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Merkel bleibt der Schweizer Entwicklung gegenüber offen

19.02.2014 |  Von  |  News

Bei ihrem Treffen mit dem Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter am 18. Februar 2014 in Berlin hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel von einer versöhnlichen Seite gezeigt.

Auch wenn in Europa die politischen Wellen ob des Volksentscheides gegen eine ungebremste Masseneinwanderung in die Schweiz in den letzten Tagen sehr hoch geschlagen haben, versucht Merkel die Entwicklung wieder auf den Teppich der politischen Realitäten zurückzuholen.

Deutschland und die Schweiz bleiben Freunde

Das zumindest ist der Tenor der Erklärung Merkels über die Inhalte und den Verlauf des Treffens. Damit warnt die Bundeskanzlerin zugleich vor überzogenen Reaktionen angesichts einer demokratisch legitimen Entscheidung eines souveränen Staates.
Referendum in der Schweiz hatte darüber entschieden, ob die Masseneinwanderung in die Schweiz reguliert werden sollte. Eine knappe Mehrheit hatte mit Ja entschieden. Die Reaktion der EU war zunächst schroff und abweisend und hatte so gar nichts mit der Akzeptanz von demokratisch legitimierten Entscheidungen in einer modernen zivilisierten Gesellschaft zu tun. Angekündigt wurde eine regelrechte Eiszeit in den Beziehungen der EU zur Schweiz. Diesen aggressiven Ton hat die deutsche Bundeskanzlerin deutlich abgemildert. Immerhin habe die Schweiz jetzt ohnehin drei Jahre Zeit, darüber nachzudenken, wie die Einwanderungspolitik neu geregelt werden könne.

Merkel selbst unter Druck

Die versöhnlichen Töne der Kanzlerin sind allerdings nicht ganz grundlos. Immerhin geht es um ein Volumen von 75 Milliarden Euro, die die wirtschaftlichen Kontakte zur Schweiz auch für Deutschland interessant machen. Darüber hinaus sind etwa 350.000 Deutsche zumindest im Arbeitsmarkt der Schweiz integriert, wobei auch viele persönliche Beziehungen zwischen Schweizern und Deutschen auf dem Spiel stehen.

Noch mehr Druck kommt vom deutschen Fiskus. Nachdem es nach wie vor kein Steuerabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland gibt, vermuten die deutschen Finanzbehörden noch jede Menge an der deutschen Steuer vorbeigeschmuggelten Gelder in der Schweiz. Und derer beziehungsweise deren Besitzer möchte man doch ganz gern habhaft werden. Der umstrittene Ankauf der sogenannten Steuersünder-CDs im grossen Massstab beispielsweise durch das Finanzministerium von Nordrhein-Westfalen funktioniert aber nur dann, wenn die Schweiz der Bundesrepublik Deutschland gewogen bleibt. Auch wenn darüber nicht öffentlich diskutiert wird, ist auch das mit Sicherheit ein politisches Kalkül bei der Betrachtung der aktuellen Lage in den Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland.


Steuersünder-CD

Steuersünder-CD. (Bild: Kurt F. Domnik / pixelio.de)


Dazu kommt die Tatsache, dass die Schweiz Transitland für deutsche Fernlieferungen beispielsweise nach Italien ist. Verschärft sich der Ton weiter, ist auch hier mit drastischen Reaktionen seitens der Schweiz zu rechnen, die Deutschlands Wirtschaft durchaus unter Druck setzen können.

Verwaschene Inkonsequenz als Taktik?

Nicht überraschend, aber doch erstaunlich verwaschen kommt die Sicht der Kanzlerin bezüglich der aktuellen Kroatien-Problematik daher. Hier spricht Merkel davon, dass die Europäische Union nicht ihre Prinzipien verraten werde und die Schweiz nicht ihr Abstimmungsergebnis. Was das konkret heissen soll, bleibt unklar. Verwaschener lässt sich Staatspolitik in bilateralen Beziehungen kaum machen.

Abgezielt wird mit dieser Debatte auf die Entscheidung der Schweiz, das Freizügigkeitsabkommen mit Kroatien vorerst auf Eis zu legen. Während Bundespräsident Burkhalter davon spricht, dass nichts gestoppt werden würde, aber Ergebnisse der plebiszitären demokratischen Entscheidung zu beachten seien, scheint Merkel ein ganz anderes Problem zu haben. Macht die Schweiz ihre Grenzen dichter, muss letztlich die Bundesrepublik Deutschland mit einem spürbaren Plus an Zuzüglern eben auch aus Kroatien und dem restlichen Balkan-Raum rechnen. Die öffentliche deutsche Debatte über die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren liegt Merkel offenbar selbst noch schwer im Magen, zumal hier die Entwicklungen noch gar nicht absehbar sind. Letztlich kann es Deutschland nur recht sein, wenn möglichst viele Osteuropäer ihr Heil im Nicht-EU-Land Schweiz suchen. Hier kann sich die EU nämlich entspannt zurücklehnen und weder Berlin noch Paris oder Brüssel müssen mit einer neuen grossen Welle von Armutsflüchtlingen in ohnehin schon überlastete Sozialkassen kämpfen.

Bekanntermassen ist die deutsche Kanzlerin Meisterin im Aussitzen politischer Machtspielchen. Dass die Schweiz hier kein Machtspiel führt, sondern den legitimen Volkswillen umsetzt, scheint dabei zunächst egal. Auch nicht verwunderlich, da bekannt ist, dass nach einer aktuellen Umfrage etwa zwei Drittel der Deutschen auch gern einen Volksentscheid zur Masseneinwanderung nach Deutschland hätten. Dann nämlich wird fraglich, wie wichtig Einwanderer für die deutsche Wirtschaft wirklich sind. Angesichts leerer Sozialkassen in den Kommunen, vor allem in den grossen Ballungsgebieten an Rhein und Ruhr, scheinen es nämlich doch nicht überwiegend gut qualifizierte und arbeitsbereite Menschen zu sein, die in Deutschland ihren neuen Lebensmittelpunkt suchen. Die Diskrepanz zwischen schöngeredeter Integration und bitterer Wahrheit stellt sich gerade dort besonders deutlich dar, wo sich deutsche Staatsbürger im eigenen Land mittlerweile als Minderheit fühlen. Auch dieser Fakt lässt sich bei aller gelassener Distanz nicht wegreden.

Bleibt zu hoffen, dass der Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin, Überreaktionen zu vermeiden auch in der restlichen EU auf Gehör trifft. Letztlich ist Deutschland als EU-Land nämlich auch in der Aussenpolitik an die Prinzipien der Europäischen Union gebunden und kann sich Alleingänge kaum erlauben. Ebenso bleibt zu erwarten, dass die EU selbst ihr Verhältnis zu inneren demokratischen Entscheidungen eines Nicht-EU-Landes überprüft und letztlich auch akzeptiert, dass Andersdenken-dürfen eine Form der Freiheit ist.

 

Oberstes Bild: © Thomas Häcki – Fotolia