Wie ticken die Schweizer?
Eine durchaus interessante Frage, wenn man doch bedenkt, wie eigen ein Volk sein kann. Zumal dann, wenn dieses Volk angereichert ist mit einer Menge von Zuwanderern aus aller Herren Länder.
Dann lässt sich der Schweizer an sich gar nicht mehr so genau definieren, da sich hier überlieferte Lebensgewohnheiten eines herzlichen Bergvolkes mischen mit den Sitten und Gebräuchen aus aller Welt.
Und so wird auch die Beantwortung der Frage nach der typisch Schweizer Lebensart gar nicht so einfach sein. Fest steht jedoch, dass man in den grossen Städten deutlich offener und internationaler lebt als in den zurückgezogenen Dörfern und Einsiedeleien in der schroffen Bergwelt. Erst recht dann, wenn diese noch nicht vom Tourismus überflutet sind.
Schweizer Uhren geben den Takt vor
Sie sind für ihre Präzision und Güte weltweit bekannt und geschätzt, die Schweizer Uhren. Sie sind es dann eben auch, die den Schweizer Takt vorgeben. Der erscheint immer gleichmässig gelassen, ausdauernd in der Wiederholung und ganz eigen im Wechsel der Zeiten. Schweizer Präzisionsarbeit ist nicht nur in der Uhrenindustrie gefragt. Selbst auf den hohen Almen oder in zurückgezogenen Dörfern wird Präzision mit Gleichgang und Gründlichkeit gleichgesetzt.
Wer dahinter eine gewisse Langeweile vermutet, darf sich gern eines Besseren belehren lassen. Auch wenn das Leben in der Schweiz einer komfortablen Gleichmässigkeit folgt, ist es dennoch alles andere als öde. Vielmehr bestimmt sich der Takt der Schweizer Berechenbarkeit aus der Tradition eines Volkes, das Toleranz nach Innen und Neutralität nach Aussen genauso lebt wie die Fähigkeit, sich einzumischen.
Schweizer Leben ist von Vertrauen geprägt
Was die Schweizer untereinander besonders mögen, ist Vertrauen. Kein blindes Vertrauen, kein blauäugiges Problemvermeiden, sondern vielmehr die Verlässlichkeit des Wortes. Hier lassen sich die Schweizer nicht gern über den Tisch ziehen und messen ihr Gegenüber nicht nur nach dem, was es sagt, sondern vor allem nach dem, was es tut.
Das ist auch der Grund dafür, dass so mancher Tourist und Neu-Schweizer die Alteingesessenen eher als etwas schroff und stur einschätzt. Aber genau dieses Beharren auf die Wahrhaftigkeit hat die Schweiz über viele Jahrhunderte zu dem reifen lassen, was sie heute ist. Ein verlässliches Gemeinwesen mit direkter Demokratie und einer beständig neutralen militärischen und aussenpolitischen Grundhaltung.
Neutralität heisst längst nicht Egalität
Es ist weder egal noch uninteressant, was Nichtschweizer tun. Das betrifft die Gäste und Zuwanderer im eigenen Land genauso wie die internationale Politik oder bilaterale Beziehungen. Der Schweizer Status der Neutralität ist nicht davon gekennzeichnet, dass sich der Schweizer aus allem heraushält.
Es ist lediglich das souveräne Bestreben, eigene Angelegenheiten selbst zu klären und diese Mündigkeit auch anderen Staaten und Staatengemeinschaften zuzuerkennen. Daran hat auch ein grosses Europa nichts geändert, das sich praktisch wie das Fruchtfleisch eines Apfels rund um das Kerngehäuse Schweiz gruppiert. Und so eigen wie das Kerngehäuse im Apfel bleibt auch die Schweiz in der innereuropäischen Politik.
Selbstbestimmung als Pfandbrief für Freiheit
Die meisten europäischen Staaten tun sich mit Begriffen wie Selbstbestimmung oder direkte Demokratie äusserst schwer. Spätestens die europäische Einigung verlangte nach gemeinsam getroffenen Grundsatzentscheidungen, die heute weit über den Grundsatz hinausreichen. Eine wahre Regelungsflut überschwemmt die europäischen Nationalstaaten und sorgt mit der einen oder anderen Detailregelung nicht nur für Verwunderung und Schmunzeln.
Wie krumm darf eine Banane sein und wie dick muss eine Gurke sein? Auch das regeln EU-Richtlinien, bei denen sich die Parlamentarier wohl wichtiger nehmen, als sie wirklich sind. Was der europäische Steuerzahler dann so an Wundersamem über sich ergehen lässt, sprengt den Rahmen dessen, was er sich in der demokratischen Wahl eines Europaparlamentes jemals vorgestellt hatte. Es entwickelt sich ein politischer Moloch, der kaum noch zu zügeln ist. Einschränkungen freiheitlicher Grundrechte folgen schleichend, aber unaufhaltsam.
Anders in der Schweiz. Hier wird auf direkte Demokratie gesetzt. Die ist nicht immer einfach, im Gegenteil, sie ist aufwändig und oftmals unbequem. Damit passt sie aber genau zum Schweizer Urgestein. Der Schweizer lässt nicht gern über sich regieren, sondern gern mit sich regieren. Der Wille des Volkes in seiner einfachen Mehrheit ist ein Grundgebot einer direkten Demokratie, die das Staatsvolk mit in alle wichtigen Entscheidungen seiner Lebensführung einbezieht.
Und genau hier ticken die Schweizer eben anders, als der Rest Europas. Während beispielsweise in Deutschland aller vier Jahre ein Bundestag und eine Bundesregierung gewählt werden, die dann fast unbeeinflusst über das Wohl und Wehe eines ganzes Volkes bestimmen, redet der Schweizer auch in der Legislaturperiode mit. Das strengt an, bietet aber Chancen für Entwicklungen, die vor allem auch von der Bevölkerung getragen werden. Souveräne Selbstbestimmung nach Innenm – aber auch nach Aussen – ist der Pfandbrief für die integre Freiheit eines Volkes, die von vielen Europäern beschworen, aber gar nicht mehr verstanden wird.
Der Schweizer bleibt Schweizer
So lassen sich Deutsche, Franzosen, Spanier, Italiener und viele andere europäische Nationen einfach zu Europäern erklären, während der Schweizer eben Schweizer bleibt. Diese Sonderstellung in Europa bringt den Eidgenossen Anerkennung ein, die jedoch nicht selten nur unter der Hand ausgesprochen wird. Besonders die Einwohner aus den Nachbarstaaten beneiden den Schweizer wegen seiner Eigenständigkeit in allem, was er tut. Hier hat das Wahlvolk ein Auge auf die Regierung, während rundherum schulterzuckend auf die nächsten Wahlen gewartet wird. Damit dann letztlich alles so bleibt, wie es schon immer war.
Eine solche Stabilität mögen auch die Schweizer, jedoch mit einer Präzision, die sich wohltuend und erfrischend vom europäischen Einheitsgemurmel abhebt.
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