Ägypten: Neue Verfassung gibt (nicht nur) Christen mehr Rechte

Seit dem 15. Januar hat Ägypten eine neue Verfassung. Sie wird als die „beste Verfassung, die Ägypten je hatte“ gelobt.

Frauen und Minderheiten werden darin in ihren Rechten deutlich gestärkt, der Islamismus bekommt einen Riegel vorgeschoben.

 

Ist dies das Zeichen des Aufschwungs und des Neuanfangs in Ägypten? In die grossen Hoffnungen mischen sich auch mahnende Stimmen und Zweifel.

Das Ergebnis war mehr als deutlich: 98.1 Prozent der gültigen Stimmen bekam der Verfassungsvorschlag der Übergangsregierung. Diese führt seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi am 3. Juli 2013 die Amtsgeschäfte; federführend ist Ministerpräsident Hasem al Beblawi.

Gleichbehandlung der Geschlechter und Religionen

So deutlich das Ergebnis auch ist: die Wahlbeteiligung lag bei nur 38.6 Prozent, insgesamt stimmten 20.5 Millionen der rund 53 Millionen wahlberechtigten Ägypter ab. Im Vorfeld hatten Islamisten, allen voran die inzwischen verbotene Muslim-Brüderschaft, zum Boykott der Volksabstimmung aufgerufen. Beobachter sagten, dass in den islamistischen Hochburgen tatsächlich nur wenige Menschen zur Abstimmung gegangen seien, in den Grossstädten hingegen habe es lange Schlangen vor den Wahllokalen gegeben.

Die vom Militär gestützte Übergangsregierung lobte all diejenigen ausdrücklich, die mit Ja gestimmt hatten. Sie hätten dadurch „Ja gesagt zum Aufbau und Nein zu all jenen, die Zerstörung wollen“, so Hasem al Beblawi. Tatsächlich enthält die neue Verfassung viele Punkte, die auch Bestandteil westlicher freiheitlich-demokratischer Grundordnungen sind. So wird die Gleichheit von Mann und Frau garantiert sowie der Schutz religiöser Minderheiten – vor allem der immerhin gut 10 Millionen Christen – verankert. Dabei wählt die Verfassung auffällig deutliche Worte: Diskriminierung aufgrund des Glaubens ist verboten, ebenso ist von „absoluter Glaubens- und Gewissensfreiheit“ die Rede. Ägypten bekennt sich nun auch klar zur Trennung von Religion und Staat, da Parteien auf religiöser Grundlage, wie die Muslimbrüder, verboten sind.

Besonders erfreulich für Christen

Menschenrechtler bewerten das Dokument dem christlichen Hilfswerk Open Doors zufolge als „die beste Verfassung, die Ägypten je hatte“. Tatsächlich sind die neuen Passagen für ein vornehmlich islamisch geprägtes Land aussergewöhnlich und sehr erfreulich. Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist in den meisten islamischen Ländern ebenso wenig selbstverständlich wie der Schutz religiöser Minderheiten. Besonders Christen werden in vielen Ländern des Nahen Ostens massiv wegen ihres Glaubens diskriminiert und benachteiligt. In Pakistan und dem Iran geschieht es immer wieder, dass Christen entweder fälschlicherweise der Blasphemie angeklagt werden, die Spanne der Strafen reicht bis hin zu Todesurteilen (von denen allerdings noch kein einziges vollstreckt wurde). In Afghanistan, dem Irak und Indonesien müssen Christen immer wieder mit gewaltsamen Übergriffen muslimischer Extremisten rechnen – die Staatsmacht tut nicht wirklich viel dagegen. Ganz zu schweigen von Saudi-Arabien, wo für einen Einheimischen selbst der Besitz einer Bibel drakonische Strafen nach sich ziehen kann. Jüngstes Mitglied im Kreise der Länder, in denen man sich als Christ nicht mehr wohlfühlen kann, ist Syrien. Unter Assad genossen Christen relative Freiheit, ihr Anteil an der Bevölkerung betrug mehr als 6 Prozent. In den derzeitigen chaotischen Zuständen werden sie Opfer marodierender islamistischer Rebellen. Ein regelrechter Christen-Exodus aus Syrien hat eingesetzt.

Ägypten setzt sich mit der neuen Verfassung nun sogar offiziell für den Bau und die Renovierung christlicher Kirchen ein – während der Unruhen rund um Mursis Sturz wurden etliche von Muslimbrüdern zerstört. Dennoch warnt auch Open Doors vor zu viel Optimismus. Es werde weiterhin eine Kluft zwischen Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit bestehen. „Ägypter beachten selbst einfache Verkehrsregeln nicht. Wie können sie dann eine Verfassung respektieren, die die meisten von ihnen gar nicht gelesen haben“, zitiert das Hilfswerk einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter des ägyptischen Aussenministeriums.


Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo – damals noch gegen Ex-Präsident Mubarak. (© Ramy Raoof / Wikimedia / Lizenz: CC)

Nicht alles ist Gold

Auch formal und inhaltlich gibt es kritische Punkte an der neuen Verfassung. Ägyptische Beobachter hatten von Unregelmässigkeiten in einzelnen Wahllokalen berichtet. Kol Preap von der Beobachtergruppe der Organisation Transparency International hatte vor allem die Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor der Abstimmung kritisiert. Während grossflächig Werbematerial für ein Ja verteilt wurde, waren Befürworter eines Neins zum Teil verhaftet worden. Zudem räumt die neue Verfassung dem Militär weitreichende Befugnisse ein; so kann es zum Beispiel für die nächsten acht Jahre den Verteidigungsminister bestimmen.

Ein Mitglied des Militärs gilt denn auch als aussichtsreichster Kandidat für die kommenden Präsidentschaftswahlen: Armeechef Abdel Fattah al Sisi hat zwar noch nicht offiziell kandidiert, wird aber offenbar von einer breiten Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung gestützt und regelrecht aufgefordert, anzutreten. Angst vor einem Militärstaat? Eine dazu befragte Politikerin wischt die Zweifel vom Tisch: „Charles de Gaulle war General, und Frankreich ging es prächtig. Eisenhower war Militär, und er machte die Vereinigten Staaten gross.“ Es bleibt sehr zu hoffen, dass al Sisi der neuen Verfassung treu bleibt und Ägypten eine neue Blütezeit erlebt.

 

Titelbild: © nmcandre – Fotolia

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