehr, sondern die Folge einer spontanen Mutation.

Wird das Antibiotikum zu niedrig dosiert oder zu kurz angewandt, bleibt am Ende eine grössere Anzahl jener Bakterien übrig, die gegen das Medikament unempfindlich sind. So steigt die Menge der immunen Krankheitserreger an. Ein beeindruckendes Beispiel: Staphylokokken, ursprünglich das erste Einsatzgebiet von Penicillin, sind in der Zwischenzeit zu 90 % gegen das Antibiotikum resistent. So hat das ehemalige Wundermittel immer häufiger keine Wirkung mehr. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht inzwischen sogar davon, dass wir auf ein post-antibiotisches Zeitalter zusteuern.

Fehlerhafte Anwendung

Dass sich die Resistenzen so rasch verbreiten, ist auch auf eine mangelhafte Verwendung der Medikamente zurückzuführen. Viel zu oft werden Antibiotika unnötigerweise eingenommen, und wenn sie erforderlich sind, in zu geringen Dosen. Idealerweise müsste die Arznei schlagartig sämtliche Krankheitsverursacher im Körper abtöten. Wenn das Mittel nicht lange genug eingenommen oder nicht hoch genug dosiert ist, haben die überlebenden Mikroorganismen Gelegenheit, sich einzustellen. Erinnern Sie sich an Darwin? Es bleiben nur die Erreger übrig, die sich anpassen. So entstehen Resistenzen, die sich in der Folge ungehindert vermehren. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ausserdem ergeben, dass Bakterien untereinander kommunizieren, in dem sie einzelne Gene, und damit auch die Resistenzen, an andere weitergeben.


Durch den breiten Einsatz des einstigen Wundermittels bilden sich zunehmend Resistenzen. (Bild: © Peter Maszlen - fotolia.com)

Durch den breiten Einsatz des einstigen Wundermittels bilden sich zunehmend Resistenzen. (Bild: © Peter Maszlen – fotolia.com)


Sind Breitband-Antibiotika die Lösung?

Nein, meinen die Mediziner. Ziel einer Antibiotikatherapie sollte immer genau der Keim sein, der den Infekt verursacht. Wenn auch andere Bakterien angegriffen werden, können sich bei diesen Resistenzen entwickeln. Im Idealfall wird der Erreger anhand eines Laborabstriches identifiziert. Reicht die Zeit dafür nicht, werden als „Flächenbombardement“ Breitband-Antibiotika verabreicht. Im Falle einer akuten Sepsis ist das zum Beispiel auch absolut notwendig. Trotzdem lohnt sich die Identifikation des Krankheitserregers. Bei einer schweren Infektion verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Behandlung.

Immer weniger Einsatzmöglichkeiten

Mit der Zunahme der Resistenzen schränken sich auch die Einsatzmöglichkeiten von Antibiotika mehr und mehr ein. Immer öfter versagt die Therapie mit der einstigen Wundermedizin – leider werden auch die Alternativ-Medikamente immer knapper. In der Theorie gäbe es vermutlich noch eine grosse Anzahl unerforschter Antibiotika. Die neuen Medikamente zu entwickeln und dafür das Zulassungsverfahren durchzuführen, ist jedoch sehr zeitintensiv und teuer. Der enorme Aufwand lohnt sich für die Pharmakonzerne einfach nicht mehr. Aus diesem Grund kommen relativ wenig neue Antibiotika in die Regale unserer Apotheken.

Verantwortungsbewusster Umgang

Sowohl Mediziner als auch Patienten sind gefragt, mit verantwortungsbewussten Therapien die Zunahme der Resistenzen einzuschränken. Ärzte stehen umso mehr in der Pflicht, beim Verschreiben von Antibiotika umsichtig zu sein. Bevor Medikamente auf Verdacht verabreicht werden, sollte eine verlässliche Diagnose gestellt werden. So ist als allererstes zu klären, ob überhaupt eine bakterielle Infektion vorliegt. Wird die Krankheit von Viren verursacht, wie zum Beispiel die typische Influenza, sind Antibiotika nämlich wirkungslos.

Die Patienten wiederum sind angehalten, Antibiotika nur auf Anweisung des Arztes und genau nach dessen Vorgaben einzunehmen. So sind die Dosierung und die Dauer der Behandlung exakt einzuhalten. Auch wenn die Symptome verschwinden, muss die Therapie so lange fortgesetzt werden, wie der Arzt verschrieben hat.

Kollateralschäden durch resistente Bakterien

Wann es welchen Keimen gelingt, sich anzupassen, lässt sich nicht prognostizieren. Deshalb sind Resistenzen nur schwer vorhersehbar. Fest steht aber, dass die Wahrscheinlichkeit mit der Häufigkeit des Einsatzes von Antibiotika steigt.

Resistente Bakterien können sich extrem rasch verbreiten. Nicht umsonst sind die Hygienevorschriften in einem Krankenhaus so streng, und auch im privaten Haushalt empfiehlt sich eine gewissenhafte Reinlichkeit. Durch einen sorglosen Umgang mit Antibiotika oder die nachlässige Einhaltung von Hygienevorschriften werden mitunter auch andere Personen gefährdet.

 

Oberstes Bild: © Gina Sanders – fotolia.com

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