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Von der grauen Maus zur Beauty in drei Minuten – Photoshop-Retusche und ihre Folgen

24.01.2014 |  Von  |  Beitrag

Wer schön sein will, muss – sich mit Photoshop auskennen. Dieses Fazit zumindest könnte man aus einem Video ziehen, das die ungarische Sängerin Boggie auf YouTube veröffentlicht hat.

Dabei prangert die junge Frau eine Praxis an, die längst ein offenes Geheimnis ist – nämlich dass so ziemlich alle Plakatschönheiten retuschiert sind. Wir folgen der Argumentation der Künstlerin und finden sogar, dass es eine Kennzeichnungspflicht für nachbearbeitete Fotos geben sollte.


Es ist schon unglaublich: In ihrem dreieinhalb-Minuten-Video „Nouveau Parfum“ zeigt Boggie, wie schnell und nachhaltig eine digitale Gesichts-OP sein kann. Als Model fungiert sie selbst. Hautunreinheiten wegretuschiert, Gesichtsfarbe und Hintergrund aufgehellt, neue Haarpracht aufgesetzt, und schon hat man eine komplett andere Frau vor sich. Besonders genial: Das nicht ganz perfekte linke Auge wird durch das rechte ersetzt, natürlich erst nachdem die Pupille erweitert wurde.

Frauen als Produkte

Werbung für die Hochglanz-Industrie soll das Lied nicht sein, im Gegenteil: „Ich bin kein Produkt“ singt Boggie auf ungarisch. Damit bringt sie das Problem auf den Punkt. Denn längst zeigen uns Magazine, Werbeplakate und TV-Spots keine echten Frauen mehr, sondern fleischgewordene Idealvorstellungen von weiblicher Schönheit. „Niemand sieht so aus“, sagt die US-Amerikanerin Jean Kilbourne, die sich seit 40 Jahren mit dem Thema beschäftigt. Sie sieht mit Sorge, dass die Präsenz retuschierter Models zur Normalität geworden ist. Mädchen und Frauen orientieren sich an einem Ideal, das unerreichbar ist. Jungs und Männer begaffen Bilder, mit denen die realen Frauen nicht mithalten können. Und das alles für Werbe- und Marketingzwecke. Die Frau als Produkt.


Auch Burger King macht eine Frau zum Produkt.

Auch Burger King macht eine Frau zum Produkt. (Bild: Philipp Ochsner)


„Die Werbung vermittelt uns ein Bild von Sexualität und Erfolg, aber – vielleicht am wichtigsten – davon, wie wir sein sollten“ meint auch Kilbourne. Frauen lernten daraus, dass es höchste Priorität habe, wie sie aussehen. Dabei sei ein Scheitern am grossen „Vorbild“ unausweichlich, meint Jean Kilbourne. Das Ideal sei nämlich „absolute Makellosigkeit“: keine Falten, keine Pickel, keine Unregelmässigkeiten. Süffisant fügt Kilbourne hinzu: „Sie haben noch nicht einmal Poren.“

Ganz offensichtlich lässt sich eine solche Perfektion nur mit digitalen Hilfsmitteln erreichen. Das berühmte Topmodel Cindy Crawford sagte einmal: „Ich wünschte, ich sähe aus wie Cindy Crawford.“ Wo aber liegt nun das Problem? Weiss nicht ohnehin jeder um die getürkten Bilder? Kann man die Werbung nicht einfach Werbung sein lassen und sich daran erfreuen, was Photoshop und menschliche Schönheit in Kooperation vollbringen?



Die psychologische Tiefenwirkung der Bilder

Ganz so einfach ist es nicht. Die Wirkung der Bilder geht tiefer, als man zunächst meint. Zum einen wird, wie schon angesprochen, die Psyche sowohl von Männern als auch von Frauen beeinflusst. Zum anderen setzt die Produktwerbung insbesondere mit Frauen einen schleichenden Prozess der De-humanisierung in Gang. Denn: Was eher als Produkt denn als Mensch wahrgenommen wird, wird auch als solches abgespeichert. Psychologisch gesehen erlaubt diese Betrachtung als „Ding“ eine Senkung der Hemmschwelle. Deshalb sieht Jean Kilbourne in den stilisierten Bildern – manche zeigen die Frau als Teil des Produkts, z.B. einer Bierflasche oder eines Autos – eine Ursache für das Problem der Gewalt gegen Frauen.

Noch schlimmer wird es laut Kilbourne, wenn nur ein Teil des Körpers der Frau abgebildet ist oder darauf fokussiert wird. Dann wird die Frau sogar auf „Beine“, „Brüste“ oder „Po“ reduziert – wo bleibt da die Menschenwürde? Wenn Sie Kilbournes Ausführungen übertrieben finden, schauen Sie sich folgendes Video an – dort finden Sie die Argumente mit Praxisbeispielen belegt.



Was tun? Verbieten?

Angesichts der gravierenden möglichen Folgen einer solchen Werbepraxis stellt sich die Frage, was dagegen getan werden sollte. Ein Verbot erscheint wenig sinnvoll, zumal eine Abgrenzung zwischen kleinen Korrekturen und einer Totalveränderung kaum möglich ist. Ausserdem würde sich eine ganze Industrie dagegen stemmen. Unser Vorschlag: Wie wäre es mit einer Kennzeichnungspflicht? „Dieses Bild wurde digital nachbearbeitet“ – dieses Label würde eine angemessener Wahrnehmung der Werbung fördern. Es würde ins langsam ins kollektive Bewusstsein durchsickern lassen, dass wir von einer Scheinwelt umgeben sind, mit deren elfenbeinhaften Idealen wir uns selbst quälen. Und es würde vielleicht nach und nach die Werbeindustrie zu natürlicheren Darstellungen bewegen, denn wer das Label auf seinen Bilder hat, würde zusehends als „Fake“ abgestempelt.

Bis dahin führen wir uns weiterhin vor Augen: Die Models, die uns lasziv entgegenschmachten, sind auch nur ganz normale Frauen. Die in drei Minuten zur perfekten Schönheit wurden.

 

Oberstes Bild: © Screenshot YouTube

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