Trauer und Trauernde verstehen, Teil I: Der Trauerprozess
Obwohl Trauer die unterschiedlichsten Ursachen haben kann und die Reaktion auf ein trauriges Ereignis stets individuell ist, verläuft sie bei allen Personen nach dem gleichen Schema. Lediglich die Intensität und die Dauer schwanken – und mit ihnen die Deutlichkeit, mit der Trauer von aussen zu erkennen ist. Unser Beitrag soll Ihnen helfen, die physischen und psychischen Veränderungen im Körper zu verstehen und Trauer als das zu begreifen, was sie ist: ein vollkommen natürlicher Prozess.
Die ist ein zweiteiliger Bericht über “Trauer und Trauernde verstehen”
Teil I: Der Trauerprozess
Teil II: Die Trauerverarbeitung aktiv unterstützen
Ganz sachlich betrachtet: So verläuft der Trauerprozess im Allgemeinen
Unabhängig davon, welcher Auslöser der empfundenen Trauer zugrunde liegt, durchleben Betroffene das damit verbundene Gefühl in vier „typischen“ Phasen. Diese weisen folgende Bezeichnungen und Merkmale auf:
1. Nicht wahrhaben wollen:
Die Betroffenen leugnen den gerade erlittenen Verlust. Sie befinden sich in einem schockähnlichen Zustand und sind nahezu empfindungslos. Diese erste Phase ist zugleich die kürzeste. Bei den meisten Trauernden endet sie bereits nach wenigen Stunden; in einzelnen Fällen kann sie sich aber auch über mehrere Wochen hinziehen.
2. Ausbruch der Emotionen:
Die von Trauer Betroffenen erleben jedes überhaupt mögliche Gefühl in ständigem Wechsel mit anderen Empfindungen. Sie sind oft unmittelbar nacheinander wütend, ängstlich, ruhelos oder auch freudig erregt. Zugleich suchen sie unaufhörlich nach einer logischen Erklärung für den Verlust, den sie erleiden mussten.
3. Suchen, finden und sich trennen:
Die Impulsivität und Widersprüchlichkeit der mit Trauer verbundenen Gefühle hat zwar nachgelassen, doch die Betroffenen denken weiterhin ständig an die von ihnen vermisste Person und suchen sie überall. Handelt es sich um eine/-n Verstorbene/-n, müssen die Trauernden sich immer wieder eingestehen, dass sie ihn bzw. sie nicht finden werden; bei noch Lebenden stossen sie möglicherweise auf (erneute) Ablehnung und Unverständnis. Beides ist frustrierend und führt dazu, dass sich die Betroffenen sowohl rational als auch emotional redensartlich „im Kreis drehen“. Diese von allen Phasen am längsten andauernde belastet die Trauernden und die Menschen in ihrem Umfeld gleichermassen stark. Sie kostet innerhalb der Trauerperiode häufig die meiste Kraft und Geduld.
4. Neuer Bezug zu sich selbst und der Welt:
Die Betroffenen haben den Verlust akzeptiert und nehmen den verlorenen oder verstorbenen Menschen nur noch in ihrer Erinnerung wahr. Sie beginnen, die mit ihm gemachten Erfahrungen und Erlebnisse für die Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit zu nutzen. Mitunter nehmen sie dabei sowohl sich selbst als auch ihr Umfeld als verändert wahr – und stellen bisherige Beziehungen infrage oder bauen neue auf.
Jeder nach seiner Fasson: Trauer als individuelle Erfahrung
Bei den Angaben handelt es sich selbstverständlich nur um grobe Richtwerte, denn jeder Mensch er- und durchlebt die vier genannten Phasen auf seine eigene Weise und in dem ihm eigenen Tempo. Dabei spielen
- die Persönlichkeitsstruktur
- die Umstände des erlittenen Verlustes
- die Beziehung zu dem verlorenen/verstorbenen Menschen
eine ausschlaggebende Rolle. Mitunter überspringen Trauernde auch eine der vier Phasen oder fallen unvermittelt in die davorliegende zurück. Insofern lässt weder das WIE noch das WIE LANGE der Trauer zuverlässige Rückschlüsse auf das damit verbundene Gefühl oder dessen Intensität zu.
(K)Ein Grund zur Sorge: Wenn die Trauer sich festsetzt
Dennoch gibt es Anzeichen, die auf einen ungewöhnlichen Verlauf des Trauerprozesses hindeuten. Bemerken Sie, dass betroffene Freunde oder Verwandte
- den Verlust auch nach langer Zeit noch immer nicht akzeptieren können
- auffallend lange eingeschränkt sind
- sehr stark leiden
- sich komplett zurückziehen
- das eigene Leben als sinnlos oder fragwürdig empfinden,
hat sich eine Form der Trauer entwickelt, deren Bewältigung fachlicher Unterstützung bedarf. Psychologen und Trauerbegleiter sprechen in diesem Fall von einem „stecken gebliebenen Trauerprozess“ oder einer „komplizierten Trauer“. Doch genauso wenig, wie es die einzig richtige Art oder die höchstens zulässige Zeitspanne für das Durchleben der vier Phasen gibt, existiert ein allgemeingültiges Rezept für den Umgang mit Trauer. Personen, die für die Bewältigung oder den Abschluss des Trauerprozesses fachliche Hilfe in Anspruch nehmen (müssen), haben weder etwas falsch gemacht, noch sind sie schwach – sie benötigen einfach eine andere, intensivere Form der Unterstützung.
Das Leben geht weiter: Hilfe und Unterstützung für Trauernde
Welche Massnahmen Betroffenen dabei helfen, die Zeit der Trauer als intensive Erfahrung zu nutzen, und welche Möglichkeiten Sie als Freund oder Freundin haben, den Trauerprozess zu begleiten bzw. zu unterstützen, erfahren Sie im zweiten Teil dieses Beitrages.
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