Ähnlichkeiten wo keine sind
von Markus Haller
In der Schimpansenforschung werden tendenziell solche Resultate veröffentlicht, die Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Schimpansen belegen – gegenteilige Resultate schaffen es nur selten in die Fachmagazine.
Claudio Tennie, Verhaltensforscher vom Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie, untersuchte die Lernfähigkeit von Schimpansen. Genauer gesagt wollte er das Potential der Tiere ausloten, durch Nachahmung der Artgenossen etwas zu erlernen. Hinter dem Experiment stand für die Tennie die Frage, warum Menschen und Schimpansen so verschiedene Lebensweisen an den Tag legen, obwohl sie zu 98,5 Prozent genetisch identisch sind. Menschen schreiben Gedichte, konstruieren Flugzeuge und erforschen den Weltraum, während Schimpansen all dies nicht tun. Tennie wollte wissen, was der Grund für diesen unterschiedlichen Entwicklungsgrad der Kulturen ist.
Einen Erklärungsansatz sah er in der Tatsache, dass Menschen sehr effizient und in grossem Masse durch Nachahmung der Artgenossen lernen. Errungene Fähigkeiten werden so an die Nachfolgegeneration vermittelt. Ein täglich beobachtbares Alltagsbeispiel dafür ist die Aneignung von Sprache, die durch Nachahmung des sozialen Umfelds geschieht.
Viele von Tennies Kollegen gingen zwar davon aus, dass Schimpansen dieses charakteristische Merkmal des Menschen auch besitzen, allerdings standen experimentelle Studien zur Untermauerung dieser These noch aus. Tennie spekulierte, dass eine Fehlen dieses Merkmals ein guter Grund für die enormen Kulturunterschiede wäre und begann mit der Konzipierung eines Experiments zur Überprüfung seiner Vermutung.
Wir gehen ungefähr fünf Jahre zurück und sind nun in Ngamba Island, einer Insel in Ostafrika. Hier kann Tennie auf einmalig günstige Umstände zur Verhaltensforschung an Schimpansen zurückgreifen. 45 Tiere, die zunächst in der freien Wildnis gefangen, später aber wieder befreit wurden, leben nun hier in einem Reservoir – zwar unter kontrollierten Bedingungen, aber beinahe wie in freier Wildbahn. Tagsüber halten sie sich im Regenwald auf, nachts kommen sie freiwillig zu den offenen Käfigen zurück, wo ein Schlafplatz und Futter auf sie warten.
Tennie hat sich für seine Forschung ein zweistufiges Experiment überlegt. Zuerst bringt er Mawa, einem Affenmännchen aus der Gruppe, eine bestimmte Geste bei. Er geht nach klassischer Zirkusdressur vor, indem er Mawa in die gewünschte Haltung bringt und ihn anschliessend mit Futter belohnt. Mit der Zeit gibt er immer weniger Hilfestellung, bis die Geste eingeübt ist. Nun folgt der zweite Schritt. Tennie bringt Mawa in einen Käfig mit einer speziellen Vorrichtung und holt den eigentlich entscheidenden Probanden: einen zweiten Schimpanse namens Baluko. Er wird in einen benachbarten Käfig geführt, von dem aus er der nun folgenden Szenerie zuschauen soll. Sobald Mawa die eingeübte Geste zeigt, wird ihm Tennies Assistent über die Vorrichtung eine Erdnuss vor die Füsse rollen lassen.
Baluko beobachtet die Vorgänge genau. Nach mehrmaligen Durchläufen sollte er verstanden haben, dass es als Belohnung für die spezielle Geste eine Erdnuss gibt und nun ist er an der Reihe. Mawa wird aus dem Käfig mit der Erdnussvorrichtung gelockt und Baluko nimmt seinen Platz ein und … es passiert zunächst nichts. Nach einer Weile wird er unruhig, rennt umtriebig im Käfig hin und her, kreischt und tritt gegen die Tür. Er will offensichtlich Erdnüsse, aber die eigentlich simple Geste vollführt er nicht.
Nach einer Weile notiert Tennie einen ausbleibenden Lerneffekt bei Baluko. Der Schimpanse hat bis dahin insgesamt 170 mal gesehen, wie Mawa die spezielle Geste macht und eine Erdnuss bekommt und hat sie nie imitiert. Auf diese Weise testete Tennie insgesamt 15 Probanden, von denen keiner den im Experiment provozierten Lerneffekt zeigte.
Methodisch hat Tennie ein absolut sauberes Experiment durchgeführt und ist sich doch unsicher, ob er aus dieser Arbeit eine Doktorarbeit mit der Chance auf Veröffentlichung machen kann. Ein negativer Ausgang eines Experiments wird in der Fachwelt sehr kritisch betrachtet, denn auch Mängel in der Planung oder Ausführung könnten der Grund für den Fehlschlag sein und werden schnell von den Kollegen unterstellt.
Prof. Eric-Jan Wagenmakers ist im Bereich der methodischen Psychologie tätig und arbeitet an der Verbesserung von wissenschaftlichen Studien. In seinem eigenen Gebiet sind 95 Prozent der Veröffentlichungen Positivmeldungen und zahlreiche Experimente mit negativem Ausgang werden häufig nie veröffentlicht. „Wenn aber nur noch positive Resultate veröffentlicht werden“, sagt Wagenmakers „dann repräsentiert die wissenschaftliche Literatur nicht die Wirklichkeit“.
Neben der Unterbetonung von Negativmeldungen hat diese Handhabung auch für junge Wissenschaftler teils gravierende Folgen, wie Wagenmakers weiter ausführt: „Ich habe Doktoranden gesehen, die ihre gesamte Promotion mit dem Versuch verbracht haben, ein Phänomen zu replizieren. Am Ende haben sie es nicht geschafft und sogar ihre Laufbahn beendet, weil sie keine Veröffentlichung vorzuzeigen hatten.“
Für eine Positivmeldung muss eine vorher erdachte These bestätigt werden. Professor Brain Hare von der Duke Universität erklärt, dass in der Anthropologie die Bestätigung einer bestimmten Art von Thesen meist gerne gesehen, beinahe erwartet wird: „Wir lieben es, Ähnlichkeiten zwischen Menschenaffen und Menschen zu finden“. Demzufolge stossen solche Resultate eher auf offene Ohren, als das Gegenteil und werden daher auch viel häufiger veröffentlicht.
So kam es auch, dass in der Schimpansenforschung zahlreiche Resultate publiziert wurden, die am Ende nicht mehr haltbar waren, wie z.B. Affenmütter, die ihren Kindern das Nüsseknacken beibringen würden oder die Fähigkeit von Artgenossen zu lernen, welche Gegenstände als gute Werkzeuge dienen.
Tennies Arbeit wurde letztlich doch veröffentlicht, auch wenn es fünf Jahre gedauert hat. Ein Grund für seinen Erfolg war sicherlich sein renommierter Doktorvater Michael Tomasello und sein eigener guter Ruf, aber auch weil er einfach exakt und sauber gearbeitet hat. Heute hält er Vorlesungen für junge Doktoranden in denen er so manche Veröffentlichungen über Schimpansen richtigstellen muss und aufzeigt, dass es doch noch gravierende Unterschiede zwischen Schimpansen und Menschen gibt, die in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung kleiner geworden sind, als sie letztlich wirklich sind.