Wetter-News: Warum es nicht einfach ist, Hagel zu messen

Bei Grossanlässen im Freien sind Warnungen vor starken Gewittern und Hagel ein Muss, und bei Schäden braucht es genaue Informationen zum Hagel.

Wegen dem fortschreitenden Klimawandel stellen sich zudem viele Fragen – wie zum Beispiel, ob es bald mehr oder weniger hageln wird. Doch wie kann Hagel gemessen werden?

In der Meteorologie beginnt alles mit der Messung. Bevor wir eine klimatologische Karte der Häufigkeit, eine Warnung oder eine Vorhersage von Hagel erstellen können, müssen wir den Hagel beobachten, messen und verstehen. Da beginnt aber schon das Problem. Es ist nicht einfach, ein Instrument zu bauen, welches die Anzahl und Grösse der Hagelkörner zuverlässig misst. Zudem müssten wir Tausende von diesen Instrumenten herstellen und über die ganze Schweiz verstreut installieren, um Hagel flächendeckend zu erfassen.

Lokales Phänomen

Weshalb ist das so? Weil Hagel ein sehr lokales Phänomen ist. Die Breite eines Hagelzuges beträgt oft nur wenige hundert Meter, bei grösseren Gewittern einige Kilometer. Wo sollen wir also das Messinstrument installieren, wenn wir vorgängig nicht wissen, wo der Hagel fallen wird? Hagel ist nicht nur kleinräumig, sondern auch kurzlebig. Ein einzelnes Hagelereignis dauert an einem Standort in den meisten Fällen nicht mehr als einige Minuten, manchmal auch etwas länger.

Das Messinstrument muss rund um die Uhr bereit sein, Hagelkörner zu zählen und messen, sofern es dort einmal hageln sollte, wird aber für den Rest der Zeit nur dastehen und nichts messen. Vielleicht kommt einmal ein Vogel vorbei und pickt ausversehen auf die Messplatte.

Grösse der Körner und Menge sind wichtig

Beim Messen von Hagel möchten wir nicht nur wissen, wo und wann es hagelt, sondern auch, wie gross die Hagelkörner sind. Meistens sind sie klein, etwa so gross wie eine Kaffeebohne oder ein Einfränkler. In starken und mächtigen Gewittern können sie auch grösser werden. Ab zwei Zentimetern verursachen sie Schäden an Fahrzeugen, ab etwa vier Zentimetern an Gebäuden. In der Landwirtschaft entscheidet auch die Menge der Körner über die Grösse des Schadens.


Abbildung: Wenn wir die Hagelkörner nach der Grösse sortieren, erhalten wir eine sogenannte Korngrössenverteilung. Wir zählen also für jede Grössenklasse die Anzahl Körner und zeichnen diese in einer Grafik als Funktion des Durchmessers auf. Je grösser die Körner desto weniger gibt es. (Quelle: MeteoSchweiz)

Weil es das eine ideale Instrument für die flächendeckende Messung von Hagel nicht gibt, verfolgt das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz hier eine besondere Strategie. Das Lösungswort heisst Diversität. Das heisst, es werden gleichzeitig vier verschiedene „Instrumente“ eingesetzt: fünf Wetterradare, Hagelbeobachtungen der Bevölkerung via der MeteoSchweiz-App, ein Netz von 80 automatischen Hagelsensoren und eine mit einer hochauflösenden Kamera ausgerüsteten Drohne.


Abbildung: In einem geringmächtigen Gewitter gibt es kaum Hagel und wenn, dann nur kleine und mittelgrosse Körner. In einem mächtigen Gewitter hingegen können bei günstigen Voraussetzungen grosse Körner mit einem Durchmesser von mehreren Zentimetern entstehen. In beiden Fällen gibt es viele kleine und wenig grosse Körner, die Hagel-Korngrössenverteilung ist „schief“. (Quelle: MeteoSchweiz)

Jedes der vier eingesetzten Instrumente zur Hagelmessung hat seine Stärken und Schwächen. In Kombination aber sind sie weltweit einzigartig und liefern der Schweiz einmalige Daten zum Thema Hagel. Seit Kurzem, genauer seit dem 5. Juni 2023, sind es sogar fünf „Instrumente“, aber dazu kommen wir erst am Schluss.

Wetterradare liefern dreidimesionale Bilder

Die fünf Schweizer Wetterradare liefern 7 Tage die Woche 24 Stunden für die ganze Schweiz und das nahe Ausland ein detailliertes dreidimensionales Bild der Regenschauer, Niederschlagsfronten, Gewitter und Hagelzellen. Die Stärke des Radars liegt in der hohen Auflösung, der schnellen Verfügbarkeit und der Empfindlichkeit über viele Grössenordnungen.

Die Schweizer Wetterradarprodukte haben eine räumliche Auflösung von einem Kilometer und eine zeitliche Auflösung von zweieinhalb Minuten. Die Radardaten sind in weniger als 60 Sekunden nach der Messung verfügbar. Der Radar kann von den schwachen Signalen eines Nieselregens in 240 Kilometer Distanz bis hin zu den stärksten Signalen einer Hagelzelle alle Formen von Niederschlag erfassen.

Der Radar liefert aber keine direkte Messung der Hagelkörner, sondern eine indirekte. Aus der Intensität und der vertikalen Struktur der Radarechos wird die Wahrscheinlichkeit von Hagel und die maximal zu erwartende Grösse der Hagelkörner abgeschätzt. Für die Kalibrierung dieser Methode brauchen wir Referenzmessungen von Hagel am Boden. Das genau ist die Aufgabe der anderen drei Instrumente.

Hagelmeldungen aus der App

Seit 2015 kann die Bevölkerung auch über die MeteoSchweiz-App Hagel melden. Diese Möglichkeit stösst auf grosse Begeisterung. An Hageltagen gehen oft Tausende von Beobachtungen ein. Diese Daten sind sehr wertvoll für die Forschung, aber nicht nur. Jeder und jede kann an einem Gewittertag in der App verfolgen, wo und wann Hagel gemeldet wird und welche Korngrössen beobachtet werden. Diese Information wird privat und geschäftlich breit genutzt. Die Methode liefert aber nur dort Informationen über Hagel, wo sich Leute aufhalten, also vor allem in Siedlungsgebieten.

Automatische Hagelsensoren

Dank einer Partnerschaft der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft verfügt die Schweiz seit 2018 über ein Netz von automatischen Hagelsensoren. Das Netz wurde von der Mobiliar finanziert, von der inNET Monitoring AG installiert und betrieben, und von Forschenden an der Universität Bern und der MeteoSchweiz verwendet.


Abbildung: Der Hagelsensor auf dem Hausdach und der Wetterradar auf dem Monte Lema im Hintergrund sind rund um die Uhr bereit, den Hagel zu erfassen. (Quelle: Meteoschweiz)

Die Sensoren bestehen aus einer speziellen Platte und einem Mikrofon. Die Platte ist 0,2 Quadratmeter gross und erfasst alle auf sie aufprallenden Hagelkörner. Aus dem Signal des Mikrofons wird die Anzahl und die Grösse der Hagelkörner abgeleitet. Die 80 Sensoren wurden in den drei am häufigsten von Hagel betroffenen Regionen, dem Südtessin, der Region um den Napf und dem Jura installiert. Das Ziel ist es, möglichst viele Hagelkörner zu erfassen, welche dann als Referenzdaten für die Kalibrierung der Radar-Hagelalgorithmen verwendet werden.


Abbildung: Der automatische Hagelsensor der inNET AG misst die Anzahl und Grösse der Hagelkörner. (Quelle: Meteoschweiz)

Drohne mit Kamera

Für Forschungszwecke setzt MeteoSchweiz noch eine vierte Methode ein, eine mit einer hochauflösenden Fotokamera ausgerüsteten Drohne. Diese kommt über grossen, homogenen Flächen wie Fussballfeldern zum Einsatz. Unmittelbar nach dem Hagelschlag fliegt die Drohne über das Feld und macht Bilder des Hagels. Mit künstlicher Intelligenz werden die Bilder ausgewertet, die Körner gezählt und deren Durchmesser bestimmt. Für die Bestimmung des Durchmessers helfen vor dem Drohnenflug ausgelegte Referenzplatten mit Kalibriermustern. Diese Methode erlaubt es, die Hagelkörner über einer grossen Fläche auszuzählen. Allerdings ist es eine grosse Herausforderung, am richtigen Ort zur richtigen Zeit für die Drohnenmessung bereit zu stehen.


Abbildung: Unmittelbar nach dem Hagelschlag fliegt diese Drohne über das Feld und macht Bilder des Hagels. (Quelle: MeteoSchweiz)

Das Foto des grössten Hagelkorns

Seit dem 5. Juni gibt es noch eine fünfte Aktion für die Erfassung von Hagel in der Schweiz. Die Universität Bern feiert das zehnjährige Bestehen des Mobiliar Labs für Naturrisiken und lanciert einen Wettbewerb für das Foto des grössten Hagelkorns aus dem Jahr 2023.

Weiterführende Informationen

Mehr Informationen


Hagelkörner am Boden im Tessin am 30 Mai 2023.

 

Quelle: Bundesamt für Meteorologie MeteoSchweiz / Warum es nicht einfach ist, Hagel zu messen – MeteoSchweiz (admin.ch)
Titelbild: Meteomeldungen

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