Oxytocin – neuronaler Botenstoff mit bindender Wirkung
von Romy Schmidt
Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon, sorgt laut Aussagen von Wissenschaftlern für Treue und Liebe, und zwar nicht nur zwischen Mensch und Mensch, sondern auch zwischen Mensch und Tier wie beispielsweise dem Hund.
Zu diesem Schluss kommt im Fachmagazin „Science“ zumindest ein japanisches Forscherteam um Miho Nagasawa. Allerdings bewirkt das sogenannte Bindungshormon noch weitaus mehr.
Oxytocin besteht aus neun Aminosäuren. Es handelt sich dabei um ein Neuropeptid, das der Gruppe der Proteohormone zugehörig ist. Gebildet wird Oxytocin zu einem grossen Teil im Nucleus paraventricularis und zu einem geringen Teil im Nucleus supraopticus – zwei Kerngebieten des Hypothalamus. Von dort erfolgt der Transport des neuronalen Botenstoffes über Axone zur Hirnanhangdrüse, wo er zwischengespeichert und abgegeben wird, wenn dafür Bedarf besteht.
Entdeckt wurde Oxytocin bereits 1906 von Henry Dale, der die Wirkungen des Hormons in Bezug auf den Beginn der Geburt und deren Geschwindigkeit beschrieb. Isoliert und synthetisiert wurde das Oxytocin schliesslich zum ersten Mal von Vincent du Vigneaud im Jahr 1953, der für diese Forschungsleistung zwei Jahre später den Nobelpreis erhielt.
Mittlerweile ist klar, dass die Bandbreite der Wirkung des Hormons und Neurotransmitters weitaus grösser ist, als ursprünglich vermutet wurde. So fanden Wissenschaftler heraus, dass Oxytocin nicht nur die Physiologie einer jungen Mutter, sondern auch deren Psyche steuert, denn es spielt nach der Geburt eine enorme Rolle für den Aufbau der emotionalen Bindung zwischen Mutter und Neugeborenem. Dabei ist nicht das im Blut zirkulierende, sondern das im Gehirn freigesetzte Hormon für diese Effekte verantwortlich. Im menschlichen Gehirn wirkt es als Neuromodulator, der in der Lage ist, spezielle Nervenzellgruppen gezielt zu verändern.
Oxytocin fungiert als soziales Bindemittel
Agiert Oxytocin als neuronaler Botenstoff, hat es nicht nur eine bindende Wirkung auf die Beziehung von Mutter und Kind, sondern trägt nach dem Geschlechtsverkehr auch zum Verbundenheitsgefühl der Sexualpartner bei. Wird das Hormon künstlich verabreicht, reduziert es Stress, dämpft Aggressionen und fördert Empathie sowie Vertrauen gegenüber Fremden. Dabei sind Ursache und Wirkung nur schwer voneinander zu trennen, da Oxytocin eine positive Rückkopplung bewirkt. Einerseits sorgt es für Kuschelfreude, gleichzeitig bewirken die angenehmen Gefühle eine vermehrte Ausschüttung des Hormons.
Auch in der weiteren Verwandtschaft fungiert Oxytocin als soziales Kittmittel, und zwar vom Hund über die Maus bis hin zum Schimpansen. Die bereits erwähnte Studie des japanischen Forscherteams zeigt zudem, dass das Bindungshormon nicht nur innerhalb einer Art, sondern artübergreifend wirkt. Im Rahmen ihrer Studie liessen die Forscher 30 Hundebesitzer 30 Minuten lang mit ihren vierbeinigen Lieblingen schmusen und spielen. Dabei wurde der Oxytocingehalt von beiden vorher und nachher gemessen: Nach der gemeinsamen Spiel- und Kuschelzeit war der Oxytocinspiegel bei Menschen und Tieren deutlich angestiegen. Ausserordentlich stark fiel dieser Anstieg aus, wenn sich beide sehr intensiv und lange in die Augen gesehen hatten.
Ein Zusammenhang von treuherzigem Hundeblick und Oxytocinanstieg konnte vice versa auch beobachtet werden, als die Wissenschaftler den Tieren einer anderen Versuchgruppe das Bindungshormon über die Nase verabreichten. So schenkten diese Hunde ihren Herrchen einen besonders tiefen Blick, wodurch bei den Besitzern wiederum der Oxytocinspiegel anstieg.
Untermauert wurden diese Ergebnisse durch eine Kontrollgruppe mit handaufgezogenen Wölfen und deren Pflegern. Bei diesen fehlte der lange Blickkontakt ebenso wie der Oxytocin-Effekt.
Menschen sind keine übergrossen Wühlmäuse
Die beiden Wissenschaftler Brian Hare und Evan McLean von der Duke University in North Carolina gehen davon aus, dass die nur wenige Jahrtausende währende Domestikation des Hundes im Rahmen der Evolution dazu geführt habe, dass er in der Lage ist, an die elterlichen Instinkte des Menschen zu appellieren. So dürfe ein treuer Hundeblick weitaus mehr sein als lediglich der Versuch, seinem Herrchen das Wurstbrot streitig zu machen. Diese Erkenntnis dürfte Hundebesitzer jedoch kaum überraschen. Mithilfe der aus den Studien hervorgegangenen Erkenntnisse wird die Liebe zwischen Hund und Herrschen jedoch auf eine solide endokrinologische Basis gehoben.
Dass seit der Jahrtausendwende die Oxytocinforschung einen Boom erlebt, mag am Interesse der Wissenschaftler liegen, psychologische Phänomene wie Vertrauen, Treue und Liebe auf deren biochemisches Fundament zurückzuführen. Zu den Klassikern der Oxytocinforschung gehören Studien an nah mit der amerikanischen Wühlmaus verwandten Arten. So besteht im Sozialverhalten der Präriewühlmäuse und der Bergwühlmäuse ein eklatanter Unterschied: Während Präriewühlmäuse nach ihrer ersten Paarung – metaphorisch formuliert – eine lebenslange, zärtliche und mehr oder weniger treue Ehe eingehen, leben Bergwühlmäuse nicht nur als Einzelgänger, sondern haben auch wechselnde Sexualpartner.
Diesen Unterschied der äusserlich kaum zu differenzierenden Wühlmausarten führen Wissenschaftler auf die Anzahl und die Verteilung der im Gehirn befindlichen Rezeptoren für die Hormone Oxytocin und das verwandte Vasopressin zurück. Es gelang den Forschern, aus monogamen Präriewühlmäusen durch eine genetische Modifikation der Rezeptoren polygame Exemplare zu machen und vice versa aus den polygamen Bergwühlmäusen treue Partner. Während bei den monogamen Präriewühlmäusen die Rezeptoren blockiert wurden, musste bei den polygamen Bergwühlmäusen eine genetische Manipulation erfolgen.
Ob und inwieweit sich diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist bis dato unklar. Erstens sind die Menschen, so zumindest der US-amerikanische Neurobiologe Thomas Insel, keine übergrossen Wühlmäuse. Und zweitens zeigten Studien einer Bonner Forschergruppe bereits im Jahr 2012, dass verheiratete Männer, denen Oxytocin verabreicht wurde, grösseren Abstand zu einer attraktiven Wissenschaftlerin hielten als unverheiratete Probanden sowie Singles, denen lediglich eine Salzlösung appliziert wurde, nämlich im Durchschnitt zwischen 10 und 15 Zentimeter.
Oxytocin hat auch seine Schattenseiten
Neue Studienergebnisse lassen jedoch vermuten, dass das Kuschelhormon auch seine Schattenseiten hat. So kamen israelische Forscher zu dem Ergebnis, dass Oxytocin in der Psychologie unschöne Emotionen wie beispielsweise Schadenfreude und Neid noch verstärken kann. Zudem legen weitere Studien nahe, dass der positive Einfluss des Bindungshormons, genauer seine prosozialen Wirkungen, sich nur dann einstellt, wenn es sich um miteinander vertraute Mitglieder einer Gruppe handelt. Vice versa zeigt sich der eher negative Einfluss von Oxytocin gegenüber Fremden, denn diese werden umso stärker ausgegrenzt.
Und auch die kontrovers diskutierte These, Autismus sei mithilfe von Oxytocin behandelbar und zu kurieren, ist mit Vorsicht zu geniessen. Darauf weisen zumindest zahlreiche Psychologen hin: Es gebe Anzeichen dafür, dass die dauerhafte Gabe von Oxytocin die körpereigene Produktion des Hormons sowie seiner Rezeptoren absenke. Auf diese Weise würden die Probleme, an denen Autisten leiden – falls deren Schwierigkeiten denn realiter auf einen Mangel an Oxytocin zurückzuführen sind – möglicherweise noch verstärkt.
Auch Karen Bales, eine US-amerikanische Psychologin von der University of California, berichtet, dass negative Langzeitwirkungen abermals in Studien mit den monogam lebenden Präriewühlmäusen beobachtet werden konnten. Wurde in Experimenten der Oxytocinspiegel bei männlichen Jungtieren modifiziert, neigten diese später nicht nur zu einem eher ungeschickten Paarungsverhalten, sondern darüber hinaus auch vermehrt zu Untreue.
Sicher ist: Wären diese Ergebnisse nun doch auf den Menschen und sein Verhalten übertragbar, wäre dies wohl kaum die erstrebte Wirkung.
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