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The Black Book of Carmarthen – Neue wissenschaftliche Erkenntnisse rücken die Handschrift wieder in den Fokus der Forschung

08.07.2015 |  Von  |  Beitrag

The Black Book of Carmarthen – so lautet der Titel einer der bedeutendsten, in kymrischer Sprache verfassten Sammelhandschriften, die wohl aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt. Das „Schwarze Buch“ enthält neben Gedichten auch zahlreiche Heldensagen aus der Zeit vom neunten bis zwölften Jahrhundert und ist das älteste walisische Manuskript, das König Artus und den Zauberer Merlin erwähnt.

Das uralte Buch wurde nun drei Jahre lang unter Zuhilfenahme neuester Technik von Wissenschaftlern der renommierten Universität Cambridge untersucht. Dabei machten die Forscher ebenso sensationelle wie unheimliche Entdeckungen, denn es starrten plötzlich nicht nur zwei Geisteraugen aus dem Manuskript, sondern die Wissenschaftler konnten auch bis dato verborgene Verse sichtbar machen. Auf diese Weise erhielt das Buch, das seit 1904 in der Nationalbibliothek von Wales lagert, für die Wissenschaftler abermals neue Bedeutung.

Faszinierende Geschichten rund um die Ritter der Tafelrunde

Das Schwarze Buch von Carmarthen ist eines derjenigen mittelalterlichen Manuskripte, die häufig im Mittelpunkt der Forschung stehen. Bereits im Jahr 1904 kaufte Sir John Williams, der Gründer der Nationalbibliothek von Wales, das Black Book of Carmarthen zusammen mit einigen anderen Manuskripten. Seitdem beschäftigen sich immer wieder Wissenschaftler mit dem Text, der etwa auf das Jahr 1250 datiert wird.

Das Manuskript umfasst 54 Pergamentseiten und erhielt seinen Namen aufgrund des schwarzen Einbandes. Bis heute nehmen Historiker an, dass es sich bei der Handschrift weder um eine Auftragsarbeit noch das Werk eines einzelnen Kopisten handelt. Für diese These sprechen auch der Inhalt und die grosse Bandbreite an unterschiedlichen Genres: Neben weltlichen Gedichten, Sagen, Mythen und religiösen Versen spielen vor allem walisische Volkshelden – besser bekannt als die Ritter der Tafelrunde – eine zentrale Rolle. So werden neben Lancelot und Parzival auch Tristan und Galahad, die sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral begeben hatten, namentlich im Buch erwähnt. Daneben wird von Zauberei, Gräbern und Kriegen sowie von König Artus berichtet.


Culhwch am Hof von König Artus – Illustration von Alfred Fredericks. (Bild: Wikimedia, public domain)

Culhwch am Hof von König Artus – Illustration von Alfred Fredericks. (Bild: Wikimedia, public domain)


Das Schwarze Buch wurde auf Walisisch verfasst

Das Schwarze Buch von Carmarthen die älteste noch erhaltene, ausschliesslich auf Walisisch verfasste Handschrift. Zwar existieren aus dem 13. Jahrhundert mehrere Handschriften, die von den Rittern der Tafelrunde und dem legendären König Artus berichten, allerdings sind diese – anders als das Black Book of Carmarthen – in lateinischer Sprache verfasst. Das in der Nationalsprache Walisisch verfasste Manuskript beinhaltet neben vereinzelten Hinweisen auf König Artus mehrere Bemerkungen zum Zauberer Merlin. So kommt dem Zauberer ebenso wie Taliesin, einem walisischen Barden, bereits im ersten Gedicht eine zentrale Rolle zu. Des Weiteren wird der grosse Zauberer, dessen Name auf walisisch Myrddin lautet, an einer anderen Stelle des Buches als wilder Mann charakterisiert.


Zauberer Merlin – Illustration von Howard Pyle, 1903. (Bild: Wikimedia, public domain)

Zauberer Merlin – Illustration von Howard Pyle, 1903. (Bild: Wikimedia, public domain)


In den letzten 100 Jahren wurde das Schwarze Buch von Carmarthen immer wieder zum Gegenstand der Forschung. Spektakuläre neue Entdeckungen gelangen nun Professor Paul Russel von der University of Cambridge und seiner Doktorandin Myriah Williams.

Sie durchleuchteten das Manuskript mit Hilfe von UV-Licht und bearbeiteten die Aufnahmen des Textes digital. Myriah William erklärte, die Verse und Zeichnungen, die sie im Zuge ihrer Forschungen fanden, würde die Handschrift in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen.

Grundsätzlich setzen Forscher – und dies bereits seit circa 50 Jahren – immer dann ultraviolettes Licht ein, wenn sie nicht lesbare Textpassagen antiker und mittelalterlicher Werke entziffern wollen. Allerdings gilt es, bei dieser Methode sehr sorgfältig zu arbeiten, denn die jahrhundertealten Handschriften reagieren auf Wärme und UV-Licht äusserst empfindlich. Deshalb werden im Rahmen der Digitalisierungsarbeiten ausschliesslich spezielle Lampen verwendet, so dass sich die Manuskripte nur geringfügig erwärmen.


Das Schwarze Buch von Carmarthen die älteste noch erhaltene, ausschliesslich auf Walisisch verfasste Handschrift. (Bild links: openlibrary.org, Wikimedia, public domain; Bild rechts: William Forbes Skene, Wikimedia, public domain)

Das Schwarze Buch von Carmarthen die älteste noch erhaltene, ausschliesslich auf Walisisch verfasste Handschrift. (Bild links: openlibrary.org, Wikimedia, public domain; Bild rechts: William Forbes Skene, Wikimedia, public domain)


Zwei aus dem Manuskript starrende Geisteraugen bremsen den Forscherdrang nicht

Von Interessen sind für die Forscher aus Cambridge jedoch nicht nur der Text der Handschrift, sondern auch die Randbemerkungen zum eigentlichen Text. Während ihrer Arbeit nutzten sie zudem eine neue Methode, die es ihnen ermöglichte, das Manuskript mit unterschiedlichen Lichtfrequenzen zu analysieren. Für ein optimales Ergebnis evaluierten sie bereits im Vorfeld genau, in welchem Winkel das Licht auf eine Textseite fallen muss. So gelang es ihnen, auch nahezu unlesbare Passagen und kaum erkennbare Konturen wieder sichtbar zu machen.

Während ihrer Arbeit betrachteten die beiden Wissenschaftler den Text unter einer ultravioletten Lampe und wurden plötzlich von zwei Augen angestarrt, die sich am unteren Seitenrand befanden. Während Paul Russel gegenüber der englischen Zeitung „The Independent“ einräumt, diese Entdeckung sei wirklich ein wenig gruselig gewesen, wurde der Forscherdrang bei Myriah Williams durch die Geisteraugen und die neu bzw. wiederentdeckten Verse nur noch intensiviert. Entsprechend beschreibt sie diesen Fund vielmehr als sehr aufregend und bemerkt, sie sei immer davon ausgegangen, alles über das Black Book zu wissen. Durch die neu entdeckten Geister und Verse erhalte die Handschrift jedoch eine völlig andere Gestalt.


Das uralte Black Book wurde nun drei Jahre lang von Wissenschaftlern der renommierten Universität Cambridge untersucht. (Bild: Tischenko Irina – shutterstock.com)

Das uralte Black Book wurde nun drei Jahre lang von Wissenschaftlern der renommierten Universität Cambridge untersucht. (Bild: Tischenko Irina – shutterstock.com)


Die Digitalisierung mittelalterlicher Manuskripte geht mit diversen Herausforderungen einher

Um ein Manuskript zu digitalisieren, muss es aufgeschlagen sein, und zwar auch dann, wenn es dem Erhalt der Handschrift schadet. Damit beim Scannen jeder einzelnen Seite eine möglichst hohe Farbreinheit gewährleistet wird, legen die Wissenschaftler eine entspiegelte und in Grösse und Format an das Buch angepasste Glasplatte darauf. Natürlich werden für den Scanvorgang ausschliesslich Glasplatten von maximal zwei Millimetern Stärke verwendet, um einer zusätzlichen Belastung des Manuskripts vorzubeugen. Letztlich wird jede digitalisierte Seite hochauflösend gespeichert, so dass bei folgenden Untersuchungen die Handschrift selbst nicht mehr verwendet werden muss.

Paul Russel und Myriah Williams sind sich am Ende des Digitalisierungsprozesses des Black Book of Carmarthen einig, dass sich ihre Sisyphusarbeit gelohnt hat, denn sie haben nicht nur eine digitale Ausgabe der Handschrift erzeugt, sondern sind auch auf neue Zeichnungen, Verse und Randbemerkungen gestossen, die belegen, dass das Schwarze Buch im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Besitzer in seinen Bann gezogen hat. Zwar, so das Forscherteam, seien diese Belege noch fragmentarisch, man arbeite jedoch daran, sie vollständig zu transkribieren.



Die walisische Handschrift zählt zu den wichtigsten Kulturgütern Englands

Beim Studium der einzelnen Seiten der Handschrift unter ultraviolettem Licht stiessen die Mediävisten neben gelöschten Skizzen auch auf die Fortsetzung eines Gedichtes. Diesbezüglich nehmen sie an, dass die einige der Besitzer das Black Book mit ihren Zeichnungen und Anmerkungen versehen und andere diese wieder ausradiert haben – möglicherweise, um der Handschrift wieder ein ansehnliches Aussehen zu verleihen.

Die beiden Forscher haben nun genau diese teils sorgfältig entfernten Anmerkungen widerentdeckt und erklären, dass die Notizen in erster Linie von Interesse für die walisische Nationalliteratur sein könnten. Sie begründen ihre These damit, dass die Anmerkungen über die vormalige Verwendung des Schwarzen Buches sowie dessen Bedeutung für die Menschen Auskunft geben. Des Weiteren gehen die beiden Mediävisten davon aus, dass die Randbemerkungen zu Ende des 16. Jahrhunderts entfernt wurden und fanden Anhaltspunkte, dass das Buch zur damaligen Zeit im Besitz eines Mannes namens Jasper Gryffyth war, der allem Anschein nach die Zeichnungen und Notizen aller Vorbesitzer der Handschrift ausradiert hat.

Vor diesem Hintergrund macht es für die aktuelle Forschung Sinn, das Black Book nicht als eine „fertige“ Handschrift aus einer bestimmten Epoche zu analysieren, sondern vielmehr den Text sowie die handschriftlichen Anmerkungen der jeweiligen Besitzer zu untersuchen. Auch Paul Russel geht davon aus, dass noch lange nicht alle verborgenen Textbausteine gefunden wurden und sich noch zahlreiche weitere sprachliche „Schätze“ entdecken lassen. Sicher ist zwar, dass Magie nicht im Spiel war, aber selbst wenn – der Forscherdrang der beiden Mediävisten aus Cambridge lässt sich auch durch gespenstische Erscheinungen nicht bremsen.

 

Oberstes Bild: Vadim Georgiev – shutterstock.com

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