Junckers 315 Milliarden. Oder: Wie man Geld verzwangifacht
von Stephan Gerhard
Die Initiative ist ein Prestige-Projekt des neuen EU-Kommissionspräsidenten, das dieser bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Herbst letzten Jahres in Gang gesetzt hatte. Zu diesem Zweck wird ein spezieller „Europäischer Fonds für Strategische Investitionen“ – kurz EFSI – eingerichtet, der quasi als Initialzündung für das geplante Investitionsvolumen dienen soll.
Mehr Wachstum und Beschäftigung
Dass die Investitionen im europäischen Raum lahmen, ist eine bereits seit Längerem bekannte Tatsache. Selbst in wirtschaftlich prosperierenden Ländern wie Deutschland ist die Investitionstätigkeit eher verhalten, in den Euro-Krisenstaaten ist sie tief eingebrochen und hat längst das Niveau vor Beginn der Krise nicht wieder erreicht. Bei den Reformen und den Rettungsmassnahmen für diese Länder wird oft kritisiert, dass sich die Anstrengungen zu sehr auf die Sanierung der Haushalte und der Banken konzentrierten und zu wenig auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet seien. Investitionen bilden eine wesentliche Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und Innovationen. Wo es nicht genügend Investitionstätigkeit gibt, ist die ökonomische Entwicklung auf Dauer nachhaltig belastet.
Obwohl der EU-Kommissionspräsident politisch eher konservativ verortet ist, kommt seine Initiative durchaus sozialdemokratischen und linken Vorstellungen von Wirtschaftsförderung und -lenkung entgegen. Sie kann daher auch als Versuch gesehen werden, der Tätigkeit der EU-Kommission in Brüssel eine möglichst breite politische Basis und Akzeptanz zu verschaffen. Der geplante Investitionseffekt würde etwa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im EU-Raum ausmachen und entspricht gut der Hälfte des Schweizer Bruttoinlandsprodukts. Die Wachstumsinitiative ist auf einen Zeitraum von drei Jahren von 2015 bis 2017 angelegt. In diesem Zeitraum sollen sich die Investitionskräfte entfalten.
Hebeleffekt: aus 21 Milliarden mach 315 Milliarden
Der „Trick“ bei der Initiative ist ein doppelter Hebeleffekt. Er soll bewirken, dass mit einem minimalen Einsatz an Mitteln – mehr lassen die knappen EU-Kassen nicht zu – ein maximaler Effekt erzielt wird. Insgesamt werden aus EU-Töpfen lediglich 21 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Um die gewünschten 315 Mrd. Euro zu erreichen, ist also eine 15fache Hebelung erforderlich. Wie soll das funktionieren?
Der EFSI besteht aus zwei Komponenten: aus Garantien in Höhe von 16 Mrd. Euro, die durch EU-Haushaltsgelder unterlegt sind, sowie aus Mitteln der Europäischen Investitionsbank EIB in Höhe von 5 Mrd. Euro. Die Unterlegung der Garantien erfolgt nur zu 50 Prozent mit Barmitteln, dafür werden EU-Haushaltspositionen im Umfang von 8 Mrd. Euro umgeschichtet. Sie stammen überwiegend aus anderen EU-Fördertöpfen. Die EIB bildet die zentrale europäische Institution für Wirtschaftsförderung.
Die Garantien des EFSI sollen vor allem der Risikoabsicherung von zusätzlichen Krediten durch die EIB dienen, die diese zur Investitionsförderung vergibt. Insgesamt sollen dadurch 49 Mrd. Euro mehr an Mitteln vergeben werden können, die über den Kapitalmarkt beschafft werden. Die 5 Mrd. Euro der EIB werden dagegen dazu verwendet, um die Bereitstellung von Beteiligungskapital über den Europäischen Investitionsfonds EIF aufzustocken. Dadurch sollen weitere 12 Mrd. Euro für die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen mobilisiert werden. Zusammen würde dies ein Volumen von gut 61 Mrd. Euro ausmachen.
Ein zweiter Hebeleffekt ist dann durch das Engagement privater Investoren und weiterer Institutionen vorgesehen. Diese sollen durch Eigenbeiträge das mögliche Investitionsvolumen nochmals um ein Mehrfaches steigern. Dahinter steht als Grundgedanke die Arbeitsweise der europäischen Förderinstitute: EIB und EIF fördern in der Regel nicht direkt, sondern refinanzieren andere Partner, die dann ihrerseits Fördermittel vergeben und sich dabei zusätzlich mit Mitteln aus eigenen Beständen beteiligen. Auf dieser Stufe wird mit einer nochmaligen Fünffach-Hebelung gerechnet.
Infrastruktur und Mittelstand sollen gefördert werden
So werden aus den relativ bescheidenen 21 Mrd. Euro Ausgangssumme schliesslich 315 Mrd. Investitionsvolumen – zumindest wenn die Kalkulation aufgeht. Davon sollen 240 Mrd. Euro in Infrastrukturmassnahmen fliessen. Sie dienen zum Beispiel der Verbesserung der europäischen Energieversorgung, dem Ausbau von Verkehrswegen oder für leistungsstärkere Telekommunikations-Netze. Im Bereich der mittelständischen Wirtschaft sollen ausserdem 75 Mrd. Euro an Unternehmensinvestitionen angestossen werden. Der Fokus der Förderung wird dabei auf Investitionen liegen, die mit besonderen Risiken verbunden sind und sonst nicht vorgenommen würden. Was darunter genau zu verstehen ist, ist allerdings noch nicht klar. Es könnte sich hier vor allem um Innovationen und Investitionen im Bereich von Forschung und Entwicklung handeln.
Noch ist der EFSI nicht auf dem Weg. Die Zustimmung des Europäischen Parlamentes steht bislang aus, es gibt u.a. Bedenken bezüglich der Finanzierung. Offiziell soll das Programm im September dieses Jahres starten, inoffiziell vielleicht sogar schon etwas früher. Dafür wird bereits jetzt Kritik laut. Es gibt nicht wenige Experten, die an dem eingeplanten Hebeleffekt zweifeln. In der Tat wird die doppelte Hebelung ein wenig wie ein aufgeblasener Luftballon oder ein Taschenspielertrick. Ob die Multiplikatorwirkung tatsächlich zustande kommt, muss sich erst noch zeigen. Viel wird von der Umsetzung abhängen, die dezentral und auf nationaler Ebene stattfindet.
Planwirtschaft?
EU-Förderung hat dabei nicht unbedingt den besten Ruf. Erinnerungen kommen auf an geförderte Projekte wie Autobahnen ins Nirgendwo in Kalabrien oder Geisterflughäfen an entlegenen Orten Europas, wo niemand ein Flugzeug besteigen möchte. Bereits in der Vergangenheit versickerten etliche hundert Millionen Euro in sinnlosen Vorhaben. Dieses Schicksal könnte auch manchem Projekt im Rahmen von Junckers Wachstumsinitiative drohen.
Es gibt aber auch noch grundlegendere Bedenken. Investitionen sollten sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten von Projekten orientieren und vorgenommen werden, weil sich ein Vorhaben rentiert, nicht weil es öffentlich gefördert wird. Die vorgesehene Risikoübernahme durch EU-Garantien könnte in diesem Sinne Investitionen bewirken, die bei normaler betriebswirtschaftlicher Kalkulation unterblieben wären. Ob mit Junckers Wachstumsinitiative so tatsächlich ein nachhaltiger Wachstumsimpuls für Europas Wirtschaft verbunden sein wird, erscheint zumindest fraglich. Insgesamt haftet dem Programm ein Hauch von planwirtschaftlicher Investitionslenkung an, der nur wenig zur marktwirtschaftlichen Ausrichtung, aber gut zur EU-Bürokratie in Brüssel passt.
Misserfolg? Darf nicht sein!
Den EU-Kommissionspräsidenten ficht dies nicht an. Jean-Claude Juncker hat die Wachstumsinitiative zum Aushängeschild seiner Präsidentschaft gemacht. Die Massnahme ist auch als politische Flankierung des Anleihe-Aufkaufprogramms der EZB zu sehen. Ein Scheitern kommt nach dem Willen der Akteure nicht in Frage. Von daher ist mit dem Programm zu rechnen. Es wird die Rahmenbedingungen für Investitionen in den Nachbarländern der Schweiz beeinflussen – Rückwirkungen für die Schweizer Wirtschaft nicht ausgeschlossen.
Oberstes Bild: Mehr Wachstum will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker durch ein fragwürdiges Investitionspaket erreichen. (© Anton Chalakov / Shutterstock.com)