Wetter-News: Komplizierte Welt der Mathematik?

In dieser Zeit des Schulanfangs – und um ein wenig über etwas anderes als eine Hitzewelle zu sprechen – laden wir Sie in die faszinierende und zu Unrecht gemiedenen Welt der Mathematik ein. Keine Panik!

Trotz des Titels ist zu beachten, dass dieser gesamte Artikel auch für diejenigen zugänglich ist, die durch Mathematik traumatisiert sind. Der schwierige Teil wurde an das Ende des Artikels verbannt und kann ohne Konsequenzen umgangen werden.

Wer Kinder hat weiss, dass viele wenig Begeisterung für Mathematik zeigen. Sie ist für die meisten kompliziert und nutzlos! Hinter dieser kryptischen und schwer zugänglichen Materie verbirgt sich jedoch eine der größten Errungenschaften der Menschheit und wahrscheinlich einer der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis des Universums.

Etwas Geschichtliches

Galileo Galilei (1564-1642) war der erste, der erklärte, dass „das Universum in mathematischer Sprache geschrieben ist“. Tatsächlich ist die Übereinstimmung zwischen Mathematik und Naturphänomenen so gross, dass viele Physiker glauben, dass die Mathematik nicht erfunden, sondern vom Menschen entdeckt wurde. Mathematische Gleichungen würden Naturphänomene nicht beschreiben, aber sie wären ihre eigentliche Grundlage. Versuchen wir anhand eines Beispiels im Zusammenhang mit dem Wetter dies zu veranschaulichen.


Bildnis von Galileo Galilei (links) und ein Auszug seiner Aufzeichnungen zur Entdeckung der Jupitermonde. (Quelle: Wikipedia)

Die mathematischen Gleichungen der Physik haben es in der Wissenschaftsgeschichte immer wieder ermöglicht, theoretische Entdeckungen zu machen, die der „physikalischen“ und experimentellen Entdeckung dieses oder jenes Phänomens manchmal sehr weit vorausgingen. Dies war zum Beispiel der Fall bei der von Einstein 1915 vorhergesagten und von Arthur Eddington während einer Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 beobachteten Ablenkung des Lichts in einem Schwerefeld oder schließlich näher bei uns durch die Entdeckung des Higgs-Bosons im Jahr 2012 (Bild am Anfang).

Wie alle Wissenschaften verwendet auch die Meteorologie ziemlich ausgefeilte mathematische Gleichungen. Manchmal finden einige Phänomene jedoch eine Erklärung in einer relativ einfachen mathematischen Formulierung, wie bei der Zirkulation von Winden um ein Tief- oder um ein Hochdruckgebiet.

Die Gradientenwindgleichung

Der Gradientwind ist ein Wind, der sich aus dem Gleichgewicht zwischen folgenden Kräften ergibt:
Der Kraft des Druckgradienten (FD), der Corioliskraft (FC) und der Zentrifugalkraft (FZ), die mit der Krümmung der Strömung um ein Tief oder um ein Hoch zusammenhängt. In einer freien Atmosphäre wo die Reibungskraft vernachlässigt werden kann, entspricht dieser Gradientwind praktisch dem tatsächlich beobachteten Wind.


Kräftegleichgewicht zur Berechnung des Gradientwindes. (Quelle: Wikipedia)

Die Windgeschwindigkeit des Gradientwindes kann mit folgenden Gleichungen berechnet werden:


Mathematische Gleichungen zur Berechnung des Gradientwindes für Hoch- und Tiefdruckgebiete. (Quelle: Wikipedia)

Ein Link zur Quelle (Wikipedia) und der genauen Herleitung der Gleichungen ist am Schluss aufgeführt.

Aus dieser Gleichung ergibt sich eine interessante Tatsache: Der Krümmungsradius eines Hochs hat eine theoretische Mindestgrenze, die mit der Geschwindigkeit der Strömung zusammenhängt, die es umfließt. Anders ausgedrückt: Je schneller die Strömung ist, desto größer muss der Radius des Hochs sein. Bei einem gegebenen Krümmungsradius darf die Strömungsgeschwindigkeit nicht größer sein als ein maximaler Grenzwert. Dies erklärt, warum Isobaren um ein Hochdruckgebiet nicht dicht an dicht liegen können, vor allem nicht in der Nähe des Zentrums, wo der Krümmungsradius am kleinsten ist.

Umgekehrt geht aus dieser Gleichung hervor, dass es um ein Tiefdruckgebiet herum keine theoretischen Beschränkungen für die Stärke des Druckgradienten gibt, weshalb kräftige Tiefs, tropische Zyklonen oder auch Tornados möglich sind.

Veranschaulichung dieses Prinzips durch die Extreme

Tiefdruckgebiete

Im Zentrum eines Hurrikans zum Beispiel sind die Isobaren so eng, dass es fast unmöglich wird, sie auf einer Karte zu zeichnen, wie im folgenden Beispiel gezeigt:


Vergleich zwischen einem extrem tiefen außertropischen Tiefdruckgebiet und einem Hurrikan (links) und der Taifun „Tip“ vor Japan am 12. Oktober 1979, der Rekordhalter für den niedrigsten je gemessenen Druck mit 870 hPa (rechts). (Quelle: Wikipedia)

Diese beiden Extrembeispiele reichen aus, um zu zeigen, dass Tiefdruckgebiete in ihrer Vertiefung tatsächlich keine Grenzen kennen und dass man sich noch stärkere Tiefs vorstellen kann als die hier dargestellten.

Hochdruckgebiete

Der bisher bestätigte Rekord in einem Hochdruckgebiet liegt bei 1083,8 hPa am 31. Dezember 1968 über Sibirien (Agata-Region, 261 m ü.M.).


Diese Karte aus dem Archiv von MeteoSchweiz zeigt einen Teil des Weltrekord-Hochs mit dem Zentrum Sibirien (in rot). Wie zu sehen ist, sind die Isobaren trotz sehr hoher Drücke (was auch beim Azorenhoch mit 1030 hPa in der Bildmitte der Fall ist) in der Nähe des Hochzentrums weit voneinander entfernt, da ihre Verengung in Abhängigkeit des Krümmungsradius theoretisch begrenzt ist. (MeteoSchweiz)

Schlussfolgerung

Es ist nicht schwer, „empirisch“ zu erkennen, dass ein Hoch, unabhängig von seiner Stärke, auf Wetterkarten immer in Form eines „riesigen Hügels“ erscheint, der an seinem Rand mehr oder weniger steil ist, während Tiefs in Form von echten Abgründen mit fast senkrechten Neigungen dargestellt werden können. Um den Grund zu verstehen, ist es jedoch notwendig, sich auf die Mathematik zu berufen.

Die Angemessenheit der Mathematik gegenüber der Realität und der Natur verbindet sich mit dem philosophischen Problem der Ideenwelt und der empirischen Welt, welche mehr als 2000 Jahre alt ist. Ist die Mathematik die „Sprache Gottes“, wie Newton vorschlug? Ist diese Angemessenheit das Ergebnis des Zufalls oder der Notwendigkeit? Wir werden uns davor hüten, uns zu entscheiden! Das Problem der Immanenz oder Transzendenz der Gesetze der Physik liegt an den Grenzen der Wissenschaft.

Verstehen, wer kann, glauben, wer will…

Weiterführende Literatur:


Entstehung des Higgs-Bosons nach der Kollision zweier Protonen im Large Hadron Collider (LHC) des CERN. Die Existenz des Higgs-Bosons, eines Elementarteilchens, wurde 1964 auf der Grundlage mathematischer Gleichungen postuliert. Experimentell nachgewiesen wurde sie jedoch erst 2012 mit Hilfe des LHC am CERN bei Genf.

 

Quelle: Bundesamt für Meteorologie MeteoSchweiz / Komplizierte Welt der Mathematik? – MeteoSchweiz (admin.ch)
Titelbild: commons.wikimedia.org

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