Todessehnsucht oder Verzweiflung – jährlich um die 1000 Suizide in der Schweiz

Selbstmord – eine gesellschaftliche Erscheinung, über die man in keinem Land gern spricht. Auch nicht in der Schweiz. Aber besonders hierzulande erscheint die Selbstmordrate im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich hoch.

In jedem Jahr sind es geschätzte 1´000 Selbsttötungen, die Dunkelziffer bleibt unbekannt. Was nach aussen als ein so schönes und lebenswertes gesellschaftliches System erscheint, birgt offenbar auch die dunkle Seite des Lebens. Diese ist durchaus auch mit den Erwartungen einer Leistungsgesellschaft verbunden, die nicht jeder erfüllen kann.

Wenn das Geschenk des Lebens zur unerträglichen Last wird

An fast jedem zweiten Tag wirft sich ein Mensch vor den Zug, andere nehmen sich den sprichwörtlichen Strick, wieder andere bevorzugen den scheinbar sanften Tod durch Vergiften mit Gas, Abgasen oder Tabletten. Seltener sind die Selbsttötungen etwa durch selbstzugefügte Verletzungen mittels Pulsaderschnitt oder den Sprung aus dem Fenster.

Egal, wie sich Menschen aus allen Altersgruppen, beginnend bei der Pubertät bis hin zum Greisenalter, das Leben nehmen, immer stehen dahinter Schicksale und oftmals bleiben ratlose Angehörige zurück. Hinterfragt man die vermeintlichen Gründe für den Selbstmord, dann tauchen hier immer wieder Aspekte auf wie Leistungsversagen, Mobbing, Ungeliebtsein, schwere Krankheiten oder finanzieller Notstand, verursacht durch Überschuldung ohne erkennbaren Ausweg.

Selbstmord wird nicht immer angekündigt

Wer die Absicht der Selbsttötung ankündigt, schickt damit meist einen letzten Hilfeschrei in seine soziale Umwelt. Hier wird in Wirklichkeit nicht das Lebensende herbeigesehnt, sondern vielmehr auf eine Art um Hilfe gebeten, die keine Alternativen offenlässt. Wird dieser Hilferuf nicht verstanden oder wird er ignoriert, folgt auf die geäusserte Absicht schnell auch ein ernst zu nehmender Versuch der Selbsttötung, der nicht selten auch gelingt.

Ein grosser Teil der Selbstmordpläne wird allerdings überhaupt nicht angekündigt. Hier wird nicht mehr nach Hilfe gerufen, hier wird gehandelt. Oftmals allein und in versteckten Winkeln nehmen sich hier Menschen das Leben, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr ein noch aus wissen. Nur manchmal wird ein Abschiedsbrief gefunden, der die eigentlichen Gründe des leisen Abschiedes offenbart.

Leistungsdruck macht lebensmüde

Wie schon eingangs bemerkt, ist es oftmals übermässig grosser Leistungsdruck, der als Grund für die Todessehnsucht herhalten muss. Die ständige Überforderung, immer wieder begleitet von Misserfolgen und entsprechender Kritik, führen zunächst zu einer angestrengten Leistungssteigerung. Irgendwann ist dann Schluss. Die Menschen sind ausgebrannt, leer und haben nicht selten ihr soziales Umfeld verloren. Die Abwärtsspirale aus Druck, vermeintlichem oder wirklichem Versagen und wieder Druck reisst die betroffenen Personen immer weiter nach unten.

Dazu kommt eine zunehmende Vereinsamung in einer Gesellschaft, die aus immer mehr Singles, gescheiterten Ex-Ehepartnern und Menschen aus aller Herren Länder zusammengesetzt ist. Hier stabile und vor allem tragfähige Kontakte zu finden, fällt nicht immer leicht. Computer, soziale Netzwerke und oftmals auch der tiefe Sturz in die Arbeit ersetzen die wichtigen sozialen Beziehungen. Bis das auch nicht mehr ausreicht.

Oftmals führt der Weg zum Suizid über den Umweg Alkohol und Drogen. Diese wirken zwar vorübergehend entspannend, sind aber letztlich die Absturzbeschleuniger schlechthin. Am Ende einer unter ständigem Druck erzeugten Karriere steht dann ein vermeintliches Nichts, das jeden Lebenssinns entbehrt. Wozu sich also noch mit den Realitäten herumschlagen, wenn sowieso keine Aussicht auf Änderung besteht.


Leistungsdruck, Mobbing und soziale Vereinsamung sind häufige Gründe für Selbsttötungen (Bild: Photobank gallery / Shutterstock.com)


Zäune an Bahnstrecken halten den Trend nicht auf

In einigen Kantonen ist man dazu übergegangen, an Brücken und Fussgängerüberführungen über den Gleisen Gitter, Zäune und Netze zu installieren. Diese sollen zumindest das „Sich-überfahren-Lassen“ auf den Strecken der SBB deutlich erschweren. Der Weg über die Böschung zum Gleis lässt sich jedoch nicht einzäunen. Ohnehin reichen Zäune nicht aus, um der eigentlichen Problematik Herr zu werden.

Hier bedarf es einer viel grösseren öffentlichen Aufmerksamkeit gegenüber den Ursachen. Nur wenige Menschen streben den Freitod an, weil sie das Leben schlechthin nicht lebenswert finden. Die meisten Selbstmörder wählen diesen Weg, weil ihnen keine vernünftigen Alternativen angeboten werden. Hier ist vor allem mehr Feingefühl im Umgang der Menschen untereinander gefragt. Besonders dort, wo die meisten Konfliktpotenziale entstehen. Das ist immer dort, wo der Druck auf den Einzelnen wächst, ohne dass entsprechende Puffer verfügbar sind.

In der Arbeitswelt regiert in vielen Unternehmen nur noch der Begriff der Leistung. Menschen sind scheinbar mühelos austauschbar, Charaktere und Individualität sind nicht gefragt. Das bietet einen guten Nährboden für die Ignoranz gegenüber den Problemen des Einzelnen. Sicherlich sind die Unternehmen nicht der Ort, wo psychische Probleme aufgefangen werden können. Sie sollten aber zumindest der Ort sein, wo sich unterschiedlichste Menschen in ihrer Individualität und Leistungsfähigkeit nicht nur gefordert, sondern auch gefördert und geschätzt sehen.



Alles andere muss die Gesellschaft abfangen. Das kann aber keine Gesellschaft leisten, die sich selbst zunehmend mehr in Interessengruppen, ethnische Herkunftsgruppen und in Leistungsfähige und weniger Leistungsfähige einteilen lässt. Mehr Interesse für den Einzelnen, ein gesteigertes Selbstwertgefühl als Gesellschaft und der Blick auf die Bedürfnisse des Einzelnen können Wege sein, um die im weltweiten Vergleich doch recht hohe Selbstmordrate in der Schweiz etwas besser in den Griff zu bekommen.

 

Oberstes Bild: Das Geschenk des Lebens kann zur unerträglichen Last werden (Bild: altanaka / Shutterstock.com)

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