"Abtreibung ist Privatsache": Gutes Ziel, unausgegorene Argumente
von Alin Cucu
„Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“ – mit diesem Slogan wirbt die gleichnamige Initiative für Unterstützer. Am 9. Februar 2014 stimmt die Schweiz darüber ab, ob Abtreibungen künftig von den Frauen privat finanziert werden müssen oder weiterhin von den Krankenkassen getragen werden.
Ziel der Initiative ist, die Gesundheitskosten zu senken und die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren. Doch die hehren Ziele kranken an einem unausgegorenen Argumentarium.
„Es kann ja nicht sein, dass unsere Krankenkassen (…) ausgenutzt, ja sogar missbraucht werden für Dinge, die medizinisch überhaupt nicht begründet sind.“ So begründet SVP-Nationalrat Peter Föhn seine Unterstützung für die Initiative des überparteilichen Komitees mit Sitz in Münchenstein. Besucht man dessen Webseite, wird sofort der Impetus des politischen Vorstosses klar: es geht vordergründig um Finanzen. Das unterstreicht zum Beispiel das rote Portemonnaie links oben auf der Homepage.
„Wir können Kosten senken“ sagt auch Föhn. Der Gedanke: Frauen sollen Abtreibungen in Zukunft nicht mehr grundsätzlich von der Krankenkasse bezahlt bekommen, wie es seit 1981 der Fall ist. Wer abtreiben will, soll in die eigene Tasche greifen oder aber eine Zusatzversicherung abschliessen. Ausgenommen davon sollen nur Not- und Härtefälle wie Lebensgefahr für die Schwangere oder Schwangerschaften durch Vergewaltigungen sein. Die Initianten erhoffen sich Kostensenkungen um bis zu 20 Millionen Franken jährlich, die psychischen Folgekosten der Schwangerschaftsabbrüche noch nicht miteingerechnet. Genaue Zahlen zu diesen Kosten bleibt die Initiative zwar schuldig, zitiert jedoch eine Studie der britischen Wissenschaftlerin Priscilla Coleman, welche die massiven psychischen Folgen von Abtreibungen belegt.
Zweckmissbrauch der Krankenkassen?
Krankenkassen seien für die Gesundheit und für das Leben da, argumentiert das überparteiliche Komitee. Doch was ist eigentlich „Gesundheit“? Die WHO (World Health Organisation) etwa beschreibt Gesundheit als „nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern einen Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.“ Noch konkreter wird das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG): „Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die […] eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert […]“. (Art. 3 Krankheit) Die Argumentation von Abtreibungsbefürwortern geht und ging stets in die Richtung, dass eine ungewollte Schwangerschaft eine psychische Belastung für die Mutter darstelle – was sicherlich auch stimmt. Ob diese Art von psychischer Belastung freilich geeignet ist, eine Krankenkasse auf den Plan zu rufen, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass es auch Argumente für eine Zweckmässigkeit der Abtreibungsfinanzierung durch Krankenkassen gibt.
Leben retten
Die Initianten sind der Meinung, dass eine private Finanzierung von Abtreibungen deren Zahl zurückgehen lasse. Etwa 10 % der gut 10’000 in der Schweiz jährlich durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche sollen sich verhindern lassen können. Grundlage der Schätzung ist eine Metastudie des Guttmacher Institute in New York von 2009, die bei Privatfinanzierung einen Rückgang der Abtreibungen um ein Viertel ausmachte.
Freiheit für das Gewissen
Das dritte Standbein des „Privatsache“-Argumentariums ist die Gewissensfreiheit. „Diese Volksinitiative stellt die Gewissens- freiheit wieder her!“ sagt etwa Valérie Kasteler-Budde, die Co-Präsidentin des Initiativkomitees und EVP-Mitglied. Das Argument: Abtreibung als Bestandteil des Krankenkassen-Obligatoriums macht alle Beitragszahlenden zu „Mittätern“, auch gegen ihren Willen und ihre Überzeugung. Wenn Schwangerschaftsabbrüche privat finanziert werden müssten, wären die Krankenkassen-Franken wieder rein vom Blut abgetriebener Kinder – und das Gewissen ebenso.
Gutes Ziel – welcher ist der beste Weg dorthin?
Das Ziel, die Anzahl an Abtreibungen zu reduzieren und damit Leben zu retten, ist unstrittig gut und erstrebenswert. Der Weg über eine finanzielle Argumentation erscheint jedoch exponiert und angreifbar. Die jährlichen Krankenkassenkosten in der Schweiz betragen laut BAG über 22 Milliarden Franken – die Einsparungen durch privat finanzierte Abtreibungen würden demnach bestenfalls ein Promille betragen. Hinzu kommt, dass eine Schwangerschaft inclusive Geburt wesentlich mehr kostet als eine Abtreibung. Hier bereits begibt sich die rein finanzielle Betrachtung in absurdes Fahrwasser. Denn Geburten aus dem Leistungskatalog zu streichen, liegt den Initianten ja völlig fern. Jedenfalls bleibt unterm Strich ein dickes Fragezeichen stehen, ob die finanzielle Argumentation wirklich zugunsten der Abtreibungs-Privatfinanzierung ausschlägt. Auch die psychologischen und psychiatrischen Folgekosten dürften hier kaum eine eindeutige Faktenlage schaffen, zumindest solange sie nicht quantitativ erfasst sind.
Das, und die etwas plakative Behauptung, Krankenkassen sollen nur für die Gesundheit da sein, machen der Initiative unnötig zu schaffen. Auch ihre Geburt ist nicht ohne Vorzeichen, entstand die Idee doch aus einer anderen gescheiterten Volksinitiative – der gegen die Legalisierung von Abtreibung aus dem Jahre 2002. Damals entschied das Schweizer Volk klar mit 72 Prozent für die Fristenregelung, die Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche, in Ausnahmefällen sogar länger, straffrei stellt. Es wirkt so, als würden die konservativen Kräfte im Nationalrat einen zweiten Versuch „durch die Hintertür“ unternehmen. Das kommt möglicherweise nicht so gut an. Besser wäre es womöglich gewesen, das finanzielle Argument ganz herauszulassen und sich mehr auf die nachhaltigen und weniger wackeligen Fragen der Gewissensfreiheit und des Lebensschutzes zu konzentrieren.
Wem der Schutz ungeborener Kinder wichtig ist, sollte dennoch mit Ja stimmen – wegen des Gewissens, und weil durch die Privatfinanzierung sicher nicht mehr, sondern tendenziell weniger Abtreibungen vorgenommen werden.
Titelbild: Quelle: privatsache.ch