Droht der Schweiz die Rezession? Franken-Aufwertung belastet
von Stephan Gerhard
Die Schweizerische Nationalbank hat im Januar die Bindung des Franken an den Euro aufgegeben. Eine massive Aufwertung war die Folge davon. Jetzt zeigen sich die ersten Auswirkungen dieser Entscheidung.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco hat aktuell die Wirtschaftsdaten für das erste Quartal dieses Jahres veröffentlicht. Sie belegen ein leichtes Schrumpfen der Schweizer Wirtschaft und eine schlechtere Entwicklung als erwartet. Droht der Schweiz jetzt eine Rezession?
Wirtschaft in der Schweiz schrumpft
Dass die Aufwertung des Franken nicht nur dem Euro, sondern auch vielen anderen wichtigen Währungen gegenüber nicht ohne Spuren bleiben würde, war allgemein erwartet worden. Experten hatten allerdings damit gerechnet, dass sich negative Effekte erst im zweiten Quartal deutlicher zeigen würden. Im ersten Quartal hatte man dagegen auf die noch gut gefüllten Auftragsbücher gesetzt. Erwartet worden war vor diesem Hintergrund eher ein Nullwachstum. Von daher überrascht der jetzt festgestellte Rückgang schon. In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist die Schweizer Wirtschaft insgesamt im Vergleich zum Jahresendstand 2014 um 0,2 % geschrumpft. Das ist der erste reale Rückgang seit dem dritten Quartal 2011.
Negative Effekte gingen – wenig überraschend – vor allem vom Aussenhandel aus. Die Warenexporte sind im ersten Quartal um 2,3 % zurückgegangen, während die Warenimporte um 0,4 % zugenommen haben. Die Dienstleistungsexporte stiegen zwar um 3 %, noch deutlich stärker ausgeprägt war aber der Anstieg der Dienstleistungsimporte mit 7,5 %.
Die Verschlechterung der Handelsbilanz ist eine logische Konsequenz aus der Franken-Aufwertung. Sie bedeutet eine Verteuerung von Schweizer Waren im Ausland, während der Import ausländischer Güter für die Schweiz günstiger wird. Die Folge: Es werden weniger Schweizer Produkte im Ausland verkauft, dafür ist es attraktiver, Waren zu importieren. Schwerer taten sich vor allem die Pharma- und Chemie-Branche, aber auch die Maschinen- und Elektronikindustrie und selbst bisher wenig anfällige Bereiche wie Uhren und Präzisionsgeräte.
Schlechte Handelsbilanz – positive Inlandsnachfrage
Von der Produktionsseite her betrachtet zeigten sich der Handel mit einem Minus von 1,9 % und das Gastgewerbe mit einem Minus von 3,8 % besonders schwach. Die Sektoren Verkehr, Information und Kommunikation sowie Finanzdienstleistungen schrumpften ebenfalls um 0,4 bzw. 0,6 %. Das verarbeitende Gewerbe stagnierte mit –0,1 % nahezu, während der Gesundheitssektor (plus 1,6 %) und das Baugewerbe (plus 1,1) sich positiv entwickelten.
Mit 0,2 % ist der Rückgang des realen Bruttoinlandsproduktes dabei insgesamt noch sehr verhalten ausgefallen. Dies war vor allem der Investitionsentwicklung und den privaten Konsumausgaben im Inland zu verdanken. Ihr Wachstum verhinderte eine noch stärkere Schrumpfung. Ohne diese gegenläufige Wirkung hätte der Rückgang wohl einen Prozentpunkt betragen. Die Ausrüstungsinvestitionen nahmen im ersten Quartal um 0,5 % zu. Positive Impulse kamen vor allem aus dem EDV- und Fahrzeugsektor, während der Maschinenbau eher schwächelte. Auch die Konsumausgaben der privaten Haushalte stiegen um 0,5 %. Hier entfielen die grössten Anstiege auf die Bereiche Wohnen und Energie sowie Gesundheit.
Die Preisentwicklung begünstigte dabei nach wie vor das Konsumverhalten. Insgesamt gingen die Preise im ersten Quartal um 0,9 % zurück, beim privaten Konsum betrug der Deflator 0,6 %. Die Deflation erhöht die real verfügbaren Einkommen der Schweizer, was Spielräume für mehr Konsum schafft. Besonders ausgeprägt waren die Preisrückgänge bei Exporten und Importen. Bei den Exporten waren sie vor allem auf den verstärkten Anpassungsdruck zurückzuführen, der die Gewinnmargen der Exporteure belasten wird, bei den Importen dürfte sich vor allem die Aufwertung ausgewirkt haben.
Verlierer und Gewinner
Insgesamt betrachtet zeigt die Schweizer Wirtschaft in den ersten Monaten nach der Freigabe des
Franken-Wechselkurses also eine sehr differenzierte Entwicklung. Im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres ergibt sich immer noch ein Wirtschaftswachstum von 1,1 %. Von daher ist es sicher verfrüht, von einer drohenden Rezession zu sprechen. Die Seco-Ökonomen halten denn auch eine Verwirklichung des für das Gesamtjahr 2015 prognostizierten Wirtschaftsanstiegs von 0,9 % immer noch für möglich. Die schlechter als erwartet ausgefallene Entwicklung zeigt aber, dass Vorhersagen unsicherer geworden sind.
Neben diesen eher kurzfristigen Effekten der Franken-Aufwertung sollten aber auch die langfristigen Auswirkungen nicht ausser Acht gelassen werden. Hier dürfte die Schweiz auf lange Sicht eher profitieren. Dauerhaft billigere Importe bedeuten unter dem Strich einen Wohlstandsgewinn, der sich sowohl bei den Verbrauchern als auch bei Produzenten günstig auswirkt. Konsumenten können sich mehr leisten und Produzenten billiger produzieren. Das gilt zumindest im Schnitt.
Unbestritten ist, dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt. Am meisten dürften die Produzenten gewinnen, die ihre Waren im Inland verkaufen und dafür Vorleistungen aus dem Ausland importieren. Umgekehrt sind Produzenten am meisten belastet, die ihre Leistungen ins Ausland verkaufen, aber Vorleistungen in der Schweiz einkaufen müssen. Das gilt vor allem für die Schweizer Tourismusindustrie. Hier besteht der Ausweg vor allem in der Erhöhung der Produktivität durch effizientere Organisation und mehr Flexibilität. Damit lassen sich währungsbedingte Verluste zumindest zum Teil auffangen.
Kein Anlass zu Pessimismus
Im vergangenen Monat lag der handelsgewichtete reale Wechselkurs – das ist der Wechselkurs gegenüber wichtigen anderen Währungen – des Schweizer Franken um 7,3 % über dem Durchschnittswert von 2014. Rechnet man dies auf der Basis der Schweizer Importe des vergangenen Jahres um, bedeutet dies einen Wohlstandsgewinn von rund 30 Milliarden Franken oder 4,7 % des Bruttoinlandsprodukts. Erfahrungsgemäss wirken die Aufwertungsgewinne langsamer, sind aber nachhaltiger, während Aufwertungsverluste zwar kurzfristig durchschlagen, aber nicht dauerhaft sind.
Insofern besteht zu Pessimismus kein Anlass, auch wenn die Schweizer Wirtschaftsentwicklung erst einmal verhalten ist. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass der Abwärtstrend sich in diesem Quartal erst einmal fortsetzt.
Oberstes Bild: © Valeri Potapova – Shutterstock