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Sorge um die Zukunft der Dörfer im Oberwallis

01.12.2014 |  Von  |  Beitrag

Im Oberwallis gibt es einen Trend, der mit Sorge beobachtet wird: Die traditionellen Dorfkerne entleeren sich immer mehr und somit ist die traditionelle Bauweise der Region gefährdet. Neubaugebiete können den Charme und den Charakter kleiner Dorf- und Stadtzentren nicht ersetzen, die Heimatgefühl pur vermitteln.

Die alten Häuser stehen dicht an dicht, was immer zu sozialen Kontakten geführt hat. Heute vermittelt genau das schnell den Eindruck der Sozialkontrolle. Ausserdem wollen viele Schweizer heute ein Einfamilienhaus mit Grundstück, das Privatsphäre verspricht.

Plätze und Gassen wirken bereits teilweise verwildert und ungepflegt, haben aber noch immer ihren eigenen Charme. Ganze Dorfkerne zu sanieren ist enorm aufwändig, auch wenn sich die Sektion Oberwallis des Schweizer Heimatschutzes der Sache schon gemeinsam mit dem Denkmalschutz annimmt um das Problem kümmert. Restauration und Sanierung der Zeitzeugen der alten Kultur des Wallis‘ sind umso wichtiger, wenn man beobachtet, dass dessen Bewohner sich – anders als in grossen Städten – wieder auf ihre Traditionen und Bräuche besinnen.

Auch Architekten und Ethnologen werden durch verlassene Quartiere und leerstehende, dem Verfall anheimgegebene Gebäude angelockt. Die Frage stellt sich, wo die Sanierung sinnvoll ist und wo ein Abbruch die bessere Variante ist. Viele Arbeitsgruppen haben sich in den letzten Jahren auf den Dörfern gebildet, die es als ihre Aufgabe sehen, die Zukunft der eigenen Heimat zu gestalten – auch Hand in Hand mit Stiftungen und Vereinen. Nicht nur die bedrohten Gebäude sollen so gerettet werden, auch Kultur und Geschichte des Oberwallis‘ spielen eine Rolle. Kulturpfade, die Umnutzung von Gebäuden in Dorfmuseen sind Projekte, die angestrebt werden.

Als Beispiel darf hier das Wohnmuseum in Visperterminen gelten, in dem man eine private Führung nach Voranmeldung bekommen kann. Empfehlenswert! Von 1701 bis 1985 war das Gebäude eine Wohnung und heute führt der Mensch hindurch, der dort gelebt hat und von seinem eigenen Familienleben erzählt – und zwar mit Freude und Begeisterung. Auch das Dorfleben kommt bei der Schilderung nicht zu kurz. Eine Wohnung, deren Funktionen so vielfältig war, ist heute kaum noch nachvollziehbar, denn dort wurde alles gemacht: Geburten fanden im Haus statt, es wurde gearbeitet, gelebt, gebetet und eine Privatsphäre, wie sie uns heute allen heilig ist, gab es einfach nicht.


Schwarzsee oberhalb von Blatten im Lötschental (Bild: © Johannes Löw - CC BY-SA 2.5)

Schwarzsee oberhalb von Blatten im Lötschental (Bild: © Johannes Löw – CC BY-SA 2.5)


Doch nicht nur die Geschichte der Familie steht hier im Mittelpunkt, sondern auch die damalige bäuerliche Wohnkultur und die Lebensumstände auf den Dörfern im Wallis werden unter die Lupe genommen. Dabei ist das Anfassen der Objekte erlaubt und man bemüht sich, auf Fragen zu antworten. Auch Teile alter Trachten können anprobiert werden. Wenn man wieder auf die Strasse kommt, braucht man einen Moment, um sich im Hier und Jetzt wieder zu orientieren. Es bleibt zu hoffen, dass derartige Zeitzeugen auch für die Generationen nach uns noch zugänglich sein werden.

Mit der Trägerschaft des Wohnmuseums und auch mit dem Kulturgut am Eingang des Vispertals generell beschäftigt sich der Verein „z’Tärbinu“. Liebevoll kümmern die Engagierten sich hier um die Restaurierung von Mühlen, Kalköfen und Weinpressen, die dann auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Im Museumsnetz Wallis ist der Verein Mitglied, was mit der partnerschaftlichen Kooperation mit anderen Museen einhergeht. Dem Besucher wird eine unbekannte Welt erschlossen und ein Problembewusstsein für sich entleerende Dorfkerne vermittelt.

Alt und neu können nebeneinander existieren und auch marode Gebäude lassen sich wieder in Schuss bringen. Das Beispiel von Naters ist ein guter Beweis dafür. Alte Ställe und Scheunen stehen hier unmittelbar neben moderner Architektur. Natürlich geht das Aussterben der Ortskerne nicht nur im Wallis vor sich. Überall in der Schweiz und darüber hinaus ist dieses Phänomen vorhanden. Naters liefert ein Beispiel, wie man mit der Sache umgehen kann. Heute werden dort Wirtschaftsgebäude bewohnt, die vor Kurzem noch leer standen. Der Heimatschutz hat sich folgende Philosophie zugrunde gelegt: Man soll alte Gebäude erhalten und lieber dichter bauen als Bauten abreissen oder verfallen zu lassen und sich stattdessen im Grünen auszubreiten.

Neugestaltung ist natürlich nicht grundsätzlich abzulehnen – aber man soll das vorhandene architektonische Umfeld respektieren und neue Gebäude integrieren. Diego Clausen, Architekt, und Kilian Carrarini, Bauherr, hatten die Idee der Umnutzung der Ökonomiegebäude und konnten im alten Dorfkern und in alten Gebäuden die Lebensqualität und den Komfortbedarf des 21. Jahrhunderts etablieren. Sie hatten einfach das nötige Fingerspitzengefühl. Dabei ist unumstritten, dass ein solches Gebäude viel mehr Charme hat als eine Einfamilien-Reihenhaus-Siedlung am Stadtrand. 2005 bekam Herr Carrarini dafür sogar den Oberwalliser Heimatschutzpreis.



Man kann nur hoffen, dass die Bevölkerung die Sehnsucht nach einem individuellen Zuhause dahin bringt, sich auf alte Werte und Traditionen zurückzubesinnen. Umbauen ist oft günstiger als neu zu bauen. Hier tut sich eine Chance für die Dörfer auf. Das Bevölkerungswachstum im Wallis ist im Moment enorm, besonders in der Stadt Martinach. Weniger als 200 Menschen weisen nur noch 13 Walliser Gemeinden auf – zehn davon im Oberwallis.

 

Oberstes Bild: © Mirages.nl – shutterstock.com

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