Shareconomy: Teilen statt Kaufen ‒ wächst hier ein neues Wirtschaftssystem?

Muss der Einzelne alles besitzen, was er benötigt? Eine wachsende Zahl vor allem junger Menschen in westlichen Gesellschaften sagt hier: Nein! Sachen lassen sich gemeinsam nutzen und mit dem Teilen lässt sich auch Geld verdienen. Airbnb, Citycar, Toolpool ‒ schon mal gehört?

Drei Internetportale, die für die Shareconomy, eine neue Art von Wirtschaft, stehen. »›Shareconomy‹ boomt und ruft allseits grosse Begeisterung hervor«, schreibt die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« in einem Artikel vom 22. Oktober 2013. Airbnb, Citycar, Toolpool sind Beispiele dafür. Eine gemeinsame Idee verbindet diese und andere Sharing-Portale: das zeitweise Überlassen eines Gutes, wodurch sein individueller Kauf ‒ respektive Besitz ‒ nicht notwendig ist; hier von Wohnraum (Airbnb), Autos (Citycar) und Werkzeug (Toolpool). Wächst hier ein neues Wirtschaftssystem heran, dessen Vorteile für die Akteure bei Weitem die Nachteile überwiegen. Die Anhänger der Shareconomy sagen hier: Ja!

So erspart das Mieten einer Sache zum Bruchteil ihres Kaufpreises ein Erhebliches der sonst, das heisst beim individuellen Kauf, notwendigen Anschaffungskosten. Zum Beispiel eine Bohrmaschine, die sich heute in fast jedem Haushalt findet; gelegentlich wird mit ihr in Haus, Wohnung oder Hobbykeller auch einmal gebohrt. Die meiste Zeit liegt sie aber ungenutzt im Werkzeugschrank. Denn wie oft benutzt der Einzelne seine Bohrmaschine im Jahr? Im Durchschnitt maximal zwei Stunden.


Eine Bohrmaschine findet sich in fast jedem Haushalt, wird aber nur gelegentlich genutzt. (Bild: Franz Pfluegl / Shutterstock.com)


Vergleichbare statistische Ergebnisse weisen Untersuchungen zum durchschnittlichen Nutzungsgrad eines individuell genutzten Autos aus. Im Stadt- und Landverkehr geht man von einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern aus, die durch die durchschnittliche Laufleistung von 175 000 Kilometern geteilt wird; es ergeben sich so 2 200 Stunden, die ein Auto in seinem ca. 15-jährigen Autoleben wirklich genutzt wird. Das sind 91 Tage beziehungsweise drei Monate. Den Rest der Zeit steht ein Auto herum und benötigt ‒ Kritiker sagen blockiert ‒ dabei wertvollen (öffentlichen) Raum.

Wie geht das zusammen in der heutigen, auf Effizienz, Rationalität und Rentabilität ausgerichteten westlichen Gesellschaft? Macht es Sinn, für eine Sache oder Leistung Zehntausende von Euro auszugeben, wenn diese für wesentlich weniger Geld und an sie gebundene individuelle Pflichten genutzt werden kann?

Teilen, gemeinsames Benutzen ‒ englisch »sharing« ‒ stellt hier eine naheliegende Lösung dar. Im Grunde eine »Binsenwahrheit«, erfordert diese allerdings individuell und gesellschaftlich ein radikales Um- und Neudenken. Die Shareconomy stellt das in persönlichem Eigentum und individuellem Besitzstreben fest gegründete klassische kapitalistische Wirtschaftssystem quasi auf den Kopf; dieses nachhaltig umzuformen und damit in weiten Teilen auch über Bord zu werfen ist eine Herausforderung, der sich nicht jeder stellen mag und wird. In der Entwicklung zum Minimalismus in Besitz und Konsum kann die Shareconomy allerdings auf zwei Umstände als mächtige Verbündete setzen.

Zum einem ist die im Wirtschaftsleben von immer mehr Menschen eingeforderte Mobilität ein treibender Faktor dafür, seinen mobilen Besitz so klein wie möglich zu halten, um nicht dessen Gefangener zu sein. Spätestens nach dem dritten Umzug werden sich auch Zweifler um einige ihrer bis dahin vielleicht zu vielen Besitztümer »erleichtern« und ein gerüttelt Mass davon verkaufen, verschenken oder einfach wegwerfen. Der zweite Umstand wird permanent von der Wirtschaft selbst produziert: Die immer schnellere Produktabfolge in der Entwicklung technischer Geräte lässt diese schnell veralten und macht rational gedacht deren individuellen Besitz überflüssig. Ob Kamera, Hifi-Gerät oder Werkzeug, die Produktabfolge hat heute einen Grad an Schnelligkeit erreicht, bei dem der Besitz gleichbedeutend damit ist, ein Gerät von vorgestern zu verwenden.

Der Idee des organisierten und vernetzten Teilens folgen vor allem junge Menschen, die der Idee einen flotten Namen ‒ »Shareconomy« ‒ und mit von ihnen gegründeten Start-ups eine feste Basis gegeben haben. Die Resonanz ist enorm, allerdings ebenfalls vorwiegend bei jungen Menschen der U30-Generation. Mit einem weltweiten Umsatz von rund 26 Milliarden Dollar hat die Shareconomy überdies bewiesen, dass sich mit ihr ‒ einem jungen Wirtschaftszweig ‒ auch ganz gut Geld verdienen lässt.

Die Anhänger der Shareconomy sehen diese, ihre neue Art des Wirtschaftens grundsätzlich positiv: Geteilte Güter werden intensiver gebraucht. Durch intensive Nutzung werden in der Summe weniger Güter gebraucht, ergo produziert, was zu einer erheblichen Einsparung von Produktionsressourcen führt. Gleichzeitig wird der für die Lagerung grosser Gütermengen benötigte Raum frei. Im wahrsten Sinn des Wortes anschaulich lässt sich Letzteres am Beispiel der geteilten Autos darstellen: Was würde es für die Städte bedeuten, wenn dort nur noch die Fahrzeuge führen, die wirklich in Gebrauch sind; was würde dies an städtischen Raum freisetzen!

Für die auf das klassische kapitalistische Wirtschaftssystem festgelegten Ökonomen ist »verringerte Produktion« allerdings ein Reizwort. In ihren Denkmodellen bedeutet verringerte Produktion zwangsläufig auch die »Freisetzung von Arbeitskraft«, sprich: das Anwachsen von Arbeitslosigkeit. Droht die Shareconomy also zu einer Gefahr für Wachstum und Beschäftigung zu werden? Wachstum und Beschäftigung im Sinne des klassischen kapitalistischen Wirtschaftssystems werden mit Sicherheit solche Folgen zu spüren bekommen; darin vergleichbar den Folgen der Automatisierung und der Verlagerung von Industriearbeitsplätzen aus westlichen Hochlohnländern in Billiglohnländer. Hier jedoch kann die Shareconomy einspringen und kompensatorische Wirkungen entfalten..

Die intensivere Nutzung geteilter Güter bedeutet volkswirtschaftlich, dass diese schneller verschleissen, selbst wenn sie in bester Qualität angefertigt sind. Schnellerer und höherer Verschleiss hat wiederum zwei mögliche Folgen. Erstens: Die Lebensdauer des einzelnen Geräts verkürzt sich dramatisch, so dass die Geräte schneller ausgetauscht werden müssen. So ist beispielsweise eine handelsübliche Bohrmaschine für den Hausgebrauch nach zwei Jahren intensiver Nutzung nicht mehr zu verwenden.



Im Individualbesitz befindet sich die gleiche Bohrmaschine durchschnittlich zehn Jahre bei ihrem Käufer und wird in diesen zehn Jahren maximal zwei Monate benutzt. In einer Shareconomy dagegen wird eine Bohrmaschine fünfmal schneller ausgetauscht, als es bei der im Individualbesitz befindlichen Bohrmaschine geschieht. Eine Reduzierung der Produktion von Bohrmaschinen wird zwar stattfinden, jedoch nicht in einem so dramatischen Mass, wie es die klassischen Ökonomen befürchten.

Zweitens: Die Unternehmen können noch einen weiteren Weg beschreiten. Mit der Einrichtung und Unterhaltung eines Systems der zentralen Instandsetzung der Geräte kann eine Vielzahl lokaler Arbeitsplätze entstehen.

Teilen ist also wirtschaftlich sinnvoll und leistet innovative Beiträge zur Gestaltung einer modernen Wirtschaft. Volkswirtschaftlich eröffnet das Teilen einer wachsenden Zahl von Menschen einen Zugang zu hochwertigen ‒ ergo hochpreisigen ‒technischen Geräten und Dienstleistungen, die sich diese aufgrund ihres Einkommens per Kauf bislang nicht leisten können. Shareconomy ist hier ein nicht zu vernachlässigender Wachstumsmotor.

 

Oberstes Bild: Shareconomy – Teilen statt Kaufen. (© Matthias G. Ziegler / Shutterstock.com)

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