Street-Art – Wo fängt Kunst an und wo hört sie auf?
Street-Art ist in aller Munde. Schon seit Beginn dieses Jahrtausends ziehen junge Künstler mit Plakatkleber, Schablonen und Spraydosen bewaffnet nachts durch die Städte, um uns am nächsten Morgen mit ihren Kunstwerken an Fassaden, Mauern und Dächern zu überraschen.
Den einen freut’s, den anderen ärgert’s. Denn rechtlich ist die unangemeldete Ausübung von Street-Art eine Straftat – nicht nur in der Schweiz. Nichtsdestoweniger erfreut sich die junge Kunstrichtung ungebrochener Popularität. Längst schon hat sie ihren Weg von den staubigen Strassen und heruntergekommenen Stadtmauern an die strahlend weissen Zimmerwände sauberer Wohnungen gefunden.
Die rebellischen Street-Art-Künstler von damals sind endgültig auf dem Kunstmarkt angekommen. Während sie einst von vielen als blosse Saboteure gesehen wurden, deren „lästiges Geschmiere“ man unter Einsatz von Steuergeldern zu entfernen hatte, sorgen sie heute für klingelnde Kassen in der Kunstindustrie. Doch an der Frage, ob die Stadt wirklich allen gehöre und jeder sie nach eigenem Ermessen mitgestalten dürfe, scheiden sich die Geister.
Fest steht, dass Street-Art mehr ist als nur Graffitis an Betonwänden. Graffiti ist einfach nur die bekannteste aller Street-Art-Varianten. Die plakatartigen Paste-Ups, die kleinen Aufkleber, also die Stickers und die gesprayten Schablonenbilder, die sogenannten Stencils, sind weitere. Was alle Varianten gemein haben, ist das meist politisch motivierte Statement, mit dem man den öffentlichen Raum modifiziert.
Heute werden die Street-Art-Werke bis in die bekanntesten Museen und Galerien getragen. Für so namhafte Street-Art-Künstler wie Banksy, Blek Le Rat, JR oder Frank Shepard Fairey, die die Stadt einst zur „grössten Galerie der Welt“ erklärt haben, ist ein lukratives Geschäft daraus geworden. Heute füllen sie die grössten Ausstellungshallen und reisen rund um den Globus, um heruntergekommene Viertel mit ihrer Street-Art aufzuwerten oder einfach nur, um ihre Geschichten zu erzählen. Auch auf die Gefahr hin, dass Street-Art ab diesem Moment aufhört, der heimliche Protest anonymer Künstler zu sein, und somit aus seiner eigenen Definition fällt, werden die Künstler inzwischen von den Städten höchstpersönlich beauftragt.
2013 liess man den französischen Künstler JR in der Karl-Liebknecht-Strasse am Alexanderplatz und anderen Orten in Berlin kahle Hauswände mit Riesenportraits tapezieren. Dort hängen sie übrigens heute noch. In einem anderen Projekt plakatierte er die Mauern und Häuser der deutsch-französischen Grenzstadt Baden-Baden. Dazu liess er sich von den Stadtbewohnern alte Privatfotos einreichen, die vom Beginn der deutsch-französischen Freundschaft erzählen.
Fotokünstler wie der Franzose Bernard Grilly, die sich ebenfalls der Urban-Art verschrieben haben, gehen da einen weniger plakativen Weg. Irgendwo zwischen Urban Photography und fiktiver Street-Art angesiedelt, nimmt Grilly das wohl bekannteste Stadtbild der Welt und verschafft ihm einen neuen Anstrich: Manhattan in kunterbunt.
Während ein JR seine grossflächigen Papiercollagen direkt auf die grauen Stadtmauern klebt, koloriert Grilly sein Manhattan aus der Luft. Allerdings nur auf dem Foto. Gänzlich unrebellisch, mag ein echter Street-Art-Künstler sagen. Aber Kunst darf eben auch einfach nur gefallen, mit oder ohne Protest. Oft nehmen die Vertreter der Urban Photographer-Szene die Motive aus der Street-Art auf und verarbeiten sie in ihren Fotocollagen zu etwas Neuem. So auch Künstlerin Sandra Rauch, die vielen der mittlerweile weltberühmten Berliner Graffitis in ihren Bildern poppige Hommagen widmet. Für sie bringt die Street-Art, sei es in Form von Graffiti oder Plakaten, neue Farben in das oft viel zu graue Stadtbild.
Galerien wie Lumas nehmen den Trend auf und bringen die Street-Art zu Papier. Als hochwertigen Fotografie-Abzug können Sie sich dann die Werke eines modernen Urban-Art-Künstlers ins Wohnzimmer hängen.
Ein weiterer Vertreter, der sich aus dem breiten Repertoire der Street Art-Szene bedient, ist der im spanischen Valladolid beheimatete Cless. In seinen Anfängen in den 1990ern nahm er die Spraydose zur Hand und sprühte seine Ideen als Graffitis an die Hauswand. Heute lässt er die Street-Art-Erfahrungen von damals in seine Bilder einfliessen und vermischt sie mit einem poppigen Plakatstil der 1970er-Jahre. So gelangen dann die Graffitis von den staubigen Mauern Valladolids auf die Gemälde in unseren Wohnzimmern.
Artikelbild: © Flickr Dublin Street Art William Murphy – CC BY-SA 2.0