Der Mensch und seine Wohnung ‒ Gedanken zum Wohnen
von Agentur belmedia
Es sind die kleinen Unterschiede, die den grossen Unterschied zwischen den Menschen ausmachen. In diesen »feinen Unterschieden« (Pierre Bourdieu) definiert sich der Mensch gegenüber seinen Mitmenschen, gibt bewusst, vielfach sich dessen aber auch nicht bewusst, untrügliche Hinweise auf seine Stellung in der Gesellschaft: durch seine Art des Essens, Lesens, Einkaufens, Verreisens ‒ und auch die Art, wie er wohnt. Zeige mir Deine Wohnung und ich sage Dir, wer Du bist!
»My home is my castle!« ‒ Jeder Mensch auf der Welt wünscht sich wohl eine solche »Burg« für sich, ein Zuhause, das ihm Geborgenheit gibt. Mag die Wohnung anderen klein und bescheiden erscheinen, sie ist sein Platz in der Welt, an dem er sich von der Welt zurückziehen und ganz er selbst sein kann.
In ihren Wohnungen verbringen die Menschen einen Grossteil, viele auch den grössten Teil ihrer Lebenszeit. Hier »wohnen«, dass heisst leben, lieben, reden, streiten, essen, schlafen sie, richten sich nach ihrem Geschmack ein. Die Art und Weise, wie sie das tun hinterlässt Spuren. Die zwischen den Bewohnern und ihrer Wohnung bestehende Beziehung lässt sich als Symbiose beschreiben, in der jede Wohnung ein individuelles Gesicht erhält. Geprägt von ihren Bewohnern ist die Wohnung auch ein aussagekräftiges »Aushängeschild« ihrer Bewohner.
Werfen wir im Folgenden nun einen Blick in Ihre Wohnung. Welcher Wohntyp sind Sie? Was für ein Gesicht haben Sie Ihrer Wohnung aufgeprägt? Was sagt Ihre Wohnung über Sie als Person aus?
Die Wohnungstür öffnet sich und dem Eintretenden vermittelt sich mit dem ersten Blick in die Wohnung instinktiv ein Gesamteindruck der Wohnung ‒ sofort und noch bevor ein zweiter, dritter, vierter … Blick gezielt Details der Wohnungseinrichtung wahrnehmen: Die Wohnung macht einen aufgeräumten (»ordentlichen«) oder unaufgeräumten (»unordentlichen«) Eindruck.
Und das Unterbewusstsein des Besuchers stellt jetzt »automatisch« die psychologische Frage: Was sagt die Wohnung in ihrer wahrgenommenen Ordnung beziehungsweise Unordnung über das Wesen ihres/ihrer Bewohner aus? Menschen wohnen immer »irgendwo« in der Balance zwischen Ordnung und Unordnung. Die in konkreten Wohnungen dabei empirisch sichtbaren beiden entgegengesetzten Extreme sind zum einen die Musterwohnung aus dem Möbelhauskatalog, unpersönlich in ihrer Einrichtung und klinisch sauber ohne jedes Staubkörnchen; zum anderen die vollgestopfte Wohnung eines Messies, ein wüstes Chaos bildend, im äussersten Extremfall völlig zugemüllt und nicht mehr bewohnbar. Zwischen diesen beiden extremen Polen sind alle möglichenWohnstile denkbar und werden auch praktisch gewohnt. Die Wohnpsychologie schliesst aus ihnen auf die Persönlichkeit der Bewohner und beschreibt diese in Persönlichkeitsbildern, die sich für sie aus ihrer Aussensicht auf die jeweilige Wohnung schlüssig ableiten lassen.
Die Musterwohnung aus dem Möbelhauskatalog kann beispielsweise für einen Bewohner stehen, dessen Stellung als »kleiner Angestellter oder Beamter« in der Berufshierarchie ihm nur einen sehr kleinen oder gar keinen Raum zu freier Entscheidung lässt, von ihm Tag für Tag fehlerfreies Funktionieren gemäss der ihm gegebenen Weisungen verlangt und unausgesprochen Anpassung und Unterordnung fordert. Solch ein Mensch will auch in seiner Wohnung keine Fehler machen, sich so einrichten, wie »man« sich einrichtet (sprich, wie der Möbelhauskatalog es »vorschreibt«), ohne jede Extravaganz, und alles soll schön »sauber und ordentlich« sein, genau so, wie er sich selbst und sein Leben sieht.
Die Wohnung als ein wüstes Chaos kann das Seelenabbild eines Menschen sein, der als sogenannter Messie einmal erworbene Dinge nicht loslassen kann, da sie ihm, wovon er fest ‒ in der Regel ohne bewusst darüber zu reflektieren ‒ überzeugt ist, innere Stabilität verleihen und seinem Leben Inhalt geben: Ihn in der Welt nicht »nackt« dastehen lassen. Wohnungspsychologisch kann eine vollgestopfte Wohnung aber auch auf einen idealistischen Sammler als Bewohner hinweisen; einen wissbegierigen Menschen, der die grosse weite Welt in seine kleine begrenzte Welt ‒ seine Wohnung ‒ holen und dort im wortwörtlichen Sinn »begreifen« will, allerdings in dem über die Jahre angewachsenen Wust an Dingen zwischen Wichtigem und Unwichtigem nicht (mehr) unterscheiden kann.
Der Eingangsbereich einer Wohnung ist ihre Visitenkarte. Der Besuchern hier gewährte erste Wohnungseinblick lässt bei ihnen instinktiv eine Vorstellung von der gesamten Wohnung entstehen, noch bevor sie die einzelnen Räume gesehen haben: Der Teil spricht für das Ganze. So kann beispielsweise die ideen- und lieblose Gestaltung des Eingangsbereichs einer Wohnung Hinweis darauf sein, dass ihr Bewohner nicht gerne nach Hause kommt, vielleicht aus Angst vor Einsamkeit.
Das Wohnzimmer bildet das Herzstück einer Wohnung oder eines Hauses, ist der Ort, wo im eigentlichen Sinn »gewohnt« wird ‒ die Bewohner den Grossteil ihrer Lebenszeit verbringen. Die Prioritäten, die sie setzen, werden hier besonders sichtbar: Bildet die Bücherwand, der Flügel oder der Fernsehapparat das zentrale Raumelement; lässt die Einrichtung darauf schliessen, das hier gerne Gäste empfangen werden. Im Idealfall spiegelt ein Wohnzimmer eine gelungene Balance zwischen aktivem Gestalten und gelöstem Geniessen wider.
Die Küche zeigt in ihrer Einrichtung und im Inhalt des Kühlschranks, welche Wertigkeit dem Essen und Trinken beigemessen wird: Sind Essen und Trinken für die Bewohner ein gemeinsam gepflegter Genuss am grossen Esstisch oder lediglich die kurze Nahrungsaufnahme zwischendurch; wird in der Küche selbst gekocht und auch mal ein Kuchen gebacken, oder verlassen sich die Bewohner auf diverse Essensbringdienste. Ein Blick in die Küchen beantwortet viele Küchenfragen.
Das Schlafzimmer hat ebenfalls seine eigene Aussagekraft. Ein Blick hinein zeigt zuerst: Ist das Schlafzimmer aufgeräumt oder unaufgeräumt ‒ und mit Letztgenanntem vielleicht Hinweis auf Schlafprobleme der Bewohner; ist es ideenreich-peppig oder langweilig-konventionell eingerichtet; steht es der Liebe und dem Sex eher entgegen oder lädt es dazu ein. ‒ Schliesslich: Würden Sie selbst hier gerne schlafen wollen? Zum Schluss noch ein Blick in den Kleiderschrank. Ist dieser übervoll, deutet das darauf hin, dass die Bewohner Altes schwer loslassen können. Weniger ist mehr: Lieber einige wenige gute neue Kleidungsstücke im Kleiderschrank als viele alte, die dort ‒ weil sowieso nicht mehr getragen ‒ nutzlos »rumhängen« und Platz für Neues wegnehmen.
Zeigt sich im Arbeitszimmer oder im Büro das Chaos, kann das eine gewisse Unordnung in beruflichen Dingen anzeigen, jedoch auch Indiz dafür sein, dass eine belastende private Situation auch Auswirkungen im Berufsleben hat.
Die klassischen »Abstellräume« Dachboden, Keller, Garage und Geräteschuppen im Garten spiegeln in ihrer Ordnung und Unordnung vorrangig Träume, Wünsche und Energiepotenziale von Männern: Man[n] könnte vieles hier Abgestellte ja noch einmal brauchen. Und scheint es der eigenen Frau und Aussenstehenden auch chaotisch; männliches Selbstbewusstsein sagt stolz: »Das Genie überblickt das Chaos!« Seien Sie trotzdem ehrlich zu sich selbst. Gehen Sie, wo Chaos herrscht, das Chaos an
Beginnen Sie im Keller und auf dem Dachboden. Und wenn Ihnen diese schon bald über den Kopf wachsen sollten, holen Sie sich Menschen, denen Sie vertrauen und die Ihnen helfen beim Aufräumen, Wegwerfen und Neueinrichten. Seien Sie rigoros: Entlasten Sie ihr Leben von unnötig abgestellten Dingen, die man[n] ja noch einmal brauchen könnte, die Sie aber mit Sicherheit niemals mehr in Ihrem Leben gebrauchen werden.
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