2. Röhre: Ärzte befürchten Zunahme von Asthma und Co.

Ärztinnen und Ärzte warnen vor einer 2. Gotthard-Röhre: Wird sie gebaut, verursacht dies eine Lastwagenflut und damit noch mehr Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Schon heute leiden in den Kantonen Uri und Tessin viele Menschen unter der Luftverschmutzung, insbesondere verursacht durch die Lastwagen. Vor allem Kinder haben beispielsweise mehr Asthma und Bronchitis. Dies berichteten ein Tessiner Kinderarzt und ein Urner Hausarzt an der Medienkonferenz der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) in Bern.

Wissenschaftlerinnen des Schweizerischen Tropen- und Public Health Instituts, Basel bestätigen die Beobachtungen der Ärzte vor Ort. Zudem fehlen die 3 Milliarden Franken für einen zweiten Tunnel am Gotthard in den Agglomerationen, wo der massive Pendlerverkehr dringend nachhaltiger organisiert werden muss, führt ein Genfer Lungenspezialist aus.

Dr. med. Marco Maurizio arbeitete während vierzig Jahren als Kinderarzt in Mendrisio/TI. Täglich erlebte er in seiner Praxis, wie die Dreckluft die Gesundheit südlich des Gotthard-Strassentunnels beeinträchtigt: „In den letzten dreissig Jahren haben die Erkrankungen der Atemwege stark zugenommen.“

Immer mehr Kinder leiden unter Bronchitis und Asthma. „Die Kleinkinder können nicht mehr unbefangen herumrennen, die Grösseren erzählen mir, ihnen würde die Brust schmerzen. Es ist nicht schön.“ Der Kinderarzt ist überzeugt: „Das ist die Folge des Verkehrs auf der Nord-Süd-Achse, insbesondere der Lastwagen.“ Für ihn steht fest: „Für uns im Tessin wäre es eine Katastrophe, wenn die 2. Röhre kommt.“

Bronchitis, Asthma und Gefässkrankheiten nehmen zu

Ähnliches berichtet sein Kollege Dr. med. Toni Moser, seit 25 Jahren Hausarzt mit eigener Praxis in Bürglen (UR). Im engen Urner Reusstal werden bei bestimmten Wetterlagen „die Schadstoffe in der Atemluft über Tage angereichert – mit schädlichen Auswirkungen auf Atemwege, Herz und Gefässe sowie auf weitere Organe des menschlichen Körpers“.

Dann klagen vor allem seine Patientinnen und Patienten mit vorbestehenden Atemwegserkrankungen vermehrt über Atemnot, stärkeren und längeren Husten sowie Auswurf. „Zudem besuchen ältere Menschen und Kinder mit Asthma häufiger meine Sprechstunde.“ Im Sommer, bei verkehrsbedingt ansteigenden Ozonwerten, behandelt Hausarzt Moser mehr Erwachsene, aber auch Kinder, deren Asthma sich verschlechtert hat: „Für diese Menschen wäre eine Zunahme des Schwerverkehrs auf der Gotthardachse eine schwere Belastung.“ Mit der 2. Röhre werden jedoch mehr Lastwagen kommen. Kinderarzt Marco Maurizio: „Es werden nicht ein paar Milliarden in ein 2. Röhre investiert, um sie nachher nur zur Hälfte zu nutzen. Das ist Augenwischerei.“


Kinderarzt Marco Maurizio und Hausarzt Toni Moser an der Medienkonferenz der AefU in Bern. (Bild: © AefU)

Wissenschaftliche Bestätigungen vor Ort

Die Erfahrungen der Mediziner vor Ort bestätigen die Luftforscherinnen Meltem Kutlar Joss und Dr. med. Regula Rapp von der Dokumentationsstelle Luft und Gesundheit LUDOK des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) in Basel.

„Die Jahresmittelwerte für NO2, einem wichtigen Leitschadstoff für Verkehrsimmissionen, lagen 2014 vielerorts über dem Grenzwert von 30 μg/m3, so etwa in Erstfeld (UR) 32 μg/m3 oder in Moleno (TI) 40 μg/m3“, hält Kutlar Joss fest. Der Toleranzwert für den krebserregenden Russ wurde „in Erstfeld 10-fach und in Moleno gar 19-fach überschritten“.

Die Luftbelastung mit NO2 oder Russ entlang der Gotthardautobahn schwanke parallel zum Aufkommen an Schwerverkehr, „weil Lastwagen ein Vielfaches an Schadstoffen ausstossen“. Der Verkehr habe Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, wie eine Studie des Swiss TPH zeige: „Personen, die nahe an der Autobahn wohnen, leiden unter mehr Atemwegsproblemen“, so die Ärztin Regula Rapp.

Zwischen Basel und Chiasso erhöhtes Krankheits- und Unfallrisiko

„Urner Schulkinder in der Nähe der Autobahn haben ein um 15-30% erhöhtes Risiko, an Atemwegssymptomen zu leiden“, sagt die Luftforscherin. Kinder mit Asthma reagierten besonders empfindlich. Dr. med. Regula Rapp resümiert: „Bereits heute trägt die Bevölkerung im Uri und im Tessin eine hohe Gesundheitslast durch den Transitverkehr. Ein Anstieg des alpenquerenden Schwerverkehrs stellt wegen der Luftverschmutzung, dem Lärm und der Unfallgefahr eine zusätzliche Bedrohung dar – nicht nur im Uri und im Tessin, sondern auf der ganzen Strecke zwischen Basel und Chiasso.“ Eine Zunahme muss verhindert werden.



Geld für bessere Luft in den Agglomerationen investieren

Die grössten Verkehrsprobleme bestehen nicht am Gotthard, sondern täglich in den Agglomerationen, z. B. im Raum Lausanne/Genf. „Auch wenn unser Land reich ist, zu viel Geld haben wir nicht. Diese 3 Milliarden für den Gotthard würden logischerweise auf Kosten anderer Projekte gehen, die es braucht, um den Transport und die Mobilität der Leute in der Schweiz – natürlich auch in der Westschweiz – nachhaltiger auszubauen“, hält der Lungenspezialist Prof. Dr. Thierry Rochat fest, der bis Ende 2015 die Lungenabteilung der Universitätsspitäler Genf geleitet hat.

Deshalb empfehlen die AefU den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern, eine 2. Gotthardröhre abzulehnen und am 28. Februar 2016 NEIN zu stimmen.

 

Artikel von: Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU)
Artikelbild: © Grzegorz Święch – Wikimedia, CC BY-SA 3.0

MEHR LESEN