Industrie-Lehrstellen unbesetzt: Imageproblem oder Elitismus?

In einer Pressekonferenz anlässlich des Industrietages beklagte Hans Hess, Präsident des Industrieverbandes Swissmen, die Unterbesetzung von Lehrstellen in der Elektro- und Metallindustrie. Fünf bis sieben Prozent der Lehrstellen konnten in diesem Jahr nicht mehr besetzt werden. Das ist ein neues Phänomen. Noch bis 2005 hatten diese Industriesparten trotz Fachkräftemangel keine Probleme, Lehrlinge zu finden.

Ein Problem sieht Hess im Image der Berufsgruppen und der Lehre an sich, für dessen Verbesserung bisher zu wenige Kommunikationsanstrengungen unternommen würden. Die viel gravierendere Ursache aber liegt seiner Meinung nach im Akademisierungs-Trend, der vor allem von Eltern vorangetrieben wird. Die Gesamtzahl der Volksschulabgänger nimmt ab. Eltern wollen ihren Kindern zunehmend die vermeintlich besten Chancen eröffnen, die nur die Matura ihnen zu bieten scheint. Gleichzeitig beginnt für junge Schweizer das Studieren zum Selbstverständnis zu gehören.

Diese Ambitionen ehren zwar, decken sich aber nicht unbedingt mit der ökonomischen Realität. Die Industrie brauche nämlich nur 10 % Akademiker mit Universitätsabschluss, aber zwischen 15 und 20 % Abgänger von Fachhochschulen – die schliesslich auch auf anderem Weg als durch die Matura besucht werden können, so Hess. Die restlichen Arbeitnehmer bräuchten eine solide Fachausbildung, wie sie nur die spezialisierten Berufslehren innerhalb eines Unternehmens bieten könnte.

Gegeben ist auch, dass Aufstiegschancen in der Industrie keinesfalls an einen akademischen Titel geknüpft wären. Auch unter den jüngeren Semestern der leitenden Industrieangestellten und des Managements finden sich zahlreiche erfolgreiche Karrieren, die auf einer Berufslehre fussten und im Laufe der Tätigkeit durch Fortbildungen ausgebaut werden.

Hess plädiert zum einen für ein gesteigertes Problembewusstsein. Wenn über Wettbewerb nachgedacht wird, dann meist auf Absatzseite – der Fokus liegt auf den Mitbewerbern in der Produktion. Tatsache ist aber, dass die Konkurrenz auch auf dem Arbeitsmarkt besteht und die Industrie hier zu wenig tut, um als attraktiver Arbeitgeber aufgestellt zu sein. Die Industrie und ihre Vertreter müssen pro-aktiv auf Eltern zugehen und die vorhandenen, falschen Bilder von der Beschäftigung in dieser Branche ausräumen. Vor allem müssen auch Mädchen und Frauen angesprochen werden. Denn für 99 % der Industrieberufe gilt, dass sie von Frauen und Männern gleichmässig gut ausgeübt werden können, so Hess.

Auch das Prinzip des Lifelong-Learnings wird noch viel zu wenig genutzt. Das Schweizer Ausbildungssystem ist ausserdem viel durchlässiger als allgemein bekannt. Viele Lehren bieten Anschlussausbildungen in Fachhochschulen oder können in ein umfangreicheres Trainee-Programm innerhalb des Betriebes eingebunden sein. Hier müssen die Kommunikations- und Kooperationsmassnahmen mit Schulen weiter ausgebaut werden. Auch auf Zuwanderer mit Kindern im entsprechenden Alter müsste verstärkt zugegangen werden, die mit den Möglichkeiten des dualen Bildungssystems in der Schweiz noch zu wenig vertraut sind.

 

Oberstes Bild: © Goodluz – Shutterstock.com

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