Altersarbeitslosigkeit ist auch in der Schweiz ein Thema

Masseneinwanderungsinitiative, demografischer Wandel und der „Kampf um die Talente“ – auf den ersten Blick scheint es, als ob in Schweizer Unternehmen jede Hand gebraucht wird. Trotzdem ist Altersarbeitslosigkeit auch in der Schweiz ein Thema.

Im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern erscheint der Arbeitsmarkt der Schweiz gut aufgestellt. Die offizielle Arbeitslosenquote der Eidgenossenschaft lag im Mai 2015 bei 3,2 %. Auch auf Basis der Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) stand die Schweiz im ersten Quartal 2015 mit einer Arbeitslosenquote von 4,4 % ausgezeichnet da. Aus volkswirtschaftlicher Sicht werden diese Zahlen als Vollbeschäftigung gewertet.

Altersarbeitslosigkeit wird in der Schweiz statistisch klein gerechnet

Vom „Beschäftigungswunder“ in der Schweiz profitieren allerdings nicht alle Arbeitnehmergruppen gleichermassen. Vor allem Arbeitnehmer in der Altersgruppe über 50 Jahre haben Schwierigkeiten, ihren Arbeitsplatz zu wechseln oder nach einer Entlassung wieder einen Job zu finden.

Die Altersarbeitslosigkeit in der Schweiz ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen. Viele ältere Erwerbslose tauchen in der offiziellen Arbeitslosenstatistik nicht mehr auf, sondern sind längst ausgesteuert und auf Sozialhilfe angewiesen. Hinzu kommt eine grössere Zahl von älteren Arbeitnehmern, die nur noch prekäre Beschäftigungsverhältnisse finden oder in die Selbstständigkeit wechseln müssen, da ihnen die lukrativeren – und sicheren – Bereiche des Arbeitsmarktes dauerhaft verschlossen sind. Das Ausmass der Altersarbeitslosigkeit in der Schweiz geht aus den offiziellen Statistiken aus mehreren Gründen nicht hervor: Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) betrachtet nur Personen als erwerbslos, die bei der RAV als Arbeitsuchende gemeldet sind und während der Referenzwoche für die jeweils aktuelle Zählung weniger als eine Wochenstunde Lohnarbeit geleistet haben. Ob die Betreffenden von einem solchen Arbeitsvolumen leben können, spielt dabei keine Rolle.

Auch alle Ausgesteuerten, die nicht mehr bei der RAV registriert sind, werden nicht als arbeitslos gezählt. Nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes hält nur noch ein Drittel aller Arbeitslosen an der RAV-Registrierung fest. Der Bezug von ALV-Leistungen ist in der Regel auf maximal ein Jahr beschränkt, für Arbeitnehmer der Altersgruppe 55+ gilt eine höchstens zweijährige Bezugsfrist. In jedem Monat verlieren im Durchschnitt 2700 Erwerbslose den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, etwas mehr als 30 % von ihnen sind über 50 Jahre alt.

Durch diese Praxis wird auch die Altersarbeitslosigkeit statistisch klein gerechnet. Um ein realistisches Bild des Schweizer Arbeitsmarktes zu erhalten, fordern Ökonomen inzwischen, die Arbeitslosenstatistik ausschliesslich anhand der ILO-Definition zu führen, die in der Schweiz bisher nur als Zusatzstatistik publiziert wird. Als arbeitslos gilt für die ILO jeder, der nicht erwerbstätig ist, in den letzten vier Wochen aktiv auf Stellensuche war und einem neuen Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen zur Verfügung stehen würde. Die Registrierung bei der RAV ist für die ILO-Statistik dagegen kein Kriterium.



Der Sozialhilfebezug älterer Menschen nimmt kontinuierlich zu

Die Altersgrenzen zwischen auf dem Markt gefragten Arbeitskräften und Menschen, die kaum noch ein relevantes Arbeitsmarkt-Potenzial besitzen, sind heute fliessender denn je. Oft fangen die Probleme bei der Stellensuche bereits mit Mitte 40 an, als „magische Grenze“ gilt landläufig jedoch der 50. Geburtstag. Wer zu diesem Zeitpunkt nicht in Lohn und Brot ist, hat oft kaum noch eine Chance, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Auch gut qualifizierte Arbeitnehmer sind davon nicht ausgenommen. 40 % der Langzeitarbeitslosen in der Schweiz sind über 50 Jahre alt. Als langzeitarbeitslos gelten alle Arbeitnehmer, die innerhalb von 365 Kalendertagen nach dem Verlust des Arbeitsplatzes keinen neuen Job gefunden haben.

Altersarbeitslosigkeit bildet nur allzu oft den Einstieg in eine „Sozialhilfekarriere“, die bis zum Beginn des Rentenalters dauert und danach nicht selten Altersarmut nach sich zieht. Die Sozialhilfestatistik des Bundes weist aus, dass der Anteil von Sozialhilfeempfängern in der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren zwischen 2004 und 2012 von 13 % auf 16 % gestiegen ist. Auch Städte wie Bern oder die Boom-Region um Zürich sind von dieser Folge der Altersarbeitslosigkeit nicht ausgenommen.

Schweizer Beschäftigte über 55 – vor allem Akademiker und Männer

Ende vergangenen Jahres veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen aktuellen Bericht zur Lage älterer Arbeitnehmer. Der Schweiz bescheinigt der OECD-Report auch in dieser Hinsicht einen Platz im Spitzenfeld. Demnach hatten 70,5 % der Schweizer Arbeitnehmer im Alter zwischen 55 und 64 Jahren eine Vollzeitstelle – der Durchschnittswert der 34 OECD-Staaten liegt bei 54 %. Die Basis dieser Zahlen bilden allerdings erwerbstätige Männer sowie Hochschulabsolventen, die im letzten Jahrzehnt vor ihrer Pensionierung zu 70,5 % respektive 85 % im Arbeitsleben stehen. Demgegenüber liegen Frauen derselben Altersgruppe mit einer Beschäftigungsquote von 61,5 % weit zurück, bei Frauen ohne akademischen Abschluss beträgt sie nur 49 %.


Schweizer Beschäftigte über 55 – vor allem Akademiker und Männer (Bild: © Pressmaster – shutterstock.com)

Da der Report jeweils auf „Vollzeitäquivalente“ abstellt, wirkt sich bei diesen Zahlen allerdings auch die im internationalen Vergleich hohe Schweizer Teilzeitquote aus: Bei älteren Arbeitnehmerinnen liegt sie bei 59 % – gegenüber nur 16 % bei den Männern. Trotzdem sind Frauen in der Schweiz vergleichsweise häufig von Altersarbeitslosigkeit betroffen. Noch alarmierender ist eine andere Zahl: In der Eidgenossenschaft finden 59 % aller Erwerbslosen in der Altersgruppe über 55 im ersten Jahr nach dem Arbeitsplatzverlust keine neue Stelle – gegenüber nur 47 % im Durchschnitt der OECD-Länder insgesamt. Vor zehn Jahren waren nur 40 % dieser Gruppe von längerer oder dauerhafter Arbeitslosigkeit betroffen. 

OECD-Empfehlungen gegen Altersarbeitslosigkeit für die Schweiz

Die OECD empfiehlt der Schweiz vor diesem Hintergrund ausdrücklich, Massnahmen gegen Altersarbeitslosigkeit zu ergreifen, um volkswirtschaftliche und sozialpolitische Verwerfungen zu vermeiden. Die geplante Rentenreform „Altersvorsorge 2020“ oder die Fachkräfteinitiative sind aus Sicht der Organisation Schritte in die richtige Richtung. Generell gehe es darum, die Produktivität älterer Arbeitnehmer zu erhöhen.

Vor allem Frauen könnten dabei helfen, die Folgen des demografischen Wandels abzufedern, wenn sie länger im Erwerbsleben verblieben. Ausserdem plädiert die OECD für attraktivere Weiterbildungsmassnahmen für ältere Arbeitnehmer seitens der RAV und in den Unternehmen, den Abbau von Anreizen zur Frühverrentung sowie eine gezielte Nutzung der Sozialhilfe-Budgets, um ältere Sozialhilfeempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ausserdem sollten die Sozialpartner über Vereinbarungen nachdenken, die ermöglichen, Gehälter weniger an das Lebensalter, sondern an Leistung und Erfahrungen zu knüpfen. Problematisch sei jedoch, dass Altersdiskriminierung in der Schweiz – anders als in den meisten anderen OECD-Ländern – nach wie vor legal und weit verbreitet ist.

Widersprüchliche Tendenzen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt

Der politische Hintergrund der OECD-Studie besitzt durchaus Brisanz. Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative könnte sich für die Schweizer Wirtschaft als ein Pferdefuss erweisen, da dringend benötigte ausländische Arbeitskräfte demnächst wahrscheinlich nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher verfügbar sind. Bund, Kantone und die Wirtschaft orientieren daher auf die Aktivierung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Die Möglichkeiten, am Erwerbsleben teilzunehmen, sollen für Frauen, Migranten und ältere Arbeitnehmer besser werden. Die Fachkräfteinitiative – im Jahr 2011 ursprünglich als ein Gegengewicht zur demografischen Entwicklung konzipiert – ist ein wesentlicher Eckpunkt dieser Strategie.


Die OECD empfiehlt der Schweiz ausdrücklich, Massnahmen gegen Altersarbeitslosigkeit zu ergreifen. (Bild: © 360b – shutterstock.com)

Andererseits haben die Unternehmen jedoch immer stärker unter dem Franken-Schock zu leiden. Aus Sicht der Wirtschaftsforscher ist zumindest eine Anpassungsrezession in Sicht. Bisher steht der Schweizer Arbeitsmarkt im internationalen Vergleich zwar immer noch ausgezeichnet da, jedoch ist es nur eine Frage der Zeit, bis durch den starken Franken auch Jobs verloren gehen. Die Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt sind derzeit also durchaus widersprüchlich. Sie changieren zwischen einem prognostizierten Arbeitskräftemangel und der Notwendigkeit, durch Personalabbau oder zumindest Einstellungsstopps Kosten einzusparen.

April 2015: Erste Schweizer Konferenz gegen Altersarbeitslosigkeit

Die Ergebnisse der ersten Schweizer Konferenz zur Situation älterer Arbeitnehmer im April 2015 blieben dann auch recht vage. Der Massnahmenkatalog, der dort beschlossen wurde, umfasst die Förderung der beruflichen Weiterbildung in allen Altersgruppen, eine „noch gezieltere“ Ausrichtung der Instrumente der Arbeitslosenversicherung auf die Bedürfnisse der Altersgruppe 50+ sowie die Überprüfung, auf welche Art und Weise ältere Erwerbslose ihre Freizügigkeitsguthaben in der Altersvorsorge erhalten können. Auch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie der Arbeitgeber für die Probleme und vor allem die Potenziale älterer Arbeitnehmer gewinne grösseren Stellenwert.

Die grundsätzlichen Ziele der Konferenz bestehen darin, analog zur Bewältigung der „Lehrstellenkrise“ zu Beginn der 2000er Jahre ein ständiges Gremium zu schaffen, dass sich der Probleme älterer Arbeitnehmer annimmt und der Altersarbeitslosigkeit entgegenwirkt. In welchem Mass daraus Erfolge resultieren, bleibt vorerst abzuwarten. Die öffentlichen und privatwirtschaftlichen Programme zur Integration Jugendlicher in den Arbeitsmarkt haben sich seinerzeit als tragfähig erwiesen. In den letzten zehn Jahren haben Schweizer Unternehmen auch auf ihrer Basis knapp 20´000 zusätzliche Lehrstellen geschaffen. Mit der Aufgabe, die Risiken für Altersarbeitslosigkeit zu minimieren und ältere Arbeitnehmer im Erwerbsleben zu halten, sind die Massnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit jedoch nur sehr bedingt vergleichbar.

Gesetze gegen Altersdiskriminierung – aus Sicht des Bundes und der Arbeitgeber chancenlos

Im Vorfeld der Konferenz hatten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften zur Frage, welche Rezepte gegen Altersarbeitslosigkeit helfen, mehr als einen Schlagabtausch geliefert. Für die Arbeitgeber waren die Ergebnisse der OECD-Studie in ihrem Kern ein Grund zum Feiern. Der Schweizerische Arbeitgeberverband betonte, dass er den Bericht als „grosses Lob“ für den freien und flexiblen eidgenössischen Arbeitsmarkt verstanden habe, der gerade deshalb in der Lage sei, den Arbeitswilligen in allen Altersgruppen eine hohe Partizipation zu sichern.

Bestätigt sehen sich die Arbeitgeber in ihrer Sicht durch die hohe Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer, den Rückgang der Frühpensionierungen bei Männern in den vergangenen zehn Jahren sowie eine Sonderauswertung des Seco, in der lediglich 2 % der Nichterwerbstätigen in der Altersgruppe zwischen 55 und 64 Jahren angegeben hatten, dass sie für sich keinerlei Arbeitsmarktchancen mehr erwarten. Gleichzeitig sehen sie auch die älteren Arbeitnehmer selbst in der Pflicht, dafür zu sorgen, ihre Beschäftigungsfähigkeit („Employability“) durch lebenslanges Lernen zu erhalten. Sich selbst schrieben die Verbandsmitglieder auf die Agenda, dass sie Stärken von heterogenen Belegschaften noch besser nutzen müssen, betonten jedoch, dass die betriebliche Autonomie hierdurch nicht gefährdet werden dürfe.


Altersdiskriminierung in der Schweiz sei nach wie vor legal und weit verbreitet. (Bild: © Robert Kneschke – shutterstock.com)

Vermutet werden darf, dass bei beiden Punkten auch Erwartungen im Hinblick auf öffentliche Förderungen eine Rolle spielen: In ihrer Studie hatte die OECD unter anderem angemahnt, dass die eidgenössischen Behörden die Aufgabe hätten, die Sozialpartner von höheren Investitionen in ältere Arbeitnehmer zu überzeugen. Die Gewerkschaften fordern als grundsätzliche Massnahmen gegen Altersarbeitslosigkeit dagegen ein gesetzliches Diskriminierungsverbot sowie einen erweiterten Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer. Sowohl aus Sicht des Bundes als auch der Arbeitgeber ist die Erfüllung dieser Forderungen jedoch chancenlos.

Ganz unverständlich ist diese Haltung der Arbeitgeber nicht. Die Unternehmen müssen in der Lage sein, auf veränderte Wettbewerbsbedingungen flexibel zu reagieren und ihre Personalbestände entsprechend anzupassen. Ein spezieller Kündigungsschutz für Ältere würde zwar Altersarbeitslosigkeit vermeiden helfen, jedoch im Falle eines Stellenabbaus auch eine „Diskriminierung“ jüngerer Kollegen nach sich ziehen. Zudem würde er die Hürden für die Einstellung älterer Arbeitnehmer nochmals höher legen und das Risiko für Altersarbeitslosigkeit eher erhöhen als vermindern.

Ältere Mitarbeiter sind nicht zwangsläufig „zu teuer“

Viele Firmen argumentieren, dass ältere Mitarbeiter teuer sind, da die Löhne in der Schweiz nicht nur abhängig von der individuellen Leistung, sondern auch proportional zum Lebensalter steigen. Allerdings zeigt eine schon etwas ältere Seco-Studie zur Möglichkeit einer „zweiten Karriere“ nach dem 50. Geburtstag, dass sich hinter dieser Sichtweise vor allem ein Vorurteil verbirgt. Demnach steigen die Arbeitseinkommen in den ersten 10 bis 15 Jahren nach dem Berufsstart besonders stark. In der Altersgruppe über 40 nehmen die Lohnsteigerungen bei Beschäftigten ohne akademische Ausbildung dagegen deutlich ab. Akademiker und Akademikerinnen können noch bis zum Alter von 54 Jahren recht kontinuierliche Lohnzuwächse für sich verbuchen. Nach Vollendung des 55. Lebensjahres gilt dies jedoch nur noch für Männer mit einem Hochschulabschluss, während die Löhne aller anderen Arbeitnehmergruppen stagnieren oder sinken. Dass ältere Arbeitnehmer mit ihrem Wissen und ihrer Berufserfahrung für die Unternehmen wichtig sind, steht zumindest theoretisch ausser Frage – unangemessen hoch bezahlt werden sie dafür in der Regel nicht.


Ältere Mitarbeiter sind nicht zwangsläufig „zu teuer“ (Bild: © michaeljung – shutterstock.com)

Der globalisierte Arbeitsmarkt hat Altersarbeitslosigkeit zur Folge

In der Praxis hat sich in vielen Unternehmen jedoch eine Arbeitskultur durchgesetzt, die Jugend als einen Wert an sich begreift. Unmittelbar vor dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise waren in der Schweiz 150´000 Menschen über 50 ohne Stelle, fünf Jahre später – im Jahr 2013 – war ihre Zahl auf 210´000 gestiegen. Angesichts der guten Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung hätte ihre Anzahl spätestens nach 2011 jedoch sinken müssen. Experten sehen die Hauptursache dafür in einem immer stärker globalisierten Arbeitsmarkt. Aufgrund ihres sehr hohen Anteils von qualifizierter Arbeitsmigration nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich hier eine gewisse Sonderstellung ein. Schweizer Unternehmen können bisher nicht nur unter inländischen Bewerbern, sondern auch unter nahezu beliebig vielen jungen, hoch qualifizierten, oft mehrsprachigen und IT-affinen Kandidaten aus dem Ausland wählen. Dies könnte sich allerdings in absehbarer Zukunft ändern, falls durch die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative die Personenfreizügigkeit mit der EU tatsächlich fällt.


In der Praxis hat sich in vielen Unternehmen eine Arbeitskultur durchgesetzt, die Jugend als einen Wert an sich begreift. (Bild: © Pixinoo – fotolia.com)

Hinzu kommt, dass das berufliche Profil vieler älterer Arbeitnehmer stark auf das bisherige Unternehmen zugeschnitten ist. Einem Funktions- oder Branchenwechsel stehen wiederum die Arbeitgeber skeptisch gegenüber. Die oft teure Einarbeitung eines älteren Mitarbeiters rechnet sich aus ihrer Perspektive nicht, solange sie auf dem Arbeitsmarkt mühelos Bewerber finden können, die ihren Suchkriterien mehr oder weniger vollständig entsprechen. Als Konsequenz daraus stellt nur noch ein Drittel der Schweizer Unternehmen regelmässig neue Mitarbeiter ein, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Wer in diesem Alter zu einem Jobwechsel gezwungen ist, muss damit rechnen, dass nach der Kündigung eine längere Phase der Arbeitslosigkeit beginnt.

Veränderungen in der Arbeitswelt – mit negativen Folgen für ältere Arbeitnehmer

Ob ein relativ abgeschotteter Arbeitsmarkt dazu eine Alternative ist, und in welchem Masse der demografische Wandel die Unternehmen tatsächlich zu neuen Strategien zwingt, sei einmal dahingestellt. Zwar prognostizieren die Demografen bereits für die nahe Zukunft einen massiven Arbeitskräftemangel, gleichzeitig hat sich die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren stark verändert. Die aktuelle Vision einer Industrie 4.0 ist erst wenige Jahre alt und in der Praxis noch gar nicht in grösserem Umfang angekommen. Perspektivisch wird hierdurch jedoch eine grössere Zahl von Berufsfeldern und Arbeitsplätzen obsolet.

Bereits heute tragen immer schlankere Strukturen und Outsourcing-Prozesse dazu bei, dass das Risiko für Altersarbeitslosigkeit gestiegen ist. Viele Jobs, die von den Unternehmen ausgelagert wurden, wenden sich mit ihrem Profil explizit an Berufsanfänger oder junge Mitarbeiter. In vielen Branchen kommt hinzu, dass sich die Unternehmen vor allem von jungen Hochschulabsolventen auch einen aktuellen Wissenstransfer versprechen.

Altersdiskriminierung fängt in der Schweiz bei den Stellenanzeigen an

Ein weiterer kritischer Punkt findet sich in der gesetzlich garantierten Vertragsfreiheit Schweizer Firmen. Anders als in der Europäischen Union und den USA ist ihnen gestattet, Arbeitnehmer beispielsweise wegen ihres Alters zu diskriminieren. Stellenanzeigen mit Altersangaben sind hierzulande gängige Praxis. Das grösste Schweizer Jobportal – Jobs.ch – hat Anfang dieses Jahres 24´897 Stellenanzeigen ausgewertet: Bei 43 % der Inserate hatten die Firmen ein Idealalter angegeben, bei dem jüngere Bewerber klar im Vorteil waren. Nur 20 Unternehmen suchten explizit nach Kandidaten im Alter zwischen 45 und 65 Jahren. Immerhin 204 Arbeitgeber wollten Mitarbeiter im Alter zwischen 35 und 65 Jahren rekrutieren, wobei in der Ausschreibung als Idealalter meist „ab 35 Jahre“ angegeben wurde. Auf eine gezielte Suche nach älteren Arbeitnehmern begibt sich damit gerade einmal 1 % der Firmen.


Altersdiskriminierung fängt in der Schweiz bei den Stellenanzeigen an (Bild: © fovito – fotolia.com)

Viele Unternehmen praktizieren intern klare Altersbegrenzungen für ihr gesamtes Recruiting oder für bestimmte Stellen, kommunizieren dies jedoch nicht nach aussen. In die Kategorie der „älteren Mitarbeiter“ fallen oft schon Beschäftigte ab 40 Jahre. Ein gesetzliches Verbot von Altersdiskriminierung halten zwar weder Arbeitsmarktexperten noch die Wirtschaftsverbände für wirklich wünschenswert, zumal eine effektive Selektierung ebenso durch interne Regelungen oder die Eignungskriterien für die Stelle möglich ist. Trotzdem wäre ein freiwilliger Verzicht auf die Altersangaben in den Stellenanzeigen wünschenswert, die Ältere von vornherein von einer Bewerbung ausschliesst.

Acht Handlungsfelder gegen Altersarbeitslosigkeit

Für nachhaltige Änderungen – nicht nur im Recruiting, sondern der Position älterer Arbeitnehmer insgesamt – ist allerdings ein Umdenken in den Unternehmen nötig. In seiner Studie zur Zweitkarriere identifiziert das Seco verschiedene Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht, um die Diskriminierung älterer Mitarbeiter und in letzter Konsequenz Altersarbeitslosigkeit zu vermeiden – an Aktualität haben sie gerade heute nicht verloren:

  1. Eine altersorientierte Personalpolitik muss mit dem Abbau altersbedingter Vorurteile beginnen, die dazu führen, dass Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter nicht mehr durch Weiterbildung fördern oder im schlimmsten Fall aktiv aus der Firma drängen. Aktuelle empirische Untersuchungen widerlegen sehr eindeutig die These, dass die Leistungs- und Lernfähigkeit mit zunehmendem Lebensalter abnimmt. In den Bereich der Vorurteile fällt als ein gravierender Faktor auch die Diskriminierung älterer Kandidaten bei der Stellensuche.
  1. Lebenslanges Lernen ist in einer Technologie- und Wissensgesellschaft unverzichtbar. Berufliche Weiterbildung erhöht die Produktivität des einzelnen Arbeitnehmers und hilft, ältere Arbeitnehmer im Arbeitsprozess zu halten. Idealerweise findet die innerbetriebliche Weiterbildung innerhalb eines Systems der internen Laufbahnplanung statt, das für alle Altersstufen gilt. Darüber hinaus hat die OECD ihren Mitgliedsländern bereits vor längerer Zeit empfohlen, Systeme der Anerkennung und Zertifizierung von praktischer Berufserfahrung zu entwickeln. Hiervon könnten gerade ältere Erwerbspersonen ohne offiziellen beruflichen Abschluss in hohem Masse profitieren.
  1. Ein generationsübergreifender Ansatz könnte in einer lebensbiografischen Gestaltung der Arbeitsaufgaben, der Weiterbildung und der Arbeitszeit bestehen. Dabei ginge es nicht nur um die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer und das Vermeiden von Altersarbeitslosigkeit, sondern vielmehr um eine Neuorganisation der gesamten Lebensarbeitszeit inklusive einer stärkeren Berücksichtigung von Familienphasen sowie von Wünschen der Beschäftigten nach einem Sabbatical oder einer individuellen Bildungsauszeit.
  1. Massnahmen der Personalentwicklung und Laufbahngestaltung sollten grundsätzlich die komplette Erwerbsbiografie umfassen. Bei älteren Arbeitnehmern geht es hier vor allem darum, sie entsprechend ihren speziellen Expertisen einzusetzen und für Veränderungen in den Unternehmen fit zu machen. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine langfristig angelegte Personalentwicklungspolitik, die in den Firmen bisher eher selten anzutreffen ist.
  1. Die Lohnsysteme in den Unternehmen sollten sich stärker an der individuellen Leistung und Arbeitsproduktivität und weniger am Lebensalter orientieren. Hierdurch würden Hindernisse abgebaut, die der Neueinstellung Älterer entgegenstehen. Die Studien-Autoren plädieren in diesem Kontext auch dafür, die Altersstaffelung der BVG-Gutschriften durch ein altersneutrales System zu ersetzen, was durch die geringere Abgabenbelastung einen positiven Einfluss auf die Arbeitsmarktfähigkeit älterer Arbeitnehmer hätte.
  1. Eine Flexibilisierung des Rentenalters würde den Zeitraum verlängern, in dem sich die Humankapitalinvestitionen der Unternehmen amortisieren können. In der Sozialversicherung könnten durch neue flexible Pensionierungsmodelle ausserdem die Grundlagen für eine neue vierte Säule der Altersvorsorge geschaffen werden.
  1. Eine altersgerechte Optimierung der Arbeitsbedingungen trägt dazu bei, ältere Arbeitnehmer auf produktive Weise einzusetzen und Frühverrentungen zu reduzieren. Hier spielen Fragen der Arbeitszeitgestaltung, aber auch die Verteilung der Arbeitsaufgaben und die Gestaltung der Kooperationsbeziehungen in den Unternehmen eine Rolle.
  1. Lebensarbeitszeitkonten sowie langfristig angelegte Lernkonten könnten solche Konzepte unterstützen, da sie ermöglichen, in späten Karrierephasen die Arbeitszeit neu zu strukturieren, Weiterbildungsmassnahmen zu planen und Altersteilzeitmodelle – gegebenenfalls über das gesetzliche Pensionierungsalter hinaus – zu implementieren.

Die beste Massnahme gegen Altersarbeitslosigkeit – ältere Mitarbeiter in den Unternehmen halten

Aus der Seco-Analyse und anderen Untersuchungen zum Thema geht hervor, dass die beste Massnahme gegen Altersarbeitslosigkeit darin besteht, ältere Arbeitnehmer von vornherein an ihrem Arbeitsplatz zu halten, anstatt sie durch jüngere Kandidaten zu ersetzen. Vor allem staatsnahe Unternehmen und Grosskonzerne entwickeln dafür seit Längerem entsprechende Modelle. Best-Practice-Beispiele dafür gibt es in mehr als einer Firma. Generell gilt, dass innerbetriebliche Strategien zur Förderung älterer Mitarbeiter bisher vor allem dort erfolgreich sind, wo Stellenprofile keinem allzu raschen Wandel unterliegen. In solchen Arbeitsfeldern sind ältere Mitarbeiter mit ihren Qualifikationen und Fähigkeiten oft sehr gefragt und müssen keinen vorzeitigen Arbeitsplatzverlust befürchten.


Die beste Massnahme gegen Altersarbeitslosigkeit – ältere Mitarbeiter in den Unternehmen halten (Bild: © contrastwerkstatt – fotolia.com)

In hoch spezialisierten Berufen, in denen aktuelles technologisches Wissen nötig ist, kann es für Ältere dagegen problematisch werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist der IT-Bereich, dessen Bedarf an jungen Fachkräften nicht abreisst, die jedoch oft schon nach wenigen Jahren wieder ausgemustert werden. Hinzu kommt, dass Berufsfelder, in denen viele Ältere tätig sind, von den Veränderungen in der Arbeitswelt besonders stark betroffen sind – die Unternehmen haben mit dieser Konstellation durchaus zu kämpfen. Beispielsweise hat sich die Swisscom in den letzten Jahren immer stärker von einer klassischen Telekom-Firma zu einem IT-Dienstleister entwickelt. Zwar versucht das Unternehmen, ältere Mitarbeiter vermehrt im Kundendienst – und dort vor allem für die Betreuung seiner älteren Kunden – einzusetzen. Parallel dazu unterstützt sie jedoch auch Frühpensionierungen, um den Weg für jüngere Mitarbeiter mit frischen Qualifikationen frei zu machen.

Eine weitere Frage ist, in welchem Umfang sich Schweizer Unternehmen Investitionen in ältere Mitarbeiter und damit Massnahmen gegen Altersarbeitslosigkeit leisten können. Die Mehrzahl der Firmen in der Schweiz sind KMUs. Knapp 90 % von ihnen beschäftigen weniger als zehn Mitarbeiter, weitere 9 % haben maximal 50 Angestellte. Entsprechend limitiert sind ihre Ressourcen, auf die speziellen Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer zu reagieren.

Arbeit nach der Pensionierungsgrenze – in der Schweiz bisher eher bedeutungslos

Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit über das 65. Lebensjahr hinaus spielt in der Schweiz bisher nur eine marginale Rolle. Die meisten der rund 150.000 Erwerbspersonen, die auch nach ihrem 65. Geburtstag weiterarbeiten, sind Selbstständige oder Freiberufler. Die Erfordernisse des demografischen Wandels sind derzeit zwar ein Thema der politischen Debatte, in den Firmen selbst sind sie bisher jedoch nur unvollständig angekommen, zumal die Personalplanung der Unternehmen zwangsläufig durch das Tagesgeschäft diktiert wird. Für ältere Arbeitnehmer halten sich ausserdem die finanziellen Anreize für die Berufsarbeit im Pensionierungsalter in eher engen Grenzen, da sie zwar weiter in die Sozialkassen einzahlen müssen, davon jedoch nur noch in geringem Masse profitieren.



Erhaltung der persönlichen Beschäftigungsfähigkeit – Aufgabe für alle Arbeitnehmer

Generell gilt: Altersarbeitslosigkeit kann jeden treffen. Der beste Weg, dagegen vorzusorgen, besteht – unabhängig davon, in welchem Masse der aktuelle Arbeitgeber dazu beiträgt – in der Erhaltung der persönlichen Beschäftigungsfähigkeit. Ältere Arbeitnehmer, die eine sichere Stelle haben, sollten ihre Karriereplanung bis zur Pensionierung trotzdem so früh wie möglich mit ihren Chefs besprechen. Oft lassen sich durch Weiterbildung oder die Planung eines internen Jobwechsels die Weichen frühzeitig in positiver Weise stellen. Wichtig ist zudem, bereits in jüngeren Jahren ein aktives berufliches Netzwerk aufzubauen, das im Ernstfall auch bei der Stellensuche funktioniert. Wer im höheren Lebensalter seinen Job verliert, ist darauf angewiesen, individuelle Selbstvermarktungsstrategien zu entwickeln und als Alternative auch eine Existenzgründung in Betracht zu ziehen.

 

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