Finanzplätze: London interessanter als Schweizer Standorte
von Agentur belmedia
Rund 215’000 Vollzeitkräfte waren Ende 2012 in Banken, Versicherungsunternehmen und anderen Finanzinstitutionen beschäftigt. Neben den wichtigsten Schweizer Finanzplätzen Zürich und Genf etablieren sich seit geraumer Zeit mehr und mehr auch Basel und Tessin. Finanzdienstleister finden hier also beste Bedingungen, meint man. Aber die Realität bietet ein anderes Bild: Junge Schweizer Finanzdienstleistungsunternehmen kehren der Schweiz den Rücken und richten ihren Blick nach London.
Finanzdienstleister geben dem Zugang zum gesamten EU-Raum den Vorrang
Es gibt vielschichtige Gründe für diese Trendwende. Einer der wichtigsten Gründe, dass London als Finanzplatz in den Fokus der Schweizer rückt, ist aber der mögliche Zugang zu potenziellen Kunden im gesamten Raum der Europäischen Union. Schweizer Firmen können aufgrund der damit verbundenen europäischen Regulierung auch weiterhin in vollem Umfang die Betreuung europäischer Kunden übernehmen und auch die Akquise von Neugeldern betreiben.
Daraus ergibt sich ein riesiger Vorteil, wobei der europäische Pass eine wesentliche Rolle spielt. Beispielsweise können sich Schweizer Firmen, die in der Vermögensberatung tätig sind, der britischen Bankenaufsicht unterstellen und vom Arbeitskräfte-Markt der jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten profitieren. Sie suchen dort ihr Personal. Diese neu eingestellten Arbeitskräfte können dann direkt in ihren Herkunftsländern tätig werden, um neue Kunden zu akquirieren oder Bestandskunden zu beraten.
Trauer um „alte Zeiten“ hält bei Schweizer Finanziers an
In dieser enormen Bedeutung des nicht limitierten Zugangs zum europäischen Markt liegt die Ursache, dass die Schweizer Finanzbranche sich von Finanzplätzen wie Zürich, Genf & Co. abwendet und London den Vorzug gibt. Inzwischen ist hinlänglich bekannt, dass Schweizer Banken Aufträge zur Betreuung und Verwaltung grosser Vermögenswerte nicht bekamen, weil sie keinen EU-Sitz hatten. Auch wenn in London keiner mit Samthandschuhen arbeitet, zieht es doch aufgrund der Vorteile viele junge Schweizer Finanzunternehmen dorthin. Zumindest wird am neuen Ort der Begierde ein Ableger gegründet.
Dass vor allem Schweizer Start-up-Unternehmen beziehungsweise noch unverbrauchte Schweizer Unternehmen den Finanzplatz an der Themse vorziehen, ist für Branchenkenner keine Überraschung. Sie sind sich einig in der Feststellung, dass diese jungen Unternehmen nicht verwöhnt sind von den „guten alten Zeiten“ in der Schweiz. So war es beispielsweise durch das Bankengeheimnis vergleichsweise einfach, Geschäfte mit unversteuerten Geldern zu machen. Den alteingesessenen Schweizer Grossbankern fällt es deshalb nicht leicht, in der heutigen Welt, die von Globalisierung und Digitalisierung geprägt ist, Geld zu verdienen. Es hat den Anschein, dass sich im Schweizer Finanzsektor Lethargie breitmacht. Viele Banken schreiben Verluste und Investmentbanker sowie Mitarbeiter in der Vermögensberatung und -verwaltung stehen einer rosigen Zukunft auf dem Arbeitsmarkt eher skeptisch gegenüber.
Liechtenstein zeigt mit neuen Geschäftsmodellen, wie es funktioniert
Während Schweizer Banker über mangelnde Unterstützung seitens der Politik lamentieren, statt selbst aktiv zu werden, zeigt das kleine Fürstentum Liechtenstein wie das Ruder umgelegt wird. In Liechtenstein hat man es nach der Talfahrt durch die Schwarzgeldaffäre verstanden, neue Kunden und neues Geld zu akquirieren. Führende Liechtensteiner Finanziers verloren keine Zeit, um neue, tragfähige Geschäftsmodelle in die Tat umzusetzen.
Pascal Saint-Amans, der bei der OECD für Steuerfragen zuständig ist, lobte Anfang September die Liechtensteiner Verfahrensweise. Er ging sogar so weit, dass er dem Fürstentum eine Art Vorreiterrolle bei der Abkehr von Schwarzgeldgeschäften zusprach. Anders in der Schweiz: Hier fehlt es an eigenen Impulsen, alternative Lösungen zu den bisherigen Geschäftsmodellen zu finden. Die Folgen sind drastisch. So belegt eine Studie der Beratungsgesellschaft PwC, dass möglicherweise die Schliessung von bis zu 40 Schweizer Privatbanken bevorsteht.
Schweizer Finanzbranche will 2015 der Lethargie den Kampf ansagen
2015 wird sich alles ändern. Die auf ein nicht mehr vertretbares Niveau abgesackte Vermögensverwaltung soll auch in der Schweiz endlich wieder Erfolge wie früher feiern. Bis dahin soll ein Masterplan der Bankiervereinigung (SBVg) vorliegen, der anhand konkreter Massnahmen zeigt, wie die Schweizer Finanzplätze für das Asset-Management vorbereitet werden. Dabei kann es sich allerdings nur um einen Impuls handeln, die eigentliche Arbeit zur Erschaffung eines Asset-Management-Clusters muss von den führenden Kräften der Finanzbranche selbst gestemmt werden.
Bis es so weit ist, wird wohl London das erstrebenswerte Ziel besonders der Newcomer der Schweizer Finanzbranche bleiben. Die Stadt an der Themse übt geradezu eine magnetische Wirkung auf junge Finanzunternehmen aus. Trotzdem sollte sich die Schweizer Finanzwelt davon nicht einschüchtern lassen, so Thomas Sutter von der SBVg. London sei als Finanzplatz ohne Zweifel ein starker Konkurrent, doch keiner, dem nicht mit genügend Selbstvertrauen die Stirn geboten werden könne.
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