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Tamiflu: Milliardengeschäft mit einem wirkungslosen Grippemittel?

11.04.2014 |  Von  |  News

Denkt man an die Schweinegrippe-Panik von 2009 zurück, kommt einem vor allem eines in den Sinn: die irrsinnigen Vorräte an Anti-Grippe-Mitteln, mit denen die Regierungen sich eingedeckt haben.

Tamiflu ist das bekannteste und meistverkaufte unter ihnen.Ein internationales Forschergremium kommt in diesen Tagen allerdings zu dem Ergebnis, dass die Wirksamkeit von Tamiflu sehr zu wünschen übrig lässt.

Der Hersteller Roche wehrt sich natürlich dagegen; die Zulassungsbehörde Swissmedic wusste von der Kritik, sieht aber keinen Handlungsbedarf. Ein Blick hinter die Kulissen einer Industrie, die vom Kranksein und der Angst davor lebt.
Wissenschaftler der internationalen Cochrane Collaboration kamen – nach einem mehr als vier Jahre andauernden Kampf um die Einsichtnahme in entsprechende Studiendaten – zu einem recht ernüchternden Ergebnis, was die Wirksamkeit von Tamiflu angeht. Cochrane ist ein unabhängiges Forschergremium, das mit systematischen Übersichtsstudien die Wirksamkeit von medizinischen Therapien bewertet. 20 Studien zu Tamiflu und 26 zu Relenza (einem ähnlichen Arzneimittel von GlaxoSmithKline) mit insgesamt 24’000 Teilnehmern werteten die Wissenschaftler aus.

Ergebnis: Die Grippesymptome dauerten mit Tamiflu bei Erwachsenen nur 6,3 statt 7 Tage, bei sonst gesunden Kindern verkürzten sie sich um einen Tag. Die Forscher fanden keinen Hinweis darauf, dass das Medikament die Zahl von Spitaleinweisungen oder von ernsthaften Komplikationen wie Lungenentzündung reduziert. Stattdessen konnten sie einen deutlichen Anstieg von Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen sowie ein erhöhtes Risiko für psychische Probleme, Nierenprobleme und Kopfschmerzen ausmachen. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in dem britischen Journal „British Medical Journal“ (BMJ).

Roche und die Swissmedic wiegeln ab

Roches Reaktion? Im BMJ widersprach das Unternehmen den Cochrane-Ergebnissen. Begründung: Fehlanzeige, lediglich die Feststellung, die Wirkstoffe der Grippemittel seien „eine essenzielle Behandlungsoption für Patienten mit Grippe“. Auch die Swissmedic, ihres Zeichens für die Zulassung von Tamiflu zuständig, sieht keinen Bedarf dafür, an der Legitimität des Virustatikums als Arzneimittels zu rütteln. Der Vorwurf, Tamiflu sei von bescheidener Wirkung, sei mehrfach in der Öffentlichkeit diskutiert und gelegentlich auch publiziert worden, so Claus Bolte, Leiter der klinischen Abteilung bei Swissmedic.

Laut Bolte sind die von Cochrane veröffentlichten Ergebnisse keine Überraschung: „Es gibt Patientengruppen, bei denen dieses Arzneimittel nicht hilft.“ Das sei auch in den Fachinformationen der Swissmedic differenziert dargestellt. Was die Schweizer Regierung seinerzeit nicht davon abhielt, das zumindest teilweise unwirksame Anti-Viren-Mittel tonnenweise einzukaufen und zu lagern.

Das Riesengeschäft mit der Angst

Über drei Milliarden Franken setzte Roche allein im „Schweinegrippen-Jahr“ 2009 mit Tamiflu um, seit 2002 sind es über zehn Milliarden. Durch die Angst vieler Regierungen vor einer Pandemie des H1N1-Virus vor fünf Jahren steigerte sich der Absatz an Tamiflu in jenem Kalenderjahr um sage und schreibe 435 %. Die Gründe für die weltweite Panik erschliessen sich aus heutiger Sicht nicht mehr. An Schweinegrippe starben weniger Menschen als durch Haiangriffe.


Ein Milliardengeschäft: die Pharmaindustrie.

Ein Milliardengeschäft: die Pharmaindustrie. (Bild: © Gina Sanders – Fotolia.com)


Da drängt sich doch der Verdacht auf, die Pharmaindustrie könnte ihren sinkenden Gewinnmargen im normalen Apothekengeschäft (bedingt durch die Sparzwänge der Krankenkassen wie z.B. in Deutschland in Form der Rabattverträge) durch entsprechende Lobbyarbeit entgegengewirkt haben. Dass die Regierungen einfach nur ihrer Pflicht zum Schutz der Bevölkerung vor Pandemien nachgekommen sind, scheint aufgrund der extremen Kluft zwischen prognostizierter und tatsächlicher Gefahr kaum glaubhaft.

Und nun ist das angebliche Wundermittel gegen Viren scheinbar wirkungslos. Wie eine Lebensversicherung betrachteten und betrachten es immer noch viele Menschen; gegen Viren ist nämlich kaum ein Kraut gewachsen, ein echtes Pendant zu den Bakterien tötenden Antibiotika gibt es nicht. Meist ist es das Immunsystem, das den Kampf gegen ein Virus austrägt und auch gewinnt. Lediglich in Extremfällen, bei sehr aggressiven, sich schnell vermehrenden oder trickreichen Erregern wie Ebola oder HIV muss ein externes Hilfsmittel her. Auf die Schweinegrippe in ihrer damaligen Form – dem Stamm H1N1 – trifft dies jedenfalls nicht zu. Wobei hier anzumerken bleibt, dass Viren mutieren und so ein völlig neues Gefahrenpotenzial ausbilden können.

Doch man unterschätzt nicht die Wirkung eines Virus, wenn man die Informationspraxis der Pharmaunternehmen hinterfragt. Woher stammen z.B. die Daten, die für die Zulassung eines Arzneimittels erforderlich sind? Die Antwort: vom Unternehmen selbst, es basiere „vieles auf Vertrauen“, so Claus Bolte. Man verlasse sich einfach darauf, dass die Unternehmen alle notwendigen Informationen einreichen. Informationen, die ohnehin mit Vorsicht zu geniessen sind. Von den 74 von Cochrane untersuchten Studien wurden alle von Roche selbst finanziert.

„Cui bono“ als Schlüssel zum besseren Verständnis

„Wem nützt es“ (lat. cui bono) sollte man sich bei undurchsichtigen Winkelzügen immer fragen. Die Pharmaindustrie verdient ihr Geld nicht mit Gesunden, sondern mit Kranken – oder solchen, die welche zu sein oder zu werden glauben. Da Pharmaunternehmen in erster Linie wirtschaftliche Betriebe sind, gilt ihr Interesse der Gewinnmaximierung, nicht der Bekämpfung von Krankheiten. Die Regierungen spielen das Spiel der Konzerne in der Regel fröhlich mit – zu gross der Einfluss der Lobbyisten, zu stark vielleicht die Verflechtung Einzelner in die Profitstrukturen der Industrie.

Für den kleinen Bürger bleibt nur die Schlussfolgerung: Gesund bleiben ist besser als krank werden. Wer auf einen gesunden Lebensstil achtet, beugt z.B. dem Krebsrisiko deutlich vor – mit Zytostatika verdienen Roche & Co übrigens sogar noch mehr als mit Virustatika. Und wenn doch einmal der Krankheitsfall eintritt, sollte man sich gut informieren, bevor man ggf. eine teure Behandlung mit synthetischen Medikamenten beginnt. Oft gibt es verblüffend einfache, natürliche Heilmittel, von denen uns die Pharmabranche natürlich nichts erzählt.

 

Titelbild: © schepers_photography – Fotolia