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Der Mensch in seiner Arbeit ‒ eine »Menschine«?

16.12.2014 |  Von  |  Beitrag

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Plötzlich war er da, der neue Begriff: »Menschine«. Was fällt Ihnen spontan hierzu ein? Fällt Ihnen spontan etwas ein? ‒ Vielleicht: typisch Neusprech, Ökonomen-Slang oder so in der Richtung… »Menschine«, da stecken die Worte »Mensch« und »Maschine« drin.

»Menschine«, was ist der Zusammenhang, der hier auf den Begriff gebracht worden ist? ‒ »Menschine« drückt aus, was eine wachsende Anzahl von Menschen heute im Arbeitsleben fühlt, ohne bislang einen Wort dafür gehabt zu haben: Irgendwie nicht mehr selbstbestimmter Mensch sein zu können, sondern eine Mischung aus Mensch und Maschine; ein Werkzeug zur Erfüllung fremder Ziele; ein Rädchen in einem ferngesteuertes Räderwerk, das einfach nur zu funktionieren hat, und wenn es nicht mehr funktioniert ganz einfach ausgewechselt wird. ‒ Eine »Menschine« eben!

Menschen, Frauen und Männer, deren Arbeitsleben sie so fühlen lässt, brennen bereits nach wenigen Jahren aus, finden sehr oft auch privat zu Hause keine Zufriedenheit und Entspannung mehr und erleiden schliesslich ihr Burn-out. Menschen sind eben keine »Menschinen« ‒ möglichst unablässig reibungslos funktionierende menschliche Arbeitsmaschinen. Die Gründe, warum dennoch so viele Menschen an ihren Arbeitsplätzen zu »Menschinen« werden, manche sogar freiwillig, und wie sich das Dilemma zwischen den eigenen Lebenszielen und den Ansprüchen der Arbeitswelt bewältigen lässt, werden im Folgenden beschrieben.

Wenn Arbeit der alleinige Lebensinhalt ist

Arbeit ist wichtig. Idealtypisch ermöglicht sie die Selbstverwirklichung im Beruf und die Reifung der Persönlichkeit im Familien-, Freundes- und KollegInnenkreis und führt zu einer anerkannten sozialen Stellung im Unternehmen und in der Gesellschaft. Für die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen ‒ für viele davon in erster Linie ‒ ist Arbeit das Mittel zur Erzielung von Arbeitseinkommen als der Hauptquelle zur Sicherung des Lebensunterhalts der eigenen Person und Familie, zur Erfüllung persönlicher Wünsche und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Diese Doppelfunktion der Arbeit führt nicht selten dazu, dass Menschen am Firmeneingang ihre Persönlichkeit gewissermassen abgeben und dann in ihrer Arbeitszeit als fremdgesteuerte Maschinen fremdbestimmte Arbeitsaufgaben abarbeiten. Die vorgegebenen Ziele sind nur selten persönliche Ziele, sondern vielmehr die des Unternehmens. Diese Menschen werden im Unternehmen als fleissige und willenlose »Arbeitsbienen« angesehen, die sich ohne zu widersprechen immer neue, grössere Arbeitsumfänge umfassende Aufgaben, Normen und Ziele aufladen lassen, die sie dann willig und uneingeschränkt erfüllen.

»Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.« Auf eine Arbeitswelt, wie oben beschrieben, will das sagen: Auf Dauer kann so etwas nicht gut gehen. Es kommt der Punkt, an dem die Grenzen des von Menschen Leistbaren erreicht und die Arbeitskraft in ihren Möglichkeiten ausgereizt ist. Für die »Menschinen« drehen sich dann, um klassische Bilder zu gebrauchen, das Hamsterrad bzw. die Spirale aus Anforderungen, Leistungserfüllung und immer neuen, höheren Anforderungen immer schneller, schneller und noch schneller bis zum Zusammenbruch. Die zu Maschinen gewordenen Menschen können nicht mehr, brechen unter den Anforderungen zusammen und versagen ihren Dienst.

Wenn Arbeit der alleinige Lebensinhalt war, ist das Herausgeschleudert-Werden aus dem Hamsterrad für die Herausgeschleuderten umso schlimmer. Die Anforderungen der Arbeit bestimmten den Tagesablauf über alle Massen. Ein Privatleben hat nicht stattgefunden und ist nun verlorengegangen. Die früheren Freunde und im schlimmsten Fall auch die Familie haben sich zurückgezogen, da man nie Zeit für sie hatte.
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Träumen. (Bild: rangizzz / Shutterstock.com)

Träumen. (Bild: rangizzz / Shutterstock.com)

[/vc_column_text][vc_separator color=“grey“][vc_column_text]Freiwillig im Hamsterrad

Warum begeben sich Menschen, was gar nicht so selten ist, freiwillig in solche Hamsterräder? Sie haben es nicht gelernt, Anforderungen an sich selbst am Massstab der eigenen Fähigkeiten auszurichten und wenn es darauf ankommt ihrem Vorgesetzten sachlich begründet zu widersprechen. Meist sind sie in einer familiären Atmosphäre aufgewachsen, die strenge Disziplin und unkritischen Gehorsam einforderte und standen schon ab der Schule unter einem steten Leistungsdruck. Im Arbeitsleben haben nun die Vorgesetzten mit ihren Anforderungen die frühere Stelle der Eltern eingenommen; das zaghafte und seltene Lob der Eltern kommt jetzt vonseiten der KollegInnen und Vorgesetzten. Gelegentliche Lohnerhöhungen scheinen Anerkennung zu vermitteln, durch die sich solche selbstunsicheren Menschen gebraucht und wichtig fühlen.

Wenn sie aber einmal länger erkranken, stellen sie oftmals verwundert fest, wie unwichtig sie als Arbeitnehmer doch für das Ganze »ihres« Unternehmens sind und in ihrem Arbeitsbereich schnell und einfach ersetzt werden können. So werfen sie sich in falscher Wahrnehmung ihres Selbstwertes nach der Rückkehr freiwillig stärker als vorher wieder ins Hamsterrad, um zu beweisen, dass sie in »ihrem« Unternehmen unersetzbar sind.

Freiwillig übernehmen sie noch mehr Aufgaben und fahren gern auch Zusatzschichten, um mehr Leistungen zu erbringen. Der Zusammenbruch, der auch hier nach einiger Zeit droht, wird nicht gesehen oder schlicht verdrängt. Das heute allgemein verbreitete System der Arbeit fördert solches Verhalten; freiwillige Einsätze werden gern gesehen, aber weder angemessen belohnt noch sinnvoll eingrenzt. Die volle Hingabe an Beruf und Arbeit wird beim Arbeitnehmer vorausgesetzt im Rahmen eines Arbeitssystems, in dem der Einzelne nichts, die ihm abverlangte Arbeitsleistung aber alles zählt.

Raus aus dem Menschinen-Dasein

Der Weg heraus aus dem Hamsterrad mit seinen mit seinen Forderungen gelingt nur selten, wenn ausserhalb der Arbeit keine eigenen Lebensziele mehr verfolgt werden. Dies ist aber oftmals genau der Fall, haben sich die zu »Menschinen« gewordenen Arbeiter dermassen ins System der Arbeit integriert, dass sie ausserhalb dieses kaum eine Befriedigung meinen finden zu können. Wenn auch noch persönliche Vereinsamung hinzutritt, fördert dieses besonders den Prozess, in dem sich Menschen ganz der Arbeit verschreiben.

Die Familie kann hier der Rettungsanker sein, der die Betroffenen daran erinnert, dass ihnen das Leben mehr zu bieten hat als nur Arbeit und sich nicht im Hamsterrad der Menschinen-Existenz erschöpft ‒ sie darin erschöpft! Hobbys oder die Mitgliedschaft in Vereinen beispielsweise können andere Sichtweisen auf das Leben eröffnen und dazu dienen, neue Lebensinhalte zu gewinnen bzw. die in der Menschinen-Existenz über die Zeit verloren gegangenen Lebensziele wiederzuentdecken. Wichtig für den Ausstieg aus dem Menschinen-Dasein ist das Eingebundensein in einem sozialen Netzwerk mit möglichst vielen und unterschiedlichen Gruppen ausserhalb des Arbeitsumfeldes.

Wer den Ausstieg aus dem Hamsterrad des maschinengewordenen Menschseins zu lange vor sich herschiebt oder ganz verpasst, muss damit rechnen, sein Leben über kurz oder lang mehr und mehr als eine freudlose Existenz zu erfahren, die spätestens dann gescheitert ist, wenn er aufgrund physischer oder psychischer Erschöpfung und Krankheiten gewaltsam aus dem Hamsterrad herausgeschleudert worden ist.

Dann fallen die in ihrer früheren Arbeit nicht mehr gebrauchten Menschen nicht selten eine existenzielle Sinnkrise. Ihr Leben ist leer geworden; sie können keinen Sinn mehr darin erkennen und manche ziehen dann den Freitod als endgültigen und unwiderruflichen Ausstieg der Auseinandersetzung mit ihrem bisherigen und Neubestimmung ihres künftigen Lebens vor. Das ist eine Warnung an alle, die den Sinn ihres Lebens unterschätzen und den Wert ihrer Arbeit überschätzen. Ein Stoppschild zugleich für jene Vorgesetzten und Unternehmer, für die ihre Mitarbeiter nur willfährige, seelenlose und jederzeit austauschbare Erfüllungsgehilfen der eigenen Ziele sind.

 

Oberstes Bild: © Jack Frog – Shutterstock.com[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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