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Jahresabschluss im NSA-Skandal: Offener Brief der Internetkonzerne und Weihnachtsansprache von Snowden

26.12.2013 |  Von  |  News

Er ist einer der grossen Namen der Berichterstattung im Jahr 2013: Edward Snowden. Zu Weihnachten hat der Whistleblower nun eine Ansprache im britischen Fernsehen gehalten, in der er Bilanz zieht und gleichzeitig in prophetischer Weise mahnt.

Zwei Wochen zuvor haben die grössten US-Internetkonzerne in einem gemeinsamen offenen Brief die US-Regierung zu einer Kehrtwende in der Geheimdienstpolitik aufgefordert. Erleben wir 2014 eine Zähmung von NSA, GCHQ und Konsorten?


Laut dem Guardian ist es die grösste konzertierte Aktion der Internetindustrie gegen die Abhörwut der Geheimdienste. Google, Apple, Microsoft, Facebook, Yahoo, AOL und LinkedIn haben einen öffentlichen Brief an die US-Regierung verfasst, in dem sie Reformen der globalen Überwachung durch Regierungen fordern. Ein vielseits verhöhnter Vorstoss, ist doch von einigen der genannten Unternehmen bekannt, dass sie den Geheimdiensten zugespielt haben. Doch nicht alle taten es freiwillig: Yahoo beispielsweise gab Nutzerdaten erst dann heraus, als die NSA es per richterlichen Beschluss dazu zwang. Ausserdem muss man wissen, dass die Unternehmen nicht nur zur Herausgabe von Daten, sondern auch zu absolutem Stillschweigen über die Vorgänge gezwungen wurden.

Edward Snowdens Enthüllungen nahmen endlich den Druck von den Schultern der CEOs. Nun, da die Weltöffentlichkeit Bescheid wusste, konnte man sich offen äussern. In fünf Punkten verlangen die IT-Riesen eine Umkrempelung der weltweiten Überwachungspraxis:

Die Rechte der Regierungen zum Sammeln von Nutzerinformationen sollen beschnitten werden

Die Regierungen sollen sinnvolle Begrenzungen dafür festschreiben, welche Nutzerdaten Serviceprovider herausgeben müssen. Es muss ein ausgewogenes Verhältnis bestehen zwischen dem berechtigten Zugriff auf Daten unter bestimmten Umständen (etwa bei akutem Terrorverdacht), dem Recht der Nutzer auf Privatsphäre und dem Einfluss von Überwachungsaktionen auf das Vertrauen in das Internet.Die Unternehmen treten einem wahllosen Sammeln von Daten vehement entgegen und fordern, dass nur in begründeten Fällen überwacht wird.

Die Geheimdienste müssen stärker kontrolliert werden und Rechenschaft ablegen

Die Geheimdienste sollen viel stärker kontrolliert werden und ihre Arbeit innerhalb eines konkreten rechtlichen Rahmens stattfinden. Die zuständigen Gerichte müssen unabhängig arbeiten und wichtige Gesetzesänderungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Regierungsanfragen müssen offengelegt werden

Transparenz sehen die unterzeichnenden Firmen als zentral an. Unternehmen sollen in Zukunft Anfragen von Regierungen und Geheimdiensten in Art und Anzahl offenlegen dürfen, genauso wie die Regierungen selbst diese Informationen veröffentlichen sollen.

Der freie Informationsfluss soll erhalten bleiben

Die Regierungen sollen Serviceprovider nicht mehr dazu zwingen können, ihre Server innerhalb der Landesgrenzen zu stationieren. Der Datenfluss auch über Landesgrenzen hinweg soll unangetastet bleiben, damit die Bürger jederzeit Zugang zu ihren rechtmässig zustehenden Informationen haben.

Konflikte zwischen Regierungen sind zu vermeiden

Zuletzt fordern die Unterzeichner die Regierungen dieser Welt dazu auf, einen gemeinsamen Gesetzesrahmen zu entwickeln, damit rechtmässige Überwachung ohne Schlupflöcher für „Big Brother“-Aktivitäten möglich ist. Bei Konflikten zwischen Gesetzen verschiedener Staaten sollen die Regierungen an gemeinsamen Lösungen arbeiten.Man mag sich über die Motive der Unternehmen streiten, eines jedoch ist sicher: Sie haben auch ein Eigeninteresse daran, dass sich der PRISM-Skandal nicht wiederholt, weil sie dadurch massive Vertrauensverluste erleiden. In jedem Fall sollte jeder aufgeklärte Bürger sich hinter die Forderungen stellen, auch wenn sie noch sehr vage formuliert sind.

Edward Snowden im Fernsehen: Kinder verlernen, was Privatsphäre ist

Indessen hat sich zu Weihnachten Edward Snowden aus dem Moskauer Exil zu Wort gemeldet. In einem Interview mit der Washington Post zieht er zwar eine positive Bilanz – seine Enthüllungen hätten ihr Ziel erreicht – zeichnet aber ein düsteres Bild unserer Gesellschaft hinsichtlich Überwachung. Deren Ausmasse seien inzwischen grösser als in George Orwells berühmtem Roman „1984“. Ein Problem sieht Snowden auch darin, dass die Generation der heutigen Kinder und Jugendlichen nicht mehr wisse, was Privatsphäre ist. Sie wüssten nicht mehr, was es heisst, einen nicht aufgezeichneten oder privaten Augenblick zu haben. „Das ist ein Problem, weil es auf Privatsphäre ankommt“, sagte Snowden. „Die Privatsphäre erlaubt uns zu bestimmen, wer wir sind und wer wir sein wollen.“

Snowdens Analyse scheint noch recht konservativ. Auch bei den Erwachsenen bleibt bisher ein Sturm der Entrüstung aus. Offenbar haben die meisten noch nicht kapiert, was auf dem Spiel steht. Wer verschlüsselt seine E-Mails mit PGP oder S/MIME? Wer nutzt Tor? Von den Politikern braucht man jedenfalls keinen Einsatz erwarten, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht – weder von Barack Obama noch von Angela Merkel.

Wird 2014 ein Jahr der Wende in Sachen Datenschutz und Privatsphäre? Dies hängt davon ab, ob die Bürger, und zwar jeder einzelne, den Ernst der Lage endlich erkennen und Zeichen setzen: durch Nutzung modernster Sicherheitsstandards, Zurückhaltung in Sachen Offenlegung von Daten und im Wahlverhalten.

 
Titelbild: Screenshot reformgovernmentsurve illance.com