Qualifikation: Gescheitert
Zu Scheitern gilt für viele immer noch als ein Eingeständnis eigenen Versagens. Dabei liegt in jedem Misserfolg immer auch die Chance zu lernen, man muss sie nur erkennen. Was oft bei gescheiterten Versuchen anderer leichter fällt als bei sich selber.
Wohl auch deswegen finden immer mehr „FuckUp-Nights“ statt, in deren Rahmen gescheiterte Unternehmer von ihren geplatzten Start-up-Träumen berichten. Selbstkritisch, selbstironisch und lehrreich für die Zuhörer. Die oft selber gescheitert sind.
Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better. (Samuel Beckett)
Die erste FuckUp-Night fand 2012 in Mexico-City statt. Die Mexikanerin Leticia Gasca war kurz zuvor mit ihrem Start-up im Bereich Indio-Kunsthandwerk pleitegegangen und statt sich mit diesem Misserfolg in die stille Klausur zurückzuziehen, wählte sie den Weg in die Öffentlichkeit. Mit verblüffendem Erfolg: Heute hören bis zu 1.400 Menschen zu, wenn sie von ihrem Scheitern spricht. Und ihre mutige Idee hat sich weltweit verbreitet, FuckUp-Nights werden von Johannesburg bis Manila, von Singapur bis Washington veranstaltet und finden regen Zulauf.
Niemand scheitert gerne
Auch in Europa versammeln sich teils mehrere hundert zahlende Besucher, um Geschichten von Gescheiterten und vom Scheitern zu hören und nach dem Vortrag Fragen stellen zu dürfen. Nicht immer geht es dabei um das Scheitern mit einem Start-up, manche Vortragenden legen auch sehr viel persönlichere Misserfolge offen, etwa gescheiterte Ehen, das oft junge Publikum dankt es und spendet am Ende des Vortrags auch noch Applaus. Ist Scheitern jetzt also nicht mehr schlimm? Oder gar ein Qualitätsmerkmalid?
Für Leticia Gasca war ihr öffentliches Eingeständnis wichtig, um zu verstehen, was falsch gelaufen war. Um ihre Fehler zu erkennen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das ist auch die Motivation derer, die sich in Zürich oder Berlin auf die Bühne stellen und von ihren Fehlern, von falschen Erwartungen und Hoffnungen berichten. 10 Minuten hat jeder Vortragende Zeit dafür, doch manche scheitern auch an diesem Limit und überziehen deutlich. Das Publikum hört interessiert und aufmerksam zu und honoriert einen guten Vortrag gerne mit spontanem Beifall.
Denn ausnahmslos jeder kennt Situationen aus der eigenen Biographie, die nicht so verliefen wie geplant. In denen sich Dinge anders als gewünscht entwickelten, in denen die Hindernisse grösser und stärker als der Wunsch zur Zielerreichung waren. Wenn wir andere über ihr Scheitern offen sprechen hören, hilft es uns auch, die eigenen Schwächen und Misserfolge besser zu verstehen und zu akzeptieren. Und das ist wichtig, denn gerade in Ländern wie der Schweiz oder Deutschland fehlt es an einer Fehlerkultur, wie sie beispielsweise in den USA gepflegt wird.
Besser keine Fehler machen?
Erst langsam entwickelt sich auch in Europa das Bewusstsein, dass es oft besser ist, einen Fehler zu machen und daraus zu lernen, als nur zu versuchen, fehlerfrei zu agieren. Denn das führt nicht selten zu einer Entmutigung, einer Lähmung, getreu dem Motto: Wer nicht handelt, handelt nicht falsch. Doch das Gegenteil ist der Fall, nur wer etwas versucht und Mut beweist, wird erfolgreich sein. Auch wenn der Weg dahin vielleicht anstrengend ist.
Max Levchin scheiterte mit vier Start-ups und liess sich dennoch nicht entmutigen. Bei Start-up Nummer 5, das er gemeinsam mit zwei Kollegen im Jahr 2000 gründete, konnte er auf diese Erfahrungen zurückblicken und Fehler der Vergangenheit vermeiden. Und sich zudem sicher sein, dass Scheitern zwar wehtut, aber keine bleibenden Schäden hinterlässt. Zumindest nicht dann, wenn man sein Ziel weiterhin konsequent verfolgt. Levchin konnte sein Unternehmen zwei Jahre nach Gründung erfolgreich verkaufen, für 1,5 Milliarden US-Dollar an Ebay. Der Name von Start-up Nummer 5: Paypal, heute einer der wichtigsten Akteure weltweit im Bereich Online-Payment.
Neue Wege statt sicherer Strassen
Wer mit einem Start-up scheitert, bleibt oft auf einem Haufen Schulden sitzen und muss für diese persönlich haften, als letzter Ausweg bleibt dann oft nur die Privatinsolvenz. Mit weitreichenden Folgen, denn nicht nur gilt die eigene Bonität als nicht mehr gegeben, Telefonanbieter und Vermieter sind beispielsweise in einem solchen berechtigt, Kaution einzuziehen, um ihre laufenden Forderungen abzusichern. Im schlimmsten Fall droht sogar eine Leistungssperre durch die Krankenkasse.
Dennoch versuchen viele, die gescheitert sind, sich mit einem neuen Start-up von alten Schulden und dem Stigma zu befreien, ein Verlierer zu sein. Denn zwischen Scheitern und Verlieren gibt es eine klare Trennung: Verlieren ist endgültig und final, Scheitern nur ein Zwischenschritt. Hinfallen ist keine Schande. Liegenbleiben schon.
Um an Geld zu kommen und Investoren zu finden, sind öffentliche Auftritte auf FuckUp-Nights oder der Schweizer Variante der Konferenz FailCon tatsächlich hilfreich. Denn im Publikum finden sich nicht nur Zuhörer, die getreu dem FailCon-Motto „study their own and others’ failures and prepare for success“ aus den Fehlern anderer lernen wollen, sondern auch Business Angels und Investoren, die hier zu Recht auf mutige Unternehmer und Entrepreneure hoffen. Die erkannt haben, dass sie ihr Geld besser Menschen anvertrauen sollten, die für ihre Idee brennen und sie mit allen Mitteln erfolgreich machen wollen. Die den Mut haben, alles auf eine Karte zu setzen, die scheitern, aber nicht liegenbleiben.
Ist gescheitert nun das neue erfolgreich?
Viele der Vortragenden sprechen erst dann über ihr Scheitern, wenn sie sich wieder auf der Erfolgsspur bewegen und sie die alten Niederlagen hinter sich gelassen haben. Einige gehen härter mit sich ins Gericht und berichten quasi live, ohne die Absicherung, dass es auch wieder bergauf geht. Für Zuhörer sind beide Arten von Geschichten wertvoll und interessant. Dennoch sollte man aus ihnen die richtigen Dinge lernen. Es ist nicht pauschal okay, ständig zu scheitern. Wichtig ist, aus Fehlern zu lernen, keinen Fehler zweimal zu machen. Scheitern darf nur der, der sich anstrengt, der sich aufbäumt und mit vollem Einsatz für seine Idee kämpft.
Fazit: In den USA gilt Scheitern als Chance, solange man nur nicht aufgibt. In Ländern wie der Schweiz oder Deutschland gilt Scheitern nach wie vor als Scheitern, auch wenn sich langsam eine Mentalität durchsetzt, die die Chancen erkennt, die darin liegen (können). Das zeigt sich auch in Veranstaltungen wie den FuckUp-Nights, die in vielen europäischen Städten erfolgreich adaptiert werden und hohe Besucherzahlen vermelden können.
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