Griechenland: Wie geht es nach dem Referendum weiter?

Die ersten Hochrechnungen machten schon am Sonntagabend klar, dass die griechische Regierung auf die Unterstützung einer soliden Mehrheit bauen kann. Das amtliche Endergebnis des Referendums vom vergangenen Sonntag zeigte schliesslich, dass 61,3 % der Griechen gegen das bisherige Sparprogramm und damit auch für Ministerpräsident Alexis Tsipras stimmten.

Der Verhandlungsmarathon in Brüssel zur Zukunft Griechenlands dürfte damit kaum zu Ende sein, vermutlich beginnt in absehbarer Zeit die nächste Runde. Fraglich ist allerdings, welche Themen dabei zur Debatte stehen. Möglich sind Diskussionen über ein Hilfsprogramm auf neuer Basis, in dem die Positionen Griechenlands eine grössere Rolle spielen als bisher. Ebenso kann die nächste Verhandlungsrunde jedoch der Beginn des „Grexits“ sein.

Rücktritt von Finanzminister Yanis Varoufakis

Eine Personalie könnte die Verhandlungen künftig leichter machen: Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ist am Montagmorgen mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. In einem Tweet liess er seine Fan-Gemeinde und alle anderen Interessierten wissen, dass ihm einige Mitglieder der Euro-Gruppe klargemacht hätten, dass sie es vorzögen, ihn nicht mehr am Verhandlungstisch zu treffen. Tatsächlich hatte sich der Spieltheoretiker und Ex-Minister in den letzten Monaten mehr als einmal als ein begnadeter Blockierer präsentiert, noch kurz vor dem Referendum hatte er seinen Verhandlungspartnern „Terrorismus“ vorgeworfen. Weitaus wahrscheinlicher als Varoufakis´ Version seines Rücktritts ist, dass er das Bauernopfer war, das Alexis Tsipras bringen musste, um seine Einigung mit der Opposition nicht zu gefährden. Seit Montagnachmittag ist klar, dass nahezu alle Oppositionsparteien sich auf eine gemeinsame Haltung mit der Syriza-Regierung verständigt haben. Tsipras verhandelt auch in dieser Hinsicht in Brüssel also künftig mit einem Mandat des ganzen Volkes.

Der Nachfolger von Varoufakis ist am Montag in Athen bereits vereidigt worden. Euklidis Tsakalotos war bisher der wirtschaftspolitische Sprecher der Syriza-Regierung. Auch für die europäischen Gremien und den Internationalen Währungsfonds (IWF) ist der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler mit Abschlüssen der britischen Universitäten Oxford und Sussex längst kein Unbekannter mehr, da er in den letzten Monaten als Chefunterhändler die griechische Delegation geleitet hatte. Im Vergleich zu Varoufakis gilt er als deutlich konstruktiver. Beobachter werten seine Ernennung als ein Zeichen, dass Tsipras nach einem Kompromiss mit den „Institutionen“ sucht.



Die Gretchen-Frage der EU: Ist das Referendum gültig?

Formal haben die Griechen über den letzten Vorschlag der Euro-Länder abgestimmt, die dem Land ein weiteres hartes Sparprogramm verordnen wollten. Zentrale Punkte des Papiers waren Rentenkürzungen, Steuererhöhungen inklusive einer höheren Mehrwertsteuer sowie forcierte Privatisierungen ohne elementaren Arbeitnehmerschutz. Trotzdem war die griechische Regierung zuletzt zu weitgehenden Zugeständnissen bereit, forderte jedoch mindestens einen partiellen Schuldenschnitt. Die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) hatten diesen bis zum Verhandlungsabbruch jedoch kategorisch ausgeschlossen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sendete in dieser Frage widersprüchliche Signale, schob die grundsätzliche Entscheidung darüber jedoch den Europäern zu.


Ist das Referendum gültig? (Bild: © bizoo_n – fotolia.com)

Inzwischen gibt es in Brüssel und den Euro-Staaten eine Diskussion darüber, ob das griechische Referendum überhaupt als gültig angesehen werden kann. Reicht eine Woche für die Vorbereitung eines solchen Wahlgangs aus? Ist die Abstimmung über ein Hilfspaket angemessen, das am 30. Juni – vier Tage vor dem Referendum – ersatzlos ausgelaufen war? Der Europarat liess wissen, dass mit dem Referendum europäische Standards unterlaufen wurden. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob dieser Verweis am Ende doch als Argument gegen eine Wiederaufnahme der Verhandlungen dienen wird. Die EU-Kommission hatte am Montag zunächst mitgeteilt, dass sie die Entscheidung der Griechen respektieren werde. Vermutlich wird die Öffentlichkeit erst am Mittwochmorgen mehr erfahren. Ab dem frühen Nachmittag tagt heute zunächst die Runde der Finanzminister, am Abend treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder. Ob dann bereits eine Entscheidung darüber fällt, ob und zu welchen Konditionen sie Griechenland im Euro und in der Euro-Zone halten wollen, ist allerdings sehr ungewiss.

Was will Ministerpräsident Alexis Tsipras?

Aus der ultimativen Krise ist Alexis Tsipras politisch gestärkt hervorgegangen. In einer Fernsehansprache an die Griechen formulierte er auch eine klare Botschaft an Europa. Griechenland wolle keinen Bruch mit Europa, sei zu Reformen grundsätzlich bereit, benötige jedoch auch Investitionen und eine Umstrukturierung seiner Schuldenlast. Im letzten Punkt – einem weitgehenden Schuldenerlass oder der Umwandlung der bestehenden Schulden in Kredite mit sehr langer Laufzeit – sah er sich bereits vor dem Verhandlungsabbruch durch den IWF bestätigt, der einen kompletten oder partiellen Schuldenschnitt für unvermeidbar hielt, falls Griechenland noch eine Chance bekommen sollte.

Die Verbindlichkeiten Athens belaufen sich derzeit auf etwa 320 Milliarden Euro. Ebenfalls vom IWF stammt eine Schätzung des aktuellen Finanzbedarfs des Landes – demnach benötigt das Land bis 2018 ein drittes Hilfspaket im Umfang von mindestens 52 Milliarden Euro. Allein bis zum September 2016 sind Finanzhilfen in Höhe von 29,3 Milliarden Euro erforderlich, damit Griechenland seine Zahlungsverpflichtungen und eventuell vereinbarte Reformziele erfüllen kann. Aus Sicht von Tsipras müsste es bei neuen Verhandlungen zunächst um diese Summe gehen. Die griechische Regierung wünscht sich möglichst schnelle Resultate, idealerweise eine Vereinbarung mit den Kreditgebern innerhalb von 48 Stunden. Am 20. Juli steht für Griechenland eine neue Deadline an, da dann eine Rückzahlung von Staatsanleihen an die EZB und nationale Notenbanken der EU in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro fällig wird.


Was will Ministerpräsident Alexis Tsipras? (Bild: © Ververidis Vasilis – shutterstock.com)

Harte Töne aus Berlin, Vermittlungssignale aus Frankreich und Italien

Die Haltung der EU-Gremien zu neuen Verhandlungen ist bisher unentschieden. Ohne ein Mandat der Euro-Staaten können sie ohnehin nicht tätig werden. Am Montagabend haben sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Francois Hollande auf eine gemeinsame Linie gegenüber Griechenland geeinigt, die für die Konferenz der Euro-Länder die Richtung definieren dürfte. Merkel liess den Griechen vorerst nur wenig Hoffnung auf ein schnelles Hilfsprogramm, da die Voraussetzungen dafür derzeit nicht gegeben seien. Die Tür für Gespräche bleibe dennoch offen. Mit Alexis Tsipras telefoniert haben Medienberichten zufolge inzwischen beide Staatschefs. Allerdings steht die deutsche Kanzlerin in der Griechenland-Frage auch innenpolitisch unter Druck.

Der Wirtschaftsflügel ihrer Partei ruft nach dem „Grexit“, gleichzeitig hat Tsipras sie durch das Referendum im Hinblick auf das Gesamtkonzept ihrer „Rettungspolitik“ düpiert. Die emotionalen Auswirkungen ihrer technokratischen Programme für die Krisenländer hat Angela Merkel lange unterschätzt, was auch in der aktuellen Debatte der Staats- und Regierungschefs eine Rolle spielen könnte. Zu wichtigen Vermittlern könnten Frankreich sowie Italien werden. Schliesslich ging es den EU-Gremien, aber auch Angela Merkel und den Griechen selbst bisher darum, den Austritt Griechenlands aus dem Euro zu verhindern. Ihre Bereitschaft dazu haben Francois Hollande und vor allem der italienische Regierungschef Matteo Renzi zumindest inoffiziell bereits signalisiert.

Das Thema „Grexit“ ist noch lange nicht vom Tisch

Wenn die Euro-Staaten in ihrer Griechenland-Politik keinen gemeinsamen Nenner finden, ist der „Grexit“ kaum vermeidbar. Die Frage wäre dann vor allem, ob dieser geordnet oder ungeordnet vor sich gehen würde. In den nächsten Tagen kommt auch der EZB eine Schlüsselrolle zu. Nicht nur der griechische Staat, sondern auch die Banken des Landes stehen vor der Zahlungsunfähigkeit. Offenbar lässt EZB-Chef Mario Draghi die ELA-Notkredite an die Banken jedoch weiterlaufen, um das griechische Bankensystem vor dem Zusammenbruch zu retten und die Einführung einer Parallelwährung vorerst zu verhindern. IWF-Chefin Christine Lagarde hat Griechenland „technische Unterstützung“ angeboten, neue Finanzhilfen jedoch wegen des griechischen Zahlungsrückstands gegenüber dem IWF bis auf Weiteres ausgeschlossen.



Sicher scheint andererseits, dass Tsipras nach dem Referendum nicht um jeden Preis verhandeln kann und will. Ohne Lösungen für den wirtschaftlichen und sozialen Notstand Griechenlands ist eine Einigung nicht zu haben. Zu wünschen bleibt den handelnden Parteien, dass sie diesmal in der Lage sind, klare Positionen zu entwickeln, die nicht nur den Interessen der Regierungen und des Kapitalmarkts, sondern auch der griechischen Bevölkerung entgegenkommen.

 

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