Aids-Infektionen in der Schweiz über dem europäischen Durchschnitt
von Olaf Hoffmann
Besonders hoch scheint das Infektionsrisiko im Kanton Genf zu sein. Hier ist die höchste Zahl von Neuerkrankungen festzustellen. Im Schweizer Osten geht es diesbezüglich vergleichsweise ruhiger zu.
Über dem europäischen Durchschnitt
Nicht immer soll und muss sich die Schweiz mit ihren europäischen Nachbarn vergleichen. Dafür gibt es auch nicht immer einen Grund. Bei der Vergleichsstatistik bezüglich der HIV-Infektionen scheint ein solcher Vergleich jedoch sinnvoll zu sein. Immerhin wird das Liebes- und Sexualleben der Schweizer genauso liberal und freizügig eingeschätzt wie im übrigen westeuropäischen Bereich.
Allerdings schneidet die Schweiz in der Statistik für 2013 bei der Zahl der AIDS-Erkrankungen deutlich schlechter ab als die Länder der Europäischen Union. Im landesweiten Durchschnitt infizieren sich hierzulande derzeit etwa 7,2 von 100’000 Personen mit AIDS. Diese Zahl ist in der EU längst unterschritten.
Weniger HIV-Infektionen, mehr andere Geschlechtskrankheiten
Trotz dieser eher weniger guten Vergleichszahlen nehmen die absoluten Zahlen an HIV-Infizierten in der Schweiz ab. Nachdem es 2012 erstmals seit 2009 wieder einen Anstieg der Neuerkrankungen gegeben hatte, hat sich jetzt der Trend wieder umgekehrt, so dass mit einer generell weiteren Abnahme des allgemeinen HIV-Infektionsrisikos zu rechnen ist.
Auch wenn das Risiko, sich in der Schweiz mit HIV zu infizieren, weiter sinkt, steigen doch die Fälle anderer meldepflichtiger Geschlechtskrankheiten weiter an. So wie in den vergangenen Jahren auch. Syphilis, Gonorrhoe und Chlamydiose werden weiterhin in einem höheren Masse übertragen als in den Vorjahren.
Gründe werden unterschiedlich wahrgenommen
Die Gründe für das im europäischen Vergleich überdurchschnittliche AIDS-Infektionsrisiko in der Schweiz werden unterschiedlich wahrgenommen und beschrieben. So lassen beispielsweise statistische Erhebungen im Rahmen der HIV-Neuinfektionen ablesen, dass ein Ansteigen der Infektionen beim Sex zwischen Männern (MSM) zu verzeichnen ist. Bei anderen „Paarungen“ seien die Zahlen unverändert stabil.
Was daraus gefolgert werden soll, darf offenbleiben. Wahrscheinlich ist das gesundheitliche Sicherheitsbedürfnis beim Sex zwischen Männern nicht so hoch ausgeprägt wie etwa bei heterosexuellen Praktiken. Oder man könnte meinen, es gäbe mittlerweile mehr Sex zwischen Männern als in den zurückliegenden Zeiträumen. Hier lässt das BAG viel Spielraum für Interpretationen offen.
Warum aber gerade in der Schweiz zwischen Männern das Sexualverhalten risikobehafteter sein soll als in anderen europäischen Ländern, bleibt offen und fraglich.
Eine andere Theorie stellt darauf ab, dass das Benutzen von Kondomen und anderen Verhütungsmitteln in einigen Kulturen als eher verpönt gilt, so dass auch die Zuwanderung die Kondomnutzung verringere. Aber auch diese Wahrnehmung scheint eher nur punktuell zuzutreffen und nicht den generellen Kern des Problems zu fassen.
Da neben sexueller Enthaltung oder zumindest Zurückhaltung vor allem Kondome als guter Schutz vor Infektionen mit dem HI-Virus gelten, muss überprüft werden, inwiefern dieses Mittel der Wahl anerkannt ist und tatsächlich auch genutzt wird.nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo.
BAG geht direktere Wege
Um die Wichtigkeit und Akzeptanz der Kondome nicht nur als Verhütungsmittel schlechthin zu stärken, geht das Bundesamt für Gesundheit auch in der AIDS-Prävention jetzt neue Wege. Sichtbar ist das allenthalben an der neuen Plakatierungsaktion „Love Life – und bereue nicht„. Die umstrittenen Abbildungen fordern hier nicht nur zur intensiveren Nutzung von Kondomen bei den unterschiedlichsten sexuellen Vorlieben und Praktiken auf. Sie erregen bei so manchem Schweizer und vor allem auch bei Menschen mit muslimischem Hintergrund schon so etwas wie Abscheu. Viele empfinden diese Plakatierung als öffentliche Pornografie. Auf diese Weise könnte der Schuss gewissermassen nach hinten losgehen.
Gerade die problematischen Zielgruppen fühlen sich möglicherweise von der provokanten Aussage nicht angesprochen, sondern eher angewidert. Dieses Risiko dürfte dem BAG bekannt sein. Wie letztlich effektiv gegen die doch recht hohe Infektionsrate in der Schweiz vorgegangen werden soll, bleibt dann doch offen.
Auch eine Änderung der Inhalte der sexualkundlichen Aufklärung an den Schulen ist wegen der gemischten Kulturen sehr umstritten. So lassen beispielsweise immer mehr Muslime ihre Kinder während der entsprechenden Unterrichtsblöcke zu Hause und demonstrieren so, dass sie mit der Art und Weise der sexuellen Unterweisung nicht einverstanden sind. Möglicherweise ist sogar hier ein Grund für den leichtfertigen Umgang beziehungsweise Nicht-Umgang mit schützenden Verhütungsmethoden zu finden.
Dabei bleibt es über das BAG hinaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, AIDS und andere Geschlechtskrankheiten weiter einzudämmen. Auch weil das Bewusstsein für die tödlich verlaufende Immunschwächekrankheit in den letzten Jahrzehnten doch stark nachgelassen hat. Interkulturelle Bildung und Erziehung muss hier neu angesetzt werden, und zwar immer an dem Punkt, wo sich zwischen den Kulturen ein Konsens auch bezüglich der Sexualpraktiken und generell der sexuellen Kontakte finden lässt.
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