Kommt der wirtschaftliche Frühling zwischen dem Westen und Iran?
von Janine El-Saghir
Der Iran war lange Zeit „verbrannte Erde“ für westliche Konzerne. Das könnte sich bald ändern, nachdem die Verhandlungen in Lausanne mit einer grundsätzlichen Einigung im Atomstreit zwischen den UN-Veto-Mächten und dem Iran zu Enge gingen.
In den Startlöchern stehen nicht nur die internationalen Ölkonzerne, sondern auch viele andere Unternehmen, deren Iran-Geschäft seit dem Beginn der Wirtschaftssanktionen gegen das Regime in Teheran weitgehenden Restriktionen unterworfen war. Der Iran könnte künftig wieder zu einem wichtigen westlichen Handelspartner werden. Für eine zukunftsfähige Entwicklung ist seine Wirtschaft in vielen Bereichen auf internationale Importe angewiesen. Hinzu kommt eine Bevölkerung von rund 78 Millionen Menschen, die zumindest in den oberen sozialen Schichten durchaus mit Kaufkraft ausgestattet sind. Bereits Ende April will auch die Schweiz eine Wirtschaftsmission nach Teheran entsenden.
Handelsbeziehungen Schweiz-Iran nahezu bedeutungslos
Für die Exportwirtschaft der Schweiz spielt der Iran bisher nur eine marginale Rolle. Auf der Liste der Aussenhandelspartner der Eidgenossenschaft befindet er sich derzeit – nach Venezuela und vor der Ukraine – auf Rang 53. Das Aussenhandelsvolumen mit Teheran belief sich im vergangenen Jahr auf knapp 370 Millionen Franken oder 0,2 Prozent der Schweizer Exportabsätze. Iranische Exporte in die Schweiz erreichten laut den Statistiken der Eidgenössischen Zollverwaltung lediglich den Wert von 30 Millionen Franken. Auch die Präsenz von Schweizer Unternehmen im Iran hält sich in engen Grenzen. Tochterfirmen oder Niederlassungen betreiben dort nur noch zehn bis 15 Schweizer Firmen, unter anderem Nestlé sowie die Pharmakonzerne Hoffmann-La Roche und Novartis. Philippe Welti – heute Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-Iran und von 2004 bis 2008 Botschafter der Schweiz in Teheran – merkt dazu an, dass diese drei Unternehmen den grössten Teil der eidgenössischen Exporte in den Iran realisieren.
Schweizer Wirtschaftsdelegation reist nach Teheran
Falls sich die Lausanner Einigung im Atomstreit mit Iran als tragfähig erweisen sollte, wollen sich auch Schweizer Unternehmen im Iran wieder stärker engagieren. Zum Monatsende macht sich eine Wirtschaftsmission des Bundes auf den Weg nach Teheran, deren Teilnehmer über vier Tage die künftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Geschäfte mit dem Iran sondieren wollen. Geleitet wird sie durch Livia Leu, die zwischen 2009 und 2013 als Schweizer Botschafterin im Land war und heute im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) den Leistungsbereich für bilaterale Wirtschaftsbeziehungen leitet. Welche Unternehmen sich daran beteiligen werden, liessen allerdings bisher weder das Seco noch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse verlauten.
Perspektiven für Schweizer Unternehmen im Iran
An der Frage, welche realen Möglichkeiten sich für Schweizer Firmen aus einer Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran ergeben, scheiden sich die Geister. Jan Atteslander, der Leiter des aussenpolitischen Ressorts der Economiesuisse, äussert sich allenfalls verhalten optimistisch. Zwar bescheinigt er dem Land Nachholbedarf bei der Entwicklung von Infrastruktur und Industrie, bis zu einer Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen könnte es jedoch noch Jahre dauern. Der iranischstämmige Unternehmensberater Shakib Mohamad-Gou sieht dagegen gerade für Schweizer Grosskonzerne immense Potentiale. Zwar hätten die meisten Unternehmen ihr Iran-Geschäft aufgrund der Sanktionen eingestellt oder stark zurückgefahren, verfügen jedoch nach wie vor über funktionierende Netzwerke und eine hohe Reputation im Land. Zudem gehe es bei einem Engagement von Schweizer Unternehmen im Iran nicht nur um den Binnenmarkt des Landes, sondern den wirtschaftlichen Zugang zu ganz Zentral- und Vorderasien mit insgesamt 16 Staaten und mindestens 200 Millionen Konsumenten.
Grosse Potentiale für Schweizer Konzerne
Iran-Experte Philippe Welti hält sich mit vorschnellen Prognosen demgegenüber stark zurück. Aus seiner Sicht ist es eher unwahrscheinlich, dass kurzfristig sämtliche Sanktionen aufgehoben werden. Nach einer Lockerung benötige der Iran vor allem High-Tech-Produkte für seine Erdöl- und Erdgas-Produktion, wovon auch Schweizer KMUs in grösserem Umfang profitieren könnten. Weitere Potentiale für Schweizer Unternehmen sieht er in Infrastrukturprojekten sowie einer „sehr zahlungskräftigen Oberschicht“, die Bedarf an Schweizer Luxusgütern habe. Eine Rückkehr der Schweizer Wirtschaft in den Iran hält er auf jeden Fall für wichtig und macht auch auf Unternehmensseite ein wachsendes Interesse daran aus. Viele Schweizer Firmen hätten sich in der Vergangenheit vor allem deshalb zurückgehalten, weil sie von einem Engagement im Iran negative Einflüsse auf ihr USA-Geschäft befürchtet haben.
Auch Ölkonzerne machen sich Hoffnungen
Grosse Hoffnungen auf eine Revitalisierung des Iran-Geschäfts setzen dagegen die internationalen Ölkonzerne. Das Land verfügt über riesige Erdöl- und Erdgas-Lagerstätten und gehört zu den weltweit grössten Erdölproduzenten. US-amerikanischen Konzernen war der Iran bereits seit 1979 verschlossen – auf die Machtübernahme der Ayatollahs und die Besetzung der US-Botschaft in Teheran folgten Wirtschaftssanktionen und eine politische Eiszeit, die inzwischen seit fast 36 Jahren anhält. 2006 folgten die Sanktionen der UNO und der Europäischen Union aufgrund des iranischen Atomprogramms. Der letzte westliche Energiekonzern – die französische Total S. A. – hat den Iran im Jahr 2008 verlassen, heute sind lediglich einige indische und chinesische Energiefirmen im Land. Bei einer Lockerung oder Aufhebung der Sanktionen könnten die westlichen Ölkonzerne mit lukrativen Verträgen rechnen.
Noch kein definitiver Termin für Sanktionen-Ende
Im Förder-Ranking der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) belegt der Iran auch heute noch den fünften Rang. Im Jahr 2014 hat er pro Tag im Durchschnitt 2,81 Millionen Barrel Erdöl produziert – 2008 waren es noch etwa vier Milliarden Barrel. Exportieren konnte er im vergangenen Jahr rund 1,1 Milliarden Barrel. Die Erdgasreserven des Iran sind – nach denen Russlands – die zweitgrössten in der Welt. Vorerst werden die Energiekonzerne allerdings noch Geduld aufbringen müssen. Die Vereinbarung von Lausanne war nur der Auftakt für die Erstellung eines endgültigen Vertragswerks zur Kontrolle der nuklearen Aktivitäten Teherans. Als Termin für die Unterzeichnung des endgültigen Abkommens wurde vorerst der 30. Juni 2015 festgelegt. Hinzu kommt, dass der Iran die Sanktionen zwar gern auf einen Schlag beendet sähe, die 5+1-Gruppe – die fünf UN-Veto-Mächte sowie Deutschland – jedoch ein schrittweises Vorgehen präferieren.
Investitionen in den Energiesektor erwünscht
Nach dem Ende der Sanktionen dürfte der Iran zunächst eingelagerte Erdölvorräte auf den Weltmarkt bringen und danach seine Erdölproduktion in grösserem Umfang steigern. Ob ihm Letzteres gelingt, hängt allerdings auch vom Zustand der technischen Gegebenheiten ab, nachdem die iranische Erdöl-Wirtschaft über Jahre vom Zugang zu westlichen Technologien abgeschnitten war. Schon aus diesem Grund steht das Land westlichen Investoren in den Energiesektor ausgesprochen offen gegenüber, bereits im vergangenen Jahr hatte der iranische Präsident Hassan Rohani auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos interessierte Unternehmen ausdrücklich dazu eingeladen.
Offen bleibt, ob für die internationalen Player die bisherige Vertragsgestaltung akzeptabel ist. Üblicherweise kooperieren die Erdölländer und westliche Konzerne auf der Grundlage von Konzessionen oder einer aufgeteilten Produktion. Der Iran bietet internationalen Firmen dagegen sogenannte Buy-back-Verträge an: Die Unternehmen werden je nach Investitionsaufwand vergütet, die Erdölproduktion verbleibt im Eigentum der staatlichen iranischen Öl-Gesellschaft. Aus Expertenkreisen ist jedoch zu hören, dass sich Teheran bereits seit einiger Zeit mit der Entwicklung eines neuen, investorenfreundlicheren Vertragssystems beschäftigt.
Oberstes Bild: Ökonomischer Frühling zwischen dem Westen und Iran? (© Per Bengtsson / Shutterstock.com)