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Dienstleister oder böse Macht – Die umstrittenen Rolle von Ratingagenturen

04.12.2014 |  Von  |  Beitrag

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Mit dem Fortschreiten der Wirtschafts- und Finanzkrise wuchsen die Negativmeldungen über Ratingagenturen. Seit vielen Monaten vermelden die Medien in aller Regelmässigkeit Schreckensmeldungen über unsere EU-Nachbarn Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und andere.

Die Angst vor einer Staatsinsolvenz, wie sie Argentinien erlebt hat, geht auch in Europa um. Auch die Tatsache, dass der Totalausfall eines Staates letztlich eine Schwächung der Weltwirtschaft insgesamt herbeiführen könnte, erschreckt. Nachrichten- und Informationsdienstleister berichten quasi ohne Unterlass darüber, wie es um die globale Konjunktur bestellt ist, und welche finanziellen Sorgen und Nöte Europa beschäftigen. Es liegt auf der Hand, dass zuverlässige Prognosen über die Güte wirtschaftlicher Aktivitäten und damit über die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten in einem solchen Umfeld an Bedeutung gewinnen. Wie sehen Ratingagenturen ihre Rolle in dieser Gemengelage?

Das Kerngeschäft von Ratingagenturen besteht darin, Wertpapiere zu bewerten und in sogenannten Ratings eine Aussage über die Kreditwürdigkeit des untersuchten Partners zu treffen. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Aktie oder eine Anleihe eines Unternehmens tatsächlich ausfällt. In der Regel beauftragen die Emittenten von Wertpapieren die Ratingagenturen; sie sind es auch, die die Kosten der Agenturarbeit tragen.

Mehrfach hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Prognose einer Ratingagentur erhebliche Auswirkungen haben kann; dies umso mehr, weil viele Entwicklungen im internationalen Handel und an der Börse vor allem eine psychologische Ursache haben. Manchmal sind sie auch einfach das Resultat des Herdentriebs der Menschen. Zuweilen reicht schon eine einzige schlechte Nachricht aus, um den Wert eines Wertpapiers binnen kurzer Zeit erheblich zu mindern.

Richtig dramatisch kann es werden, wenn sich die Negativbewertung auf eine ganze Volkswirtschaft erstreckt. Dann sind die Anleger verunsichert, denn die Anleihen des betroffenen Staates geraten schnell in Verruf mit der Folge, dass die Zinsen bei der Aufnahme neuer Kredite spürbar nach oben schnellen. Muss man höhere Zinsen für geliehenes Geld zahlen, sinkt das Staatskapital – und schnell können Staaten auf diese Weise in eine ausweglose Situation geraten. Ratingagenturen wissen um diese oftmals fatalen Konsequenzen ihres Handelns – nicht selten ist eine einzige Nachricht der Auslöser dafür, dass ein Teufelskreis in Gang gesetzt wird – und doch gehen sie dieses Risiko ein. Wieso?

Hopp oder Top? Pygmalion- oder Golem-Effekt

Die Krux bei der Sache ist, das schlechte Bewertungen eines Landes, die eine Ratingagentur zu verantworten hat, schnell zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden können. Dadurch kann beinahe jeder Staat, der mit Schulden zu kämpfen hat, binnen kurzer Zeit kollabieren. Nur wenig beruhigt da das Wissen, das dasselbe Prinzip auch umgekehrt funktioniert, in dem eine positive Bewertung ein noch besseres wirtschaftliches Standing nach sich zieht, wenngleich: Die Folgen lassen sich in diesem Fall wesentlich gelassener ertragen. Das, wie sich schon mehrfach gezeigt hat, sehr wirksame Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung zieht es nach sich, dass Politiker mit ihrer Kritik an Ratingagenturen oft sehr sparsam umgehen – sie möchten nämlich unbedingt vermeiden, das der eigene Staat plötzlich ins Blickfeld des Analysten gelangt.
[/vc_column_text][vc_separator color=“grey“][vc_video link=“https://www.youtube.com/watch?v=-IYUqw_adBM „][vc_separator color=“grey“][vc_column_text]Das Dreigestirn

Freilich verfügen nur einige wenige Ratingagenturen über die Anerkennung und damit die Position, um die Bewertung von Staaten und Grossunternehmen wirksam zu beeinflussen, ihrer Bedeutung entsprechend werden sie auch „Die grossen Drei“ genannt. Die älteste, bekannteste und traditionsreichste Ratingagentur ist Standard & Poor’s, die seit anderthalb Jahrhunderten die Finanzwelt mit ihren Analysen mit steuert, hiernach folgt die nach dem Firmengründer John Moody benannte Agentur Moody’s, immerhin auch schon anerkennenswerte 100 Jahre alt, und schliesslich der jüngste Spross unter den Ratingagenturen, die Agentur Fitch.

Das grosse Vertrauen, dass Anleger trotz der jüngsten Erfahrungen in diese drei Ratingagenturen setzen, versetzt die Analysten in die Lage, das Ansehen von Wertpapieren massgeblich zu steuern. Für ihre Bewertungen nutzen die Ratingagenturen ein einfaches System aus Buchstaben. Die Bestnote ist das Triple-A. Die im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise gewachsene Kritik an der herausgehobenen Stellung der drei grossen Ratingagenturen hat die Forderung nach einer explizit von den europäischen Staaten eingerichteten Agentur lauter werden lassen. Skeptiker sehen hierin jedoch kein probates Mittel, um die grossen Drei in ihrem Einfluss zu beschneiden.

Berechtigte Kritik

Die Öffentlichkeit hierzulande sieht vor allem in der US-amerikanischen Herkunft der Ratingagenturen eine Benachteiligung Europas. Sie seien ihrer ureigenen Aufgabe, vor sich anbahnenden Krisen zu warnen, nicht in der gebotenen Form nachgekommen, lautet die Kritik. Auch in der im Finanzsektor gängigen Praxis, dass zu bewertende Unternehmen Ratingagenturen beauftragen können, wird ein unerlaubtes Verfahren gesehen. Ein auf einem sachlichen Fundament ruhendes Meinungsbild werde hierdurch behindert, wenn nicht sogar ausgeschlossen.

Die Beschuldigungen reichen bis zu der Annahme, dass das die Bewertung je nach Höhe der Zahlungen an die Ratingagenturen ausfalle; je mehr Geld die Ratingagenturen für ihre Dienstleistung erhalten, desto besser falle das Urteil aus – vor allem mit Blick auf die Staatsanleihen ein Verdacht mit extremen Folgen. Ein den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechendes Bild, so lautet der Vorwurf, würde gezielt gegen eine gefälschte Bewertung und Einschätzung ausgetauscht; weder ein realistisches Abbild der Situation noch eine valide Risikobewertung sind unter diesen Umständen möglich.

Die massive Kritik an den allgemein üblichen Praktiken der Ratingagenturen hat in jüngster Zeit mindestens partiell zu einem Umdenken geführt. Mittlerweile haben die Agenturen ein gut funktionierendes Warnsystem eingerichtet. Die marktschreierischen Rufe nach der vollständigen Abschaffung der Ratingagenturen können daher getrost der Kategorie „Stammtischgerede“ zugeordnet werden, und doch sollte allen Unkenrufen zum Trotz in die eine oder andere Richtung eines nicht vergessen werden: Ein wirksames Agieren der Ratingagenturen ist nur möglich, wenn Neutralität und Unabhängigkeit so weit wie möglich die handlungsleitenden Parameter darstellen.

 

Oberstes Bild: © Ai825 – Shutterstock.com[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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