Des Armeechefs Vorsorge und die wahren Ausmasse des Katastrophenschutzes
von Alin Cucu
Mit einem selten gehörten Ratschlag an die Schweizer Bevölkerung hat Armeechef André Blattmann für Aufsehen gesorgt. Er rät seinen Landsleuten, für den Katastrophenfall Notvorräte anzulegen. Dafür erntet er zum Teil Häme.
Das ist jedoch mehr als unangebracht. Blattmanns Vorschläge greifen sogar zu kurz. Katastrophenschutz ist nämlich nicht nur eine Frage der Lebensmittel – sondern auch der Finanzen.
Im Interview mit der „Schweiz am Sonntag“ äusserte der Armeechef entsprechende Tipps. Er begründete sie mit der veränderten Sicherheitslage in Europa durch die Krim-Krise und allgemein die Situation in der Ukraine.
Zwar blieb er etwas diffus dahingehend, wie Ukraine-Krise und Schweizer Notvorräte zusammenhängen. Eine mögliche Achillesferse der Schweizer Gesellschaft liefert zum Beispiel der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel. Er spricht davon, dass vor allem die Schweizer Wirtschaft angreifbar sei, und zwar über die Banken, welche Millionen- oder Milliardenvermögen russischer Oligarchen horten. Russland gerate nämlich immer stärker unter Druck seitens der USA, so Stahel. Und ein probates Mittel, ein Land wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, ist zweifelsohne das Einfrieren von Bankkonten.
Kein an den Haaren herbeigezogenes Szenario also – und dennoch meinen manche Zeitgenossen, darauf mit Spott reagieren zu müssen. So etwa SP-Nationalrat Cédric Wermuth. Für ihn sind Blattmanns Ratschläge nichts als „billigste Panikmache vor der Gripen-Abstimmung“. Ob und inwiefern die Äusserungen des Armeechefs politisch motiviert sind und eine bevorstehende Abstimmung beeinflussen sollen, sei einmal dahingestellt. Nicht wegzudiskutieren ist ihre Relevanz.
Notfallvorbereitung – offiziell gewollt, aber ungeliebt
Dass die Bevölkerung auf Katastrophen vorbereitet sein soll, ist seit vielen Jahren erklärtes Credo der Innenministerien in ganz Europa – zumindest theoretisch. Praktisch können sich offenbar viele Mitbürger nicht mehr vorstellen, dass ein Katastrophenfall eintreten kann, anders ist der idiotische Spott nicht zu erklären. Er gleicht dem Verhalten verwöhnter Kinder, die alle ihre geschenkten Süssigkeiten auf einmal aufessen und diejenigen auslachen, die sich die Zuckervorräte auslachen – nur um am Ende zu merken, dass der Nachschub nicht automatisch mit dem Ende der Schoggi kommt.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist für die grosse Masse der Bevölkerung in Mitteleuropa der Katastrophenfall ein Stück weit entrückt. Nur vereinzelt bekommen die Menschen etwa bei Naturkatastrophen wie Bergrutschen oder Überschwemmungen die Härte des Katastrophischen zu spüren. In Deutschland hat vor einigen Jahren das Bundesinnenministerium reagiert und ein Programm gestartet, das allen Institutionen und Vereinen kostenlose Erste-Hilfe-Kurse ermöglicht, falls diese einen vom Ministerium vorgegebenen Teil über Notfallvorsorge beinhalten.
Der Katastrophenfall ist näher als die meisten denken. Man braucht dabei nicht einmal über Krieg nachzudenken, um auf mögliche Szenarien zu kommen. Es reicht schon sich auszumalen, dass Russland dem Westen den Gashahn zudreht – Heizungen fallen aus, Gaskraftwerke laufen nicht mehr, der Strom könnte ausfallen. Wer hat dann genügend Kerzen auf Lager? Haltbare Lebensmittel? Auch die Kühlregale der Supermärkte sind dann betroffen. Mineralwasser? Auch Trinkwasseraufbereitungsanlagen könnten ausfallen, das Leitungswasser wäre nicht mehr trinkbar (zumal in Etagenwohnungen das Wasser auch nur mittels stromgetriebener Pumpen ankommt). Blattmann offenbarte in dem Interview, dass er selbst stets etwa 300 Liter stilles Wasser daheim hortet.
Finanzkrise à la Zypern – die unsichtbare Katastrophe
Noch wahrscheinlicher, nicht aber weniger einschneidend ist jedoch eine andere Form der Katastrophe: die des Finanzcrashs. Dazu muss man nur nach Zypern schauen. Im vergangenen Jahr waren dort zwei Wochen lang die Banken geschlossen. Grund: Die Geldinstitute, allen voran die Bank of Cyprus und die Laiki Bank, hatten massive Verluste mit griechischen Staatsanleihen gemacht und standen kurz vor der Insolvenz. Bis zu dem Zeitpunkt, da Finanzhilfen der EU zugesagt wurden, konnten die Bürger zunächst gar kein Bargeld, dann nur geringe Mengen abheben. Auch Online-Banking und Kartenzahlungen waren nur bis zu einer bestimmten Grenze erlaubt.
Was würden Sie machen, wenn Sie vom Bankomaten nichts mehr bekommen? Nur noch mit Karte zahlen? Das mag bis zu einem gewissen Grad auch noch gehen. Fraglich ist natürlich, ob nicht auch die Geschäfte lieber Bares sehen wollen, schliesslich sind die „Bits & Bytes“-Girokonten durch Insolvenzen und Zwangsabgaben bedroht. In jedem Fall ist es das Beste, Barreserven zu Hause zu haben. Drei volle Monatsgehälter wäre das Optimum, meinen Experten, wer sich das nicht leisten kann, ist auch mit dem Haushaltsgeld für einen Monat beginnen.
Kluge Finanzfüchse mögen hier einwenden: „Und die Inflation?“ Stimmt, das Bargeld, oder, um es gleich bei seinem Wert zu greifen, Papiergeld, verliert an Wert. Eine Möglichkeit wäre, die Barreserven etwa alle drei Monate auszugeben und durch frische zu ersetzen. Eine andere, weniger aufwändige sieht eine Streuung der Rücklagen vor. Entgegen allen Unkenrufen sind Edelmetalle immer noch etwas, das immer Wert haben wird, und sich in extremen Krisen auch wieder zu Geld- oder Sachwerten machen lässt.
Lachen über Blattmann? Völlig unangebracht. Auch die Schweiz ist trotz ihrer besonderen und privilegierten Stellung nicht gefeit vor Katastrophen jeglicher Art. Es wird Zeit, umzudenken und das Ungeliebte endlich als möglich zu betrachten.
Oberstes Bild: © Steller’s – Fotolia