Kleinere Klassen oder zusätzliche Lehrer? Das Volk soll entscheiden
von Tobias Wolf
Am 30. November soll das Zürcher Stimmvolk nun erneut an die Urne, um über die Einführung einer neuen Maximalgrösse der Schulklassen abzustimmen. Alternativ können sich die Zürcherinnen und Zürcher aber auch für eine finanziell günstigere Alternative entscheiden, die Lehrpersonen mit übergrossen Schulklassen entlasten soll.
3.000 Schulklassen mit über 20 Schülern
Die Umsetzung des Sparprogramms führte damals zur Streichung von insgesamt 700 Lehrerstellen und dadurch zu einer Einsparung von 45 Millionen Franken. Mit Blick auf den Fachkräftemangel ist die Sparmassnahme zwar inzwischen teilweise rückgängig gemacht worden, die Lehrerschaft ist allerdings noch immer stark angeschlagen. Aus diesem Grund haben die politischen Vertreter sich auch wiederholt für eine Fixierung der Klassengrösse eingesetzt, um die Schulen, Lehrer und Schüler vor einer weiteren Sparwut zu schützen.
Bislang hatten sie damit keinen Erfolg. Von den über 6.700 Zürcher Schulklassen hatten rund 3.000 im letzten Schuljahr mehr als 20 Schüler. In 125 dieser Klassen lag die Schülerzahl sogar bei 26 oder mehr, womit sie als übergross gelten. Gerade in diesen Klassen ist der Schulstress für die Schüler besonders gross. Die Volksschulverordnung legt zwar für alle Schulstufen eine Richtgrösse fest, allerdings gilt diese nicht absolut und kann im Bedarfsfall vorübergehend überschritten werden. Im Kindergarten und der Primarschule liegt sie bei 21 bzw. 25 Schülern. Die Sekundarschule unterscheidet dann zwischen der Abteilung A (25 Schüler) sowie den Abteilungen B (23 Schüler) und C (18 Schüler).
Individuelle Förderung braucht kleine Klassen
Die Volksinitiative, über die nun Ende November abgestimmt wird, wurde von der EVP lanciert. Sie sieht vor, die Klassengrösse vom Kindergarten bis zur Sekundarschule auf 20 Schüler zu begrenzen. Begründet wird das Begehren von der EVP durch die stark veränderten Anforderungen der letzten Jahre sowie den Blick auf die neuen Konzepte des Lehrplans 21. Heutzutage werde beispielsweise von den Lehrern verlangt, auf jedes Kind individuell einzugehen und es seinen Fähigkeiten entsprechend zu fördern. Dies sei bei Klassengrössen von mehr als 20 Schülern kaum umsetzbar.
Darüber hinaus soll die Initiative der EVP vor allem zu einer Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer führen. Gemäss einer aktuellen Umfrage des Zürcher Lehrerverbandes geben diese nämlich die Grösse ihrer Klassen als grössten Belastungsfaktor an. Faktoren wie Schulreformen oder Bürokratie kommen erst an zweiter und dritter Stelle.
Kosten sind zu hoch
Unterstützung findet das Anliegen der EVP allerdings ausschliesslich bei einigen Sozialdemokraten. Für die Gegner der Initiative ist die Regelung zu unflexibel und vor allem viel zu teuer. Für die Umsetzung müssten laut Bildungsdirektion rund 1.350 neue Lehrerstellen geschaffen werden, was jedes Jahr zusätzliche Kosten in Höhe von 120 Millionen Franken verursachen würde. Zudem müssten rund 600 weitere Schulzimmer für die zusätzlichen Klassen organisiert und finanziert werden.
Neben den enormen Kosten sehen die Gegner der Initiative auch die Gefahr, dass Schulklassen während des laufenden Schuljahres aufgeteilt werden müssten. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn Gymnasialschüler nach den Winterferien in eine 1. Sekundarschule zurückkehrten, nachdem sie die Probezeit nicht bestanden haben.
Die Richtung stimmt
Auch wenn die Initiative der EVP bei Politikern keine grosse Zustimmung findet, so geniesst das grundlegende Anliegen, die Lehrpersonen zu entlasten und die Klassen zu verkleinern, einige Sympathien. Aus diesem Grund wurde vom Kantonsrat ein Gegenvorschlag erarbeitet, der die Schaffung von 100 zusätzlichen Lehrerstellen vorsieht. Mithilfe dieser zusätzlichen Kräfte sollen die Lehrer von besonders grossen Klassen entlastet werden. Eine Verkleinerung der Klassengrösse sieht dieser Vorschlag, über den ebenfalls am 30. November abgestimmt wird, jedoch nicht vor.
Die zusätzlichen Stellen sollen dem Reservepool des Kantons Zürich zukommen. Von dort aus vergibt die Bildungsdirektion sie an Schulen, die beispielsweise für Lehrer mit besonders grossen oder schwierigen Klassen zusätzliche Stellenprozente beantragen. Laut Martin Wendelspiess, dem Chef des kantonalen Volksschulamtes, übersteigt allerdings derzeit die Nachfrage nach Stellenprozenten das vorhandene Angebot. Hier soll der Gegenvorschlag helfen und die bereits vorhandenen 160 Stellen im Reservepool auf 260 stellen aufstocken.
Ausser von der SVP, der FDP und der EDU wird der Gegenvorschlag von allen Parteien unterstützt. Die Gegner und der Regierungsrat halten diese Massnahme allerdings immer noch für zu teuer. Laut Bildungsdirektion würden sich die jährlichen Zusatzkosten auf 15 Millionen Franken belaufen.
Bildungsdirektion gegen Vorschlag der Lehrerverbände
Auch wenn vom Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) eine andere Lösung als die 20-Schüler-Klasse bevorzugt worden wäre, so favorisieren sie doch die EVP-Initiative. Die Lehrerschaft wollte eigentlich, dass schwierige Schüler doppelt gezählt werden, damit Lehrer mit vielen „Sonderfällen“ schnell entlastet worden wären. Die Bildungsdirektion wies diesen Vorschlag allerdings vehement zurück.
Der Gegenvorschlag findet bei den Lehrerverbänden zwar auch Zuspruch, allerdings ist man dort der Meinung, dass die Entlastung durch die Aufstockung des Reservepools kaum spürbar sein werde. Dies wäre ihrer Meinung nach aber immer noch besser als überhaupt keine Veränderung.
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