Jobkiller Überstunden

Immer mehr Schweizer leisten immer mehr Überstunden. Das stellen die Studien zu den Arbeitszeiten in der Schweiz aus den ersten beiden Quartalen 2014 zweifelsfrei fest. Dabei verstehen die Arbeitgeber die Bereitschaft zur Leistung von Überstunden als ein Zeichen der Flexibilität, die Arbeitnehmer fühlen sich zunehmend mehr unter Druck, Mehrarbeit über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu leisten. Wer nicht mitspielt, darf unter ungünstigen Umständen gehen.

Bemerkenswert und fragwürdig zugleich ist die Tatsache, dass eine grosse Anzahl der geleisteten Überstunden nicht einmal bezahlt oder anderweitig ausgeglichen wird. Das führt dazu, dass zumindest die Gewerkschaften zunehmende Überstunden auch als eine Art Jobkiller bewerten. Wenn Überstunden zum Standard in den Unternehmen werden, dann sparen sich die Arbeitgeber die Besetzung der einen oder anderen Stelle und damit auch die entsprechenden Kosten.

Überstunden werden zur Normalität

In Befragungen von Arbeitnehmern in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen ergibt sich ein Bild, das in vielen Farben widerspiegelt, dass Überstunden zunehmend mehr zur betrieblichen Normalität werden. Unterschiedliche Vorwände werden dazu angegeben, warum Überstunden geleistet werden müssen. Dazu zählen angeblich unerwartete Auftragsspitzen, die Erhaltung des guten Rufes der Firma, zu wenig Leistungsbereitschaft innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit. In manchen Fällen werden die geleisteten Überstunden extra abgerechnet und bezahlt, in vielen Fällen jedoch werden die Überstunden nicht gesondert honoriert, wenn in dieser Zeit einfach nur die vertraglich vereinbarte Leistung erbracht wird. Auf diesem Weg werden Überstunden schleichend zur Normalität.

Unterschiedliche Ansichten verschlimmern das Dilemma

Vergleicht man die Ansichten der Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander, dann tut sich ein klares Dilemma auf, das in aller Regel zu Lasten der Arbeitnehmer geht.

Entsprechend des Arbeitsvertrages stellt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine bestimmte Zeit als Arbeitszeit zur Verfügung. So sieht es beispielsweise die Gewerkschaft Syna.

Die Arbeitnehmer haben in dieser vereinbarten Arbeitszeit eine meist vorbestimmte Leistung zu erbringen. Reicht die normale Arbeitszeit dafür nicht aus, kommt es oftmals zu Überstunden. Die werden von den Arbeitnehmern oftmals bereitwillig geleistet. Allerdings hat die Bereitwilligkeit hier einen faden Nachgeschmack. Mit Überstunden stellt der Arbeitnehmer nämlich dem Arbeitgeber auch einen Teil seiner Freizeit zur Verfügung. Und das manchmal unentgeltlich. Viele Arbeitnehmer leisten die Überstunden nicht ganz freiwillig. Hinter der Bereitschaft zur Mehrarbeit steht oftmals auch der Druck, den Arbeitsplatz behalten zu wollen und die Erwartungen der Arbeitgeber zu erfüllen. Werden Überstunden bezahlt, dann spielen natürlich auch materielle Interessen eine wichtige Rolle.


Flexibilität ist hier das Schlagwort der Arbeitgeber. (Bild: Iz89 / Shutterstock.com)
Flexibilität ist hier das Schlagwort der Arbeitgeber. (Bild: Iz89 / Shutterstock.com)


Die Masse der Arbeitgeber sieht das Problem viel entspannter. Moderne Arbeit verlangt eben auch nach modernen Arbeitszeitmodellen, die mit fest vereinbarten arbeitstäglichen Arbeitszeiten kaum noch zu vereinbaren seien. Flexibilität ist hier das Schlagwort der Arbeitgeber, die von ihren Arbeitnehmern den vollen Einsatz möglichst zu jeder Zeit erwarten. Die Rede ist dann gern von Wochenarbeitszeiten oder Arbeitszeitkonten. Demnach werden geleistete Überstunden in ruhigeren Zeiten wieder mit Freizeit ausgeglichen. Dass das nicht immer stimmig ist, liegt auf der Hand.

Moderne Arbeitgeber sehen die Problematik aber gern auch anders. So nütze es nichts, wenn zugunsten von Stelleneinsparungen oder wegen vorgeblicher Spitzenzeiten Überstunden en masse angeordnet werden. In der Folge werden die so mehr belasteten Mitarbeiter zunehmend unkonzentrierter, die Freizeit reicht nicht mehr aus, um die Arbeitskraft vollständig wiederherzustellen, in der Folge häufen sich Fehlentscheidungen und mangelhafte Arbeit. Das kann nicht der Sinn von Überstunden sein. Hier ist es langfristig effektiver, zusätzliche Arbeitskräfte zu rekrutieren, wenn das der tatsächliche Bedarf im Unternehmen hergibt. Klar wird, dass es zu einer Problematik durchaus unterschiedliche Ansichten gibt.

Überstunden sind moderne Ausbeutung

Dass Arbeitgeber ihre Angestellten nicht ohne einen gewissen Selbstzweck auswählen, dürfte klar sein. Lohnarbeit ist immer ein gutes Stück bezahlter Nutzung von Leistungskraft, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Wie weit diese Nutzung zu einer angemessenen Bezahlung reichen soll, regelt im Normalfall der individuelle Arbeitsvertrag. Darüber hinaus müssen aber immer mehr Angestellte immer mehr Überstunden leisten. Und das oftmals ohne besondere Entlohnung. Hier greift eine moderne Form der Ausbeutung, die den Arbeitnehmer letztlich zum willfährigen Erfüllungsgehilfen der Profitinteressen der Arbeitgeber macht. Das sehen Arbeitswissenschaftler genauso wie Gewerkschaften und kritische Arbeitnehmer.



Unbestritten bleibt dabei, dass ein gewisses Mass an Überstunden im Sinne der betrieblichen Abläufe und kurzfristiger überschaubarer Erfordernisse immer wieder einmal notwendig sein kann. Allerdings eben nur in einem eng begrenztem und klar definiertem Rahmen. Wenn sich Überstunden in Unternehmen als Standard herausbilden, dann wird hier eine ethische und moralische Grenze klar überschritten. Nicht selten wird dabei ein versteckter Druck auf die Arbeitnehmer ausgeübt. Etwa mit Bemerkungen wie: „Wer nicht bereit ist, dem Unternehmen in schwierigen Zeiten zu helfen, sollte sich schon einmal nach einem anderen Job umsehen!“ Natürlich gehen solchen Drohungen auch milder, letztlich sind sie aber immer dazu geeignet, Druck auf die Arbeitnehmer auszuüben, die dann mehr oder minder freiwillig eine nicht immer klar definierte Zahl von Überstunden leisten. Gehören Sie auch dazu?

 

Oberstes Bild: © Martin Novak – Shutterstock.com

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