Expedition in den Mikrokosmos des Planktons
von Romy Schmidt
Das französische Forschungsschiff „Tara“ war vier Jahre auf den Weltmeeren unterwegs – stets auf der Suche nach Plankton.
Letztlich haben die Wissenschaftler nicht nur Unmengen von Plankton aus den Meeren gefischt, sondern auch einen kunterbunten Mikrokosmos von Lebewesen entdeckt, der immerhin 50 % der Biomasse auf der Erde produziert.
So wimmelt es in den obersten Schichten der Ozeane von Myriaden kleinster Lebewesen. Die tatsächliche Vielfalt des Planktons offenbart sich in der Regel erst unter dem Mikroskop. Die Winzlinge produzieren jedoch nicht nur die Hälfte der Biomasse der Erde, sondern auch die Hälfte des lebenswichtigen Sauerstoffs der Luft. Zudem ernähren sich zahlreiche den Ozean bevölkernde Arten – angefangen bei Mini-Krebsen über den Walhai bis hin zum 30 Meter langen Blauwal – von Plankton.
Bis dato waren der Wissenschaft zwar einzelne Arten bekannt, die enorme Vielfalt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Regionen der Weltmeere wurde jedoch noch nicht differenziert untersucht.
Erste Ergebnisse der Expedition in der „Science“ vorgestellt
Um dieses Desiderat in der Planktonforschung zu schliessen, war das französische, 34 Meter lange Forschungsschiff Tara auf den Weltmeeren unterwegs. Die Expedition dauerte von 2009 bis 2013. In dieser Zeit entnahmen die Forscher in Wassertiefen von bis zu 2000 Metern 35’000 Planktonproben an 210 verschiedenen Stellen der Ozeane. Diese Proben wurden seitdem von Wissenschaftlern aus aller Welt untersucht. Erste Ergebnisse dieser Analysen, die von einer extrem vielfältigen Plankton-Welt zeugen, wurden bereits in fünf Aufsätzen in der Fachzeitschrift „Science“ sowie in einer Pressemitteilung vorgestellt.
Meeresbiologen dürfte das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen kaum überraschen, hatten sie doch bis jetzt nur wenige Regionen der Weltmeere und somit einen geringen Teil des Planktons erforscht. Unter dem Terminus Plankton subsumieren die Wissenschaftler all diejenigen Organismen, die im Wasser leben und deren Schwimmrichtung von der Strömung abhängt. Zudem wird zwischen Bakterio- und Viroplankton sowie pflanzlichem und tierischem Plankton differenziert. Als Plankton werden also beispielsweise Kokken, Grünalgen, Pfeilwürmer, Muschel- und Fischlarven sowie viele Krebstiere und Manteltiere bezeichnet. In der Regel ist Plankton nicht grösser als wenige Millimeter, manchmal aber sogar mit nur einem 50. Teil eines Millimeters unvorstellbar klein.
Die Reise des Zweimasters Tara
Um mehr Erkenntnisse über diesen faszinierenden Mikrokosmos zu erlangen, sendete Tara Expeditions, eine französische Umweltschutzorganisation, im Sommer des Jahres 2009 ihr Forschungsschiff auf eine Expedition durch die Meere der Welt. Als wissenschaftlicher Fahrtenleiter war Eric Karsenti, der am Europäischen Molekularbiologie-Labor (kurz: EMBL) sowie in der französischen Forschungsorganisation CNRS tätig ist, mit an Bord. Neben ihm nahmen – über die Jahre verteilt – insgesamt 150 Forscher an der Expedition des zweimastigen Segelschiffs teil. Auf seiner Reise steuerte das Forschungsschiff 50 Häfen rund um den Globus an, um die Besatzung auszutauschen und die Vorräte aufzufüllen.
Den grössten Teil der Expedition befand sich die Tara jedoch auf hoher See, so dass die Wissenschaftler ihre extrem feinmaschigen Netze an immer neuen Stellen ausbringen konnten, um Planktonproben zu entnehmen. In der Regel wurden diese aus bis zu 200 Metern Tiefe entnommen, denn in dieser Wasserschicht werden in etwa 50 % des Sauerstoffs der Atmosphäre durch Plankton erzeugt und dort wächst auch die Hälfte der gesamten Biomasse der Erde. Zudem, so erklärt Karsenti, sei bis dato lediglich 1 % der wissenschaftlichen Zusammenhänge in diesen Wasserschichten bekannt.
Die Analyse der Proben
Waren die Netze eingeholt, begannen die Wissenschaftler das Plankton im Nass-Labor des Forschungsschiffs zu filtern. Im Anschluss analysierten sie den Fang im Trockenlabor der Tara mithilfe moderner Mikroskopiertechniken. Schliesslich wurden die Proben vorbereitet, um sie an Land zu transportieren und weitaus exakteren Feinanalysen zu unterziehen. Zudem archivierten die Wissenschaftler die wichtigsten Umweltdaten des Materials wie beispielsweise den Salzgehalt oder die Temperatur des Wassers in digitalen Datenbanken.
Problematisch ist jedoch, dass die meisten Organismen ausserhalb ihres Habitats nicht lange überleben. Deshalb können die Wissenschaftler oft lediglich die Struktur der toten Organismen, deren Erbgut sowie deren Proteine untersuchen. Entsprechend analysierten die Forscher die Organismen im Plankton, die fachlich korrekt als Eukaryonten bezeichnet werden und deren Zellen einen Zellkern besitzen, in dem sich das Erbgut konzentriert. Besonderes Augenmerk richteten die Wissenschaftler auf die ribosomale DNA dieses Erbguts.
Das Ergebnis ist beeindruckend, denn sie identifizierten mehr als 150’000 differente Arten in den bis dato analysierten Proben. Von diesen Arten war ein Drittel der Forschung noch nicht bekannt, alle Organismen waren kleiner als zwei Millimeter und bei den meisten handelte es sich um Symbionten oder Parasiten.
Mikrokosmos Plankton: friedliche Koexistenz, Teamwork und Handel
Natürlich interessieren sich die Forscher auch für das Miteinander in der Welt des Planktons. So beobachteten sie Verhaltensweisen, die aus der Welt grösserer Organismen längst bekannt sind: Neben Organismen, die Nährstoffe aus dem Wasser filtern, gibt es Räuber, die ihre lebenden und toten Mitbewohner fressen, und sehr häufig konnten die Forscher Organismen beobachten, die im Team arbeiten. Zwar herrsche, so die Wissenschaftler, auch in der Welt des Planktons das Prinzip „Der Stärkste überlebt“. Allerdings sei für sehr viele der Organismen eine Zusammenarbeit mit anderen unverzichtbar, um zu überleben.
Viren trügen das idyllische Bild
Gestört wird dieses recht idyllische Bild – zumindest auf den ersten Blick – von den Ergebnissen des Forscherteams rund um Matthew Sullivan von der University of Arizona im US-Bundesstaat Tucson. Die Forscher fanden in den Proben der Expedition mehr als 5000 verschiedene Viren, von denen vorher lediglich 39 bekannt waren. Die Viren infizieren andere Organismen im Plankton, wobei sie zahlreiche ihrer Opfer töten. Während dieses Prozesses setzen sie jedoch Nährstoffe aus den anderen Organismen frei, die von grösseren Lebewesen später verwertet werden können. Demgemäss „recyceln“ Viren auf diese Weise Nährstoffe und tauschen zwischen den unterschiedlichen Organismen Erbeigenschaften aus. Entsprechend kommt den Viren im Mikrokosmos des Planktons eine entscheidende Rolle zu.
Ein sehr interessantes Ergebnis der Expedition ist für die Forscher, dass sich überall in den Weltmeeren – anders als auf dem Festland – eine relativ ähnlich hohe Virenvielfalt findet. Da die Bewohner der Weltmeere an das Salzwasser angepasst sind und Minitiere sowie Bakterien und Algen von Viren infiziert werden, kommt es zur massenweisen Produktion neuer Viren, die von den Strömungen in alle Regionen der Meere getragen werden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Forscher eine Vielzahl der Viren genau an den Stellen fanden, an die die Meeresströmungen sie getragen haben könnten.
Jedoch gilt auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Demnach funktioniert diese Verteilung nicht überall. Eine Barriere stellt beispielsweise der Agulhas-Strom im Indischen Ozean dar, denn er wird nach einer Kollision mit kaltem Wassern einige Hundert Kilometer südlich des Kap Agulhas zurück in den Indischen Ozean geleitet. So sind die Chancen, dass das Plankton auf diesem Weg in den Atlantik gelangt, relativ gering. Lösen sich in dieser Kollisionszone jedoch von Zeit zu Zeit die riesigen Agulhas-Wasserwirbel von mehreren Hundert Kilometern Durchmesser, treibt das Plankton gemeinsam mit den Wirbeln vom südlichen Atlantik langsam nach Nordwesten. Weil das aus dem Indischen Ozean kommende Wasser durch das kalte Wasser aus der Antarktis jedoch stark abkühlt, überleben viele der Organismen diese Reise nicht.
Zahlreiche Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass die Temperaturen der entscheidende Faktor für die Artendiversität in den unterschiedlichen Regionen der Weltmeere sind. Entsprechend könnte der Klimawandel auch die Vielfalt des Planktons verändern. Sicher ist letztlich – und darin sind sich alle Wissenschaftler einig –, dass noch viele Jahre interessanter Forschungsarbeit vor ihnen liegen, bis sie den Mikrokosmos des Planktons tiefergehend erforscht haben.
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