Die Geldpolitik führt zu Umverteilungen in globalem Ausmass
von Janine El-Saghir
In jüngerer Zeit sind aus den USA nur wenige positive Nachrichten aus der Wirtschaft auszumachen gewesen. Zwar ist der US-Dollar auf einem guten Kurs, jedoch zeigt die US-Wirtschaft eindeutige Stagnationstendenzen.
Die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und über 20 anderer Länder hat einen Währungskrieg in Gang gesetzt.
In diesen währungs- und handelspolitischen Auseinandersetzungen sind die USA inzwischen ebenfalls ein Player. Bisher hatten die Wirtschaftsweisen angenommen, dass die weltgrösste Volkswirtschaft in der Lage sei, die Dollar-Stärke durch eine robuste Inlandsnachfrage zu kompensieren. Angesichts der konjunkturellen Stagnation in den USA stellt sich die Frage, welche Folgen die ultralockere Geldpolitik vieler Staaten mittelfristig hat und ob sich die Weltwirtschaft auf eine neue Krise zubewegt.
Lässige Geldpolitik führt zum Boom an der Börse
An den Finanzmärkten ist die Antwort darauf einfach: Das Zinstief hat zu einem Börsenboom geführt. Für Anleger und Investoren spielt hier auch der finanztheoretische Ansatz der meisten Notenbanken eine Rolle, der davon ausgeht, dass hohe Aktienkurse relevante Vermögenseffekte nach sich ziehen und Rezessionstendenzen puffern können. Wenn sich die Wirtschaft gut entwickelt, steigen die Börsenkurse automatisch – auf Stagnationsphasen oder Rezessionstendenzen werden die Zentralbanken sehr wahrscheinlich geldpolitisch reagieren.
Eine lockere Geldpolitik prägt die Märkte inzwischen von den USA über Europa bis in den Fernen Osten. Als Folge leiden die Geld- und Anleihenmärkte unter extrem niedrigen Zinsen, während die Börsenindizes scheinbar unaufhaltsam steigen. Die Entwicklung an der chinesischen Börse illustriert dies derzeit exemplarisch: Die Erwartung geldpolitischer Lockerungen treibt nicht zuletzt Privatanleger in Scharen an die Börse, wo sie ihre Aktienanlagen mit Krediten finanzieren. Der FTSE-China-A-200-Index ist in den letzten zwölf Monaten um etwa 120 % gestiegen – auch aufgrund einer starken Überbewertung zahlreicher Papiere. In den Vorkrisenjahren 2005 bis 2007 zeigte der chinesische Index eine ähnliche Entwicklung, die schliesslich in ein Börsendesaster auslief.
Die Finanzmarktentwicklung entspricht nicht der realen Wirtschaft
Experten meinen inzwischen, dass auch ein weltweiter Börsencrash alles andere als unwahrscheinlich sei. Zwar ist der Glaube an die stabilisierende Rolle der Zentralbanken bislang ungebrochen, die allerdings mehrheitlich Liquiditätsprobleme haben, die sie durch „Financial Engineering“ kompensieren. Zudem ist die aktuelle Hausse an der Börse nur in geringem Masse durch realwirtschaftliche Entwicklungen unterlegt. Viele Unternehmen entscheiden sich gegen infrastrukturelle Investitionen und bessern ihre Bilanzen stattdessen durch Aktienrückkäufe und Fusionen auf.
Die Wellen des „Quantitative Easing“
Die „Büchse der Pandora“ haben ursprünglich die USA geöffnet, die durch niedrige Zinsen und mehrere Wellen eines „Quantitative Easing“ grossen Stils der Entwicklung ihrer Volkswirtschaft nach der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder Schwung verliehen. Inzwischen haben sich diese Instrumente weltweit zu einem „Allheilmittel“ entwickelt. Die Inlandsnachfrage ist derzeit in vielen Ländern – nicht nur in den Schwellen- und Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrienationen – schwach. Eine lockere Geldpolitik und daraus resultierende schwache Währungen kurbeln idealerweise die Exporte an und sollen so für Beschäftigung und Wirtschaftswachstum sorgen.
Weltweit haben bisher nicht nur die EZB und die Bank of Japan, sondern insgesamt über 20 Notenbanken diesen Weg beschritten – das Beispiel der Europäischen Union zeigt, wohin er führen kann. In den Kernstaaten der EU sind bereits im vergangenen Jahr die Leistungsbilanzüberschüsse stark angestiegen, wodurch sich das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Eurostaaten immens verschärft hat. Auch in der Schweiz wirkt sich der schwache Euro inzwischen in so gut wie allen Branchen aus.
Gedämpfte Konjuktur in den USA
Im globalen Massstab haben allerdings die USA besonders stark zu leiden. Die Konjunktur in den USA wird nicht nur durch die Eurokrise, sondern ebenso die Abwertung des Yen sowie der Währungen Kanadas, Australiens und vieler Schwellenländer gedämpft. Die Währungsabwertungen in den rohstoffexportierenden Ländern hängen auch mit dem Preisverfall des Erdöls und anderer Rohstoffe zusammen und sollen ihre Volkswirtschaften sowie den Arbeitsmarkt vor allzu grossen Einbrüchen bewahren. Selbst China hat seine Handelsbilanz durch eine Abwertung des Renminbi gegenüber dem US-Dollar unterstützt, zum Teil bietet das Land sein überschüssiges Warenangebot allerdings auch zu Schleuderpreisen auf dem Weltmarkt an.
Verkehrtes Wachstumsmodell des IWF?
Die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Wirtschaftswachstum der USA in diesem Jahr lagen im Herbst 2014 bei 3,1 %, zum Jahresbeginn wurden sie auf 3,6 % nach oben korrigiert. Mitte April 2015 ist der IWF im Hinblick auf die USA nun wieder zu seiner Ausgangsprognose zurückgekehrt, hat jedoch seine Wachstumserwartungen für die Eurozone sowie Japan angehoben. Experten werten diesen Schritt als Eingeständnis, dass das vom IWF propagierte globale Wachstumsmodell auf der Grundlage einer extrem lockeren Geldpolitik nicht funktioniere. Der IWF hatte im Hinblick auf die Auswirkungen des Quantitative Easing der nationalen Notenbanken offenbar nur einen globalen Exportaufschwung im Blick, der auf den diversen Binnenmärkten, vor allem aber für grosse Volkswirtschaften wie die USA als Wachstumstreiber wirken sollte.
Globale Abwertung – kein richtiges Wachstumspotenzial
Das Szenario eines Abwertungswettlaufs, wie ihn die Devisenmärkte derzeit erleben, wurde vom IWF seinerzeit explizit verneint. In der Weltwirtschaft hat statt eines nachhaltigen Aufschwungs eine gigantische Umverteilung eingesetzt, von der unter anderem die Europäische Union und Japan durch ihre abgewerteten Währungen profitieren. Die US-Wirtschaft ist dagegen im ersten Quartal 2015 nur noch um 0,2 % gewachsen, auch die Binnennachfrage und der Arbeitsmarkt stagnieren. Sehr wahrscheinlich hat die US-Notenbank Fed auf absehbare Zeit ebenfalls keine Wahl, als an ihrer Niedrigzinspolitik sowie ihren Quantitative-Easing-Programmen festzuhalten, was auch die anderen Notenbanken dazu zwingt, die Märkte mit billigem Geld zu fluten und damit die globalen Wachstumspotenziale weiter zu verzerren.
Die Kritik der USA an der Geldpolitik der EZB
Die US-amerikanische Regierung kritisiert inzwischen offen die Geldpolitik der Eurozone, die den Euro schwächt, ohne die Inlandsnachfrage durch Steuervergünstigungen oder schnelleres Wachstum der Nettolöhne anzukurbeln. Auf einer Sitzung am vergangenen Wochenende haben sich führende Fed-Beamte ausdrücklich alle geldpolitischen Möglichkeiten offengehalten, auch eine Zinswende in der Jahresmitte ist demnach nicht ausgeschlossen. Interne Entscheidungen über die nächsten Schritte dürften gegen Ende dieser Woche nach der Veröffentlichung der US-Arbeitsmarktzahlen und anderer Konjunkturdaten für April 2015 fallen. In welchem Masse die US-Wirtschaft in der Lage ist, neue Jobs zu schaffen, gilt als einer der wichtigsten Indikatoren für den Konjunkturverlauf und direkter Einflussfaktor auf finanzpolitische Entscheidungen der Fed. Im März war die „Jobmaschine“ in den USA deutlich unter den ursprünglichen Erwartungen geblieben, auch für den vergangenen Monat prognostizieren Beobachter inzwischen nur noch moderate Wachstumszahlen.
Können Handelskriege aufgrund der Währungsspannungen ausbrechen?
Auch europäische Anleger betrachten den aktuellen Trend in den USA mit Argusaugen. Wenn die Fed ihre Zinsentscheidung weiter – bis in den Herbst oder auf noch längere Sicht – aufschiebt, könnten daraus eine Aufwertung des Euro und ein Verfall der Börsenkurse resultieren. Die Konstellation legt nahe, dass die US-Wirtschaft und die Fed derzeit nach dem Prinzip Hoffnung leben, ihre Interessen aber mit den Erwartungen sowohl der Finanzmärkte als auch anderer Regierungen und Notenbanken kollidieren.
Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini ist der Meinung, dass aus den Währungsspannungen in Zukunft auch Handelsspannungen oder regelrechte Handelskriege resultieren könnten. Die Rangeleien um das TPP-Abkommen – die Transpazifische Partnerschaft – zeigen, wohin diese Reise führen könnte. Falls in das Freihandelsabkommen ein Passus aufgenommen wird, der Strafzölle für „Währungsmanipulationen“ vorsieht, würden die asiatischen Länder ihre Teilnahme verweigern. Quantitative Easing wird wohl auch in diesem Kontext seine Anziehungskraft bis auf Weiteres behalten.
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