Online-Überwachung: Schweizer Politiker zeigt Ausmass im Selbstversuch auf
von Alin Cucu
Wie gefährlich ist Big Brother wirklich? Wie viel kann der Staat über mich herausfinden? Die Antworten auf solche Fragen liegen für die meisten Menschen hinter einem dichten Nebel aus Des- und Misinformation verborgen. Umso aussagekräftiger deshalb das Experiment, das der Schweizer Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) an sich selbst durchführte.
Glättli liess von Open Data City eine Visualisierung aller seiner Kommunikations- und Standortdaten anfertigen. Wohlgemerkt handelte es sich dabei „nur“ um Metadaten“. Das Ergebnis ist erschreckend.
Die Mär von den „harmlosen“ Metadaten
Wann, wo und mit wem hat Balthasar kommuniziert? Telefoniert, getwittert, über Facebook Nachrichten ausgetauscht? Wo hat er sich wann wie lange aufgehalten? Fragen, die wie die Agenda von Geheimdienst-Mitarbeitern klingen, können Mobilfunkbetreiber mit Leichtigkeit beantworten. Möglich wird das durch ide Aufzeichnung sogenannter Metadaten, das sind Daten, die neben den eigentlichen Inhalten der Kommunikation anfallen – also z.B., wo ein Telefongespräch geführt wurde.
Balthasar Glättli wollte es wissen und beantragte bei seinem Mobilfunkanbieter Swisscom die Herausgabe sämtlicher Metadaten eines halben Jahres – so lange müssen nämlich die Unternehmen die Daten speichern, egal ob ein Verdacht gegen eine Person besteht oder nicht. Und tatsächlich erhielt er alle Informationen. Das Ergebnis kann man sich visualisiert auf watson.ch anschauen.
Dabei wird schnell klar: selbst ohne die Inhalte von Telefongesprächen, E-Mails und Tweets zu kennen, kann man über die Metadaten eine ganze Menge über eine Person herausfinden. Das bestätigt auch eine Studie der Stanford-Universität, die mit freiwilligen Probanden durchgeführt wurde. Aus den angerufenen Nummern liess sich zum Beispiel einiges über den Gesundheitszustand schliessen (wenn die Menschen oft Gesundheitsdienste anriefen) oder über Beziehungsnetzwerke (65 Prozent waren über drei bis vier Ecken miteinander befreundet).
Angesichts der umfangreichen Rückschlüsse, die die Ergebnisse aus Glättlis Selbstversuch zulassen, spricht die NZZ gar von einem „Abziehbild“, das die Metadaten hinterlassen. Auch die Zeitung ist überzeugt, dass sich „aus all diesen Daten ein Kontaktnetzwerk spinnen lässt, welches auch Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Adressaten erlaubt“.
Balthasar Glättli ist übrigens nicht der Erste, der einen solchen Selbstversuch unternimmt. Schon vor drei Jahren veröffentlichte der deutsche Grünen-Politiker Malte Spitz seine Metadaten. Noch weiter gingen die dänischen Politiker Sofie Carsten Nielsen (Bildungsministerin) und Jens Joel (Parlamentsabgeordneter). Sie wollten aufzeigen, was ein „Full Take“ bedeutet, also der Vollzugriff auf E-Mail-Konten, Kurznachrichten, Finanzdaten, Facebook-Aktivitäten und sogar Informationen aus Fitness-Trackern.
Was tun?
Die Full-Take-Visualisierung von Carsten Nielsen ist nichts weiter als der Realität gewordene Albtraum von gläsernen Menschen. Wer weiss, wem ein Mensch Geld schuldet, welche Bücher und Artikel er liest, und sogar wann er wie lange joggen war, der hat ihn in der Hand.
Die Studien sollten uns alle wachrütteln. Zum einen dazu, mit der Preisgabe von Daten vielleicht doch etwas sparsamer zu sein. Zum anderen dazu, die Politik im Rahmen der eigenen Möglichkeiten dazu zu bewegen, endlich wirksame Massnahmen für den Datenschutz zu ergreifen und z.B. der Vorratsdatenspeicherung ein Ende zu setzen. Denn das Smartphone abgeben – so radikal werden wohl die wenigsten sein.
Titelbild: Brian A Jackson – shutterstock.com