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Mingles berichten: „Es hat mich kaputt gemacht“

18.01.2014 |  Von  |  Beitrag

Halb Single, halb liiert – das sind Mingles. Diese neue Beziehungsform entspricht genau dem Lebensgefühl einer über-individualisierten Gesellschaft.

Ein bisschen Beziehung, ein bisschen Freiheit.Das macht doch bestimmt glücklich? Eine 20min.ch-Umfrage spricht da eine ganz andere Sprache.

Nicole (dieser und alle weiteren Namen von der 20min-Redaktion geändert) etwa berichtet: „Ich wusste nie wirklich, woran ich bin mit meinem ‹Freund›. Es hätte ja immer passieren können, dass er eine andere kennenlernt, die ihm besser gefällt.“ Zwei Jahre lang hat sie das durchgehalten. Ihre Hoffnung, auch jetzt noch: dass der Mann ihr fester Freund wird.

Nicht Fisch, nicht Fleisch: Eine Beziehung, die keine ist

Eine andere Leserin schreibt: „Ich habe mitgemacht, weil ich ihn liebte. Er war mit anderen Frauen und ich habe es immer erfahren. Es hat mich kaputtgemacht und trotzdem sah ich zu, denn ich wollte mit ihm zusammen sein.“ Letzten Endes habe sie die Beziehung beendet. Doch auch Männern ergeht es offenbar ähnlich. Einem Leser zufolge sind Frauen um die 40 an kaum mehr interessiert als an Kinobesuchen und Essen. Allein das Wort „Beziehung“ errege schiefe Blicke.

Auch Jüngere beklagen sich, so zum Beispiel Raphi. Er sieht seine „Freundin“ zwar täglich, auf eine feste Bindung wolle sie sich trotzdem nicht einlassen. „Langsam befürchte ich, dass das eine unendliche Geschichte werden könnte“ meint der 26-jährige.

Sehnsucht nach mehr

Aus den Äusserungen lässt sich ein Tenor heraushören: Die meisten wünschen sich mehr, der Mingle-Status wird nur als Durchgangsstation zu einer langfristigen Beziehung gesehen. So auch Patrick Sutter. Er ist zwar schon 37, hofft aber immer noch auf die Traumfrau: „Mein Ziel ist es schon, irgendwann eine traditionelle Beziehung zu führen.“ Im Moment aber geniesse er das Mingle-Leben, weil er niemandem Rechenschaft schuldig sei.



Ungebunden sein ist also zwar angesagt, weil es Unabhängigkeit und Freiheit verspricht. Das entspricht dem Denken unserer Gesellschaft, die vor Bindungen und Verpflichtungen Angst hat. Interessant ist aber, dass fast jeder, der diesen Lebensstil ausprobiert, am Ende doch zu dem Schluss kommt, sich binden zu wollen. Scheinbar ist dem Menschen die Sehnsucht nach „ewiger Bindung“ immanent (wiewohl in Schillerscher Manier erst nach eingehender Prüfung). Wir können einfach nicht anders. Obwohl Bindung so viele Probleme und Herausforderungen mit sich bringt.

Die Tücken der Beziehungs-Verschleppung

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn die Strategie „Erst mal schauen, dann irgendwann binden“ kann auch gehörig in die Hose gehen. Was, wenn man mit Ende 30 immer noch keinen Lebenspartner gefunden hat? Die Glücklichen Ex-Mingles mögen schon mit 35 fest liiert sein, doch das Unabhängigkeits- und Selbstverwirklichungs-Denken kriegt man nicht so schnell heraus. An die neue Situation muss man sich ja erst gewöhnen. Und lang gehegte Marotten machen dem frisch gebackenen Ehepaar – er 44, sie 42 – noch auf Jahre zu schaffen. Ganz zu schweigen von der Familienplanung. Dank der medizinischen Fortschritte kann auch eine 45-jährige noch relativ problemlos Kinder bekommen. Aber in dem Alter merken Frau und Mann einfach, dass sie eben nicht mehr 30 sind. Babygeschrei, durchwachte Nächte und Kinderzimmer-Chaos hinterlassen tiefere Spuren als es 15 Jahre zuvor der Fall gewesen wäre.

Damit soll keine Familiengründung, egal in welchem Alter, schlecht gemacht werden. Im Gegenteil. Jede Familie ist etwas ganz Besonderes und verdient deshalb die volle Ehrerbietung und Unterstützung von Gesellschaft und Staat. Doch man kann auch kaum bestreiten, dass der Individualismus unserer Zeit den Wunsch nach verbindlicher Beziehung und Familie nicht auslöscht, sondern nur künstlich nach hinten verschiebt. Nicht unbedingt zum Vorteil der Betroffenen.

 

Titelbild: Simone Hainz / pixelio

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