Die Schweiz lanciert eine grosse Antarktis-Expedition
Die Schweiz gründet ein Polarinstitut. Das Swiss Polar Institute wird sich der Erforschung der Pole und extremer Umgebungen widmen. Sein erstes Projekt ist ehrgeizig: eine internationale wissenschaftliche Antarktis-Expedition, bei der 55 Forscher aus 30 Ländern an 22 Forschungsprojekten zusammenarbeiten.
Die Zukunft der Pole ist von entscheidender Bedeutung. Diese Regionen, die besonders stark unter den Auswirkungen der Erderwärmung leiden, werden in den kommenden Jahrzehnten auf internationaler Ebene Gegenstand umfassender Verhandlungen sein. Die Schweiz kündigt heute die Gründung des Swiss Polar Institute (SPI) an, um ihr Scherflein beizutragen und sich auf einem Gebiet, auf dem sie bereits über solides Fachwissen verfügt, Gehör zu verschaffen.
Dieses neue interdisziplinäre Zentrum wird für die Erforschung der Pole und anderer extremer Umgebungen verantwortlich zeichnen. Das auf dem Campus der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) angesiedelte Institut ist ein gemeinsam mit dem Verlag Editions Paulsen gegründetes Schweizer Konsortium wissenschaftlicher Institutionen, bestehend aus der EPFL, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, der ETH Zürich und der Universität Bern. Das der Schirmherrschaft des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) unterstehende SPI ist national verankert und dennoch gleichzeitig resolut international ausgelegt.
Der Polarforscher Frederik Paulsen ist erfreut, ein solches Projekt initiiert zu haben. „Das Swiss Polar Institute wird helfen, die Erforschung extremer Umgebungen sowie die Entwicklung der Polarwissenschaft voranzutreiben und den Austausch zwischen öffentlichen und akademischen Institutionen, Industrie und privaten Partnern zu fördern.“
Zum Auftakt lanciert das SPI ein ehrgeiziges Projekt: die Antarctic Circumnavigation Expedition (ACE), die erste wissenschaftliche Expedition mit vollständiger Antarktika-Umrundung. Diese Operation, deren Logistik von Ferring Pharmaceuticals unterstützt wird, hat die Messung und Quantifizierung der Auswirkungen des Klimawandels sowie der Verschmutzung des Südpolarmeers zum Ziel.
Über 50 Forscher arbeiten zusammen
Ende Dezember 2016 werden rund 50 Forscher aus aller Welt drei Monate an Bord des russischen Forschungsschiffs Akademik Treshnikov verbringen. Für diese Reise wurden 22 Forschungsprojekte von Teams aus der Schweiz, Grossbritannien, Frankreich, Australien und anderen Ländern ausgewählt, die sehr vielfältige Bereiche wie Glaziologie, Klimatologie, Biologie und Ozeanografie abdecken.
Dieses Projekt verdeutlicht die Aufgabe des SPI besonders gut: Die neue Institution versteht sich als Plattform, auf der internationale Polarforschungsexperten ihr Wissen zusammentragen können, beispielsweise durch die Herstellung einer Verbindung zwischen Polarmilieu und Alpenregionen, wie dies bereits in der Raumfahrt üblich ist.
„Die Schweizer Hochschullandschaft verdankt ihre hohe Konkurrenzfähigkeit der wohldosierten Kombination aus den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Zusammenarbeit zwischen Institutionen“, erklärt Mauro Dell’Ambrogio, Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation. „Das Swiss Polar Institute ist ein überzeugendes Beispiel für intelligente Kooperation.“
Das Zentrum ist ferner damit beauftragt, eine Bestandsaufnahme zu erstellen und die Öffentlichkeit über die zahlreichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Pole und des Klimas allgemein aufzuklären und sie dafür zu sensibilisieren. Diese Tätigkeiten werden die Entwicklung von an diese extremen Umgebungen angepassten Technologien beeinflussen.
Das SPI wird für die Schweiz, die sich im Rahmen internationaler Abkommen über die Zukunft der Polarregionen als entscheidenden Player sieht, ein echter Trumpf sein. Dies gilt insbesondere für die Diskussionen über den 1961 in Kraft getretenen Antarktisvertrag.
Klimagleichgewicht der Erde als Herausforderung
Es ist von grösster Bedeutung, die Funktionsweise der Pole, die beim klimatischen Gleichgewicht der Erde eine zentrale Rolle spielen, zu erforschen und besser zu verstehen. Das durch den Austausch von atmosphärischen und ozeanischen Strömungen regulierte Klima funktioniert wie eine gigantische thermische Maschine.
Diese hängt direkt von der Konvektionsbewegung zwischen den Polar- und Tropenregionen ab: Eiskalte Meeresströmungen wandern in der Tiefe von den Polen zum Äquator, während gleichzeitig warme Luft- und Wasserströmungen an der Oberfläche in Richtung der kalten Regionen fliessen. Diese gleichzeitig komplexe und empfindliche Mechanik spielt auch im Kohlenstoffzyklus eine tragende Rolle, weil die Ozeane einen Grossteil des in der Atmosphäre gelösten CO2 absorbieren.
Obwohl die Polarregionen noch weitgehend von der menschlichen Besiedelung und Tätigkeit verschont sind, leiden sie dennoch direkt unter den Auswirkungen. „Die für ein ausgeglichenes Klima grundlegend wichtigen Pole sind auch die für die Veränderungen anfälligsten Regionen: Genau dort messen wir die grössten Temperaturabweichungen“, enthüllt Philippe Gillet, Vizepräsident der EPFL sowie Spezialist für Geowissenschaften und Planetologie. „Der Winter 2015/2016 war am Nordpol der wärmste je gemessene. Die Temperaturen lagen im Dezember und Januar über null, betragen üblicherweise aber um diese Zeit eher rund -20° C.“
Mögliche Entdeckungen
Die 22 ausgewählten Projekte decken eine Vielzahl von Bereichen ab: Zusammensetzung des Planktons, Leben bedrohter Tierarten, Präsenz von Mikroplastik in umliegenden Gewässern, Kohlenstoffzyklus, im Meeresboden oder im Eis gedeihende Mikroorganismen, Auswirkungen von Wellen auf Küsten etc.
Bei diesen Forschungen werden die neuesten Technologien für die Datenerhebung und -analyse zum Einsatz kommen. Diese in bisher weitgehend unerforschten extremen Umgebungen durchgeführten Studien werden auch mehr Informationen über biochemische Verbindungen und Mikroorganismen zutage fördern, die noch nie oder nur wenig erforscht wurden. Die Ergebnisse könnten in interessanten Entdeckungen und neuen Anwendungen für die Bereiche Biotechnologie, Medizin oder Umweltwissenschaft münden.
Artikel von: EPFL Press Service
Artikelbild: © EPFL