Filmrezension “Exodus”: Entzauberter Krieg der Götter

Der “Exodus”, der Auszug des Volkes Israel aus der ägyptischen Sklaverei, gehört zu den epischsten und dramatischsten Geschichten der Bibel. Einen besseren Stoff könnte es für Monumentalkino des 21. Jahrhunderts nicht geben.

Technisch hat Regisseur Ridley Scott auch alles ausgeschöpft, was das moderne 3D-Kino hergibt. Die Story wurde, wie bei vielen Literaturverfilmungen, abgeändert – diesmal aber nicht zum Nutzen des Streifens.


400 Jahre lang sind die Hebräer Sklaven in Ägypten. Ein ganzes Volk, von einem kaum hundert Seelen starken Stamm zu einer Millionenpopulation angewachsen, muss für den Pharao und seine Prachtbauten schuften. Dem Pharao wird das Wachstum der Israeliten zu bunt; so gross ist seine Angst vor einem Umsturz, dass er die Hebammen der Hebräer anweist, alle männlichen Neugeborenen sterben zu lassen. Mindestens einer jedoch kommt davon, weil seine Mutter ihn in einem abgedichteten Schilfkorb im Nil aussetzt – Mose. Er wird von der Tochter des Pharao gefunden und grossgezogen.[vc_message color=“alert-success“ style=“rounded“]

  • Beeindruckende Bilder & Actioneffekte
  • Engagierter Mose-Hauptdarsteller
  • Berührende, emotionale Momente

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  • Ungereimtheiten im Plot
  • Darstellung von Macht und Wundern zögerlich
  • Zu starke Abweichungen von der biblischen Vorlage

[/vc_message]Etwa 60 Jahre später führt eben jener Mose sein Volk aus der Gefangenschaft. Von Gott berufen, fordert er dem Pharao auf, die Israeliten ziehen zu lassen. Auf die hartnäckigen Weigerungen des Königs von Ägypten reagiert Gott mit immer schlimmer werdenden Plagen, die Mose dem Pharao zuvor androht. Nachdem in einer Nacht alle Erstgeborenen Ägyptens sterben, die Kinder der Hebräer aber unversehrt bleiben, jagt der Pharao die Israeliten förmlich aus dem Land. Jedoch nur, um ihnen einige Tage später doch mit seiner Streitmacht hinterherzujagen – und im Roten Meer zu versinken, welches Gott, nunmehr in einer Feuersäule seinem Volk vorausgehend, für die Israeliten geteilt hat.

Scheu vor dem Übernatürlichen

Soweit die biblische Geschichte, zu finden in Exodus (2. Mose) Kapitel 1-14. Ich stelle mir in aller Vorfreude Mose vor, wie er “glühend vor Zorn” (2. Mose 11,8) vor dem Pharao steht und ihm seinen Stab hinwirft, der zur Schlange wird. Wie der Pharao, nach ägyptischer Auffassung selbst Gott, sich trotz deutlicher Warnzeichen gegen den Höchsten empört, der genauso unsichtbar ist wie er durch die übernatürlichen Plagen greifbar wird. Wie anderthalb Millionen Menschen durch eine Schneise zwischen hunderte Meter hohen, geronnenen Flutwellen hindurchziehen. Doch “Exodus” hat eine seltsame Scheu vor allem Übernatürlichen und der Darstellung schierer Macht. Dadurch banalisiert er so manches, was einem Monumentalfilm dieses Kalibers erst ausmacht.


Ramses vs. Mose: Sie stehen sich im Film näher als in der Bibel. (Screenshot Filmtrailer)

Das Problem nicht in den zahlreichen Hinzufügungen. Dass Mose quasi ein Sandkastenfreund des späteren Pharaos war, ist nicht einmal unwahrscheinlich. Auch die Liebesgeschichte zwischen Mose und Zippora ist ein gar willkommenes Element. Wirklich schade finde ich, dass die Drehbuchautoren die Berufung Moses so zerhackt darstellen. Gott begegnet ihm zwar im brennenden Dornbusch, aber ihm wird nicht klar mitgeteilt, dass er vom Pharao die Freilassung seines Volkes fordern soll. Er tut dies zwar, indem er sich nachts in die Stallungen des königlichen Palastes schleicht und seinem “Bruder” das Schwert an den Hals hält. Das wirkt aber unglaubwürdig – als ob sich mächtigste König der damaligen Welt einfach so einschüchtern liesse!

Mose als Guerrillakämpfer

Die Folge sind öffentliche Hinrichtungen von Hebräern mit dem Ziel der Auslieferung Moses. Dieser wiederum bildet seine Volksgenossen zu Kämpfern aus und verübt Anschläge auf Nahrungsspeicher und Transportschiffe. Mose als Guerillaführer? Davon gibt es auf der Leinwand schon genug. Hier schmälert diese Interpretation eindeutig die Wucht der Geschichte.
Überhaupt stellen die Produzenten vieles zu zeitgenössisch dar. Der Pharao ist ein nicht immer ganz standfester Hitzkopf mit zärtlichen Vatergefühlen, der schon mal seinen kleinen Sohn in den Schlaf schaukelt. Nicht dass ich irgendwas gegen liebevolle Väter hätte, aber einen ägyptischen Gott-König stelle ich mir irgendwie unnahbarer, majestätischer, unbewegter vor.



OK, der Pharao war auch nur ein Mensch, aber warum ist dann der wahre Gott im Film nicht viel besser? Zumindest finde ich die Darstellung als kleinen Jungen fehl am Platze. Anderswo mag man damit bestimmte Eigenschaften Gottes hervorheben, in der Exodusgeschichte tritt Jahwe jedoch als “Kriegsheld” (2. Mose 15,3) auf. Und wenn man schon ein Kind nimmt, dann doch bitte eines, das wenigstens ein bisschen entrückt wirkt – der Junge in “Exodus” benimmt sich jedoch irgendwie zickig, als hätte er ein zu grosses Ego für seinen kleinen Körper. Ausserdem betreibt er mit Mose ein seltsames Versteckspiel, gespickt von Vorwürfen, was ihn nicht gerade erhabener macht.[vc_message color=“alert-info“ style=“rounded“]Update 30.12.14: Inzwischen mir zu Ohren gekommen, dass Ridley Scott abgestritten haben soll, bei dem Jungen handele es sich um Gott. Vielmehr sei er nur Gottes Botschafter. Stimmt, darüber beklagt sich auch Mose im Film („Ich bin es satt, mit einem Botschafter zu sprechen!“).

Für mich macht es das Kraut auch nicht fett. Wie der Botschafter, so der Gott. Eine blosse Stimme vom Himmel her wäre wahrhaftiger und effektvoller gewesen.[/vc_message]Meine Vorfreude wurde auch bei der Abhandlung der Plagen enttäuscht. Sie kommen im Film unvermittelt und in schneller Abfolge, ohne dass Mose den Pharao vor irgend etwas warnen kann. Das ist nicht nur unfair, sondern nimmt der Geschichte auch ihren wesentlichen Spannungsbogen. Interessant, aber zu rational: die naturwissenschaftliche Erklärung der Plagen durch einen Hofbeamten, der Nil-Faulschwamm, Fischtod, Frösche und Fliegen in einen Kausalzusammenhang bringt.

Und schliesslich die Teilung des Meeres. Sie ähnelt im Film mehr einer Evolution denn einer Revolution. Langsam bläst eine steife Brise das eher knietief wirkende Wasser beiseite, lediglich am Ende wird das wahre Ausmass der Fluten deutlich. Dass Ridley Scott die göttliche Feuersäule wegrationalisiert hat, vervollständigt das Bild vom machtscheuen “Teilzeit-Gott”.


Filmszene: Pharaos Armee reitet geradwegs in die Fluten hinein. (Screenshot Filmtrailer)

Kult des Zweifels

Auf der anderen Seite Mose, der in “Exodus” eine wenig beeindruckende spirituelle Reise vom Agnostiker zum halb glaubenden Zweifler durchmacht. Dabei bricht sein harter Zweifelskern nie wirklich auf, zu keinem Zeitpunkt im Film läuft er zu Höchstform in Sachen Gottvertrauen auf. Schade, auch hier hätte man, unter Wahrung der Künstlerfreiheit, mit etwas mehr Nähe zum biblischen Text eine wunderbare Persönlichkeitsentwicklung darstellen können. Vielleicht wollten die Drehbuchautoren um Steven Zaillian einen zu heroisch und zu oberflächlich gezeichneten Mose vermeiden; ich finde, sie sind dabei über das Ziel hinausgeschossen, weil Zweifel im Leben nun mal den Anfang eines Weges begründen und nicht den Weg selbst.

Andere Zweifler kommen dafür zu wenig zu Wort, nämlich die Hebräer, die allen Grund hatten ihren Führer infrage zu stellen, nachdem die Plagen zunächst keine Linderung ihrer Situation brachten.

Ungereimtheiten und Lobenswertes

Auch in anderer Hinsicht hätte dem Film eine genauere Befolgung der biblischen Vorlage gut gestanden. Als Grund für Moses Verbannung vom ägyptischen Hof wird seine hebräische Herkunft genannt, als ob diese ein grosses Geheimnis dargestellt hätte (sogar Ramses’ Vater stellt im Film fest, dass Mose nicht “von seinem Blut” sei). Dass Mose zwei ägyptische Wachen erschlägt, kommt im Film zwar vor, findet aber keine weitere Anwendung; dabei musste laut Altem Testament Mose genau deswegen fliehen.
Leider ziehen sich die Ungereimtheiten bis zum Ende durch. Da stehen sich nämlich Mose und Ramses inmitten der zurückkehrenden Fluten des Roten Meeres gegenüber. Völlig unklar ist, warum sich Mose das antut, statt einfach zu seinem Volk zu fliehen und den Pharao dem Meer zu überlassen. Aber vielleicht handelt dieser Film ja auch mehr vom Ego-Kampf zweier Männer als vom Kampf Gottes.

Genug kritisiert – es gibt auch Lobenswertes. Zum Beispiel die tief emotionalen Momente, als etwa der unendlich süsse Sohn des Pharao sein Leben aushaucht. Oder dass der Film abgedroschene und stilisierte Gottesbilder vermeidet und dem Zuschauer einiges an Denk- und Diskussionsstoff mitgibt. Am Ende ist es eine unnötig entzauberte Epochalgeschichte, die qua ihrer originären Kraft postweihnachtliche Unterhaltung mit Mehrwert darstellt.

 

Oberstes Bild: Screenshot Youtube (Filmtrailer)

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