Der indische „menstruation man“

Immer mehr Menschen widmen sich einem der letzten Tabus unserer Gesellschaft und schliessen sich damit der „Menstrual Revolution“-Bewegung an.

Die chinesische Olympia-Schwimmerin Fu Yuanhui sorgte kürzlich für internationales Aufsehen, indem sie in einem Interview offen über ihre Periode sprach. Heftige Kommentare vor allem aus China folgten, wo die Menstruation nicht nur ein grosses Tabu darstellt, sondern ausserdem die Verwendung von Tampons noch kaum verbreitet ist.

In Indien hingegen gelang ein Mann zu Weltruhm, der eine Bindenmaschine erfand und somit Frauen in ländlichen Gebieten Indiens den Zugang zu Monatshygieneartikeln ermöglichte. Hierzulande thematisiert die Internetplattform „erdbeerwoche“ das blutige Tabu.


Muruganantham (1.v.r.) diskutiert mit den Männern des Dorfes, die gegen die Installation seiner Bindenmaschine sind. (Bild: erdbeerwoche)

erdbeerwoche-Gründerinnen treffen den „menstruation man“

Vor Kurzem waren die Gründerinnen der erdbeerwoche – Annemarie Harant und Bettina Steinbrugger – mit dem WDR in Indien, um Arunachalam Muruganantham – auch „menstruation man“ genannt – zu treffen. Er hat eine einfache Bindenmaschine erfunden, mit der erschwingliche Monatshygiene produziert werden kann.

Was so simpel klingt, hat einen ernsten Background: Nur rund 10% aller indischen Frauen verwenden Monatshygieneprodukte. Der Rest der Frauen hat entweder gar nichts zur Verfügung oder nutzt alte Stofflappen.

Mit seiner Erfindung ist Muruganantham so berühmt geworden, dass er es auf die Times Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt geschafft hat. Die Weltweit-Reportage „Verbotene Tage“ wird am 24.8.2016 um 22h55 im WDR ausgestrahlt.


Bindenmaschine: Bisher wurden über 2000 Bindenmaschinen in ganz Indien installiert. (Bild: erdbeerwoche)

Göttinnen mögen keine Binden

Bettina Steinbrugger und Annemarie Harant bloggen live über ihre Erfahrungen während der Indienreise: „Heute fahren wir mit Muruganantham in ein kleines Dorf nördlich von Coimbatore, wo erstmals eine seiner Bindenmaschinen installiert werden soll. Bereits bei der Abfahrt erzählt uns Muruga, dass es kurzfristig eine Änderung gibt: Die Bindenmaschine kann nicht wie geplant installiert werden, sondern muss ins Nachbardorf gebracht werden, da der Dorfälteste verboten hat, die Maschine zu installieren, weil dies den Zorn der Götter (bzw. sogar der Göttinnen!) auf das Dorf lenken könnte. Im Gespräch mit Muruga stellt sich heraus, dass viele Männer einfach nicht möchten, dass ihre Frauen einer Arbeit nachgehen.“


Inderinnen werden während ihrer Periode oftmals vom Alltagsleben ausgeschlossen. (Bild: ChameleonsEye – Shutterstock.com)

Zugang zu Monatshygiene essentiell für Emanzipation indischer Frauen

In ländlichen Teilen Indiens bricht laut einer Studie der WHO und UNICEF eines von fünf Mädchen die Schule ab, nachdem sie ihre Periode bekommen hat. Ohne Zugang zu Monatshygiene können Frauen ausserdem an rund 5 Tagen im Monat keiner Arbeit nachgehen. Aufgerechnet sind das 5 Jahre im Leben einer Frau. Der Zugang zu Monatshygiene ist somit essentiell für die Emanzipation der indischen Frauen – und somit für die Entwicklung Indiens.

Harant und Steinbrugger berichten, dass indische Frauen ausserdem unter Vorurteilen und Stigmata leiden, wenn sie ihre Periode haben: „Viele Inderinnen dürfen nicht im gleichen Raum wie die anderen Familienmitglieder schlafen, sie dürfen nicht in den Tempel gehen oder bestimmte Gegenstände berühren. Frauen werden oftmals wie Aussätzige behandelt, wenn sie ihre Regel haben.“


Indische Mädchen: 1 von 5 indischen Mädchen bricht die Schule ab, nach Einsetzen ihrer Periode. (Bild: erdbeerwoche)

Der Beginn der Menstruations-Revolution

Aber auch in westlichen Ländern stellt die Menstruation noch immer keine Selbstverständlichkeit dar. Die amerikanische Künstlerin Rupi Kaur startete unbewusst die Menstruations-Revolution, indem sie ein Bild einer Frau, die mit einem Blutfleck im Bett liegt, auf Instagram postete.

Die Social Media-Plattform entfernte daraufhin das Bild augenblicklich, da es „nicht angemessen“ sei. Ein internationaler Shitstorm folgte, indem sich zahllose Instagram-User darüber beschwerten, dass jede Menge Bilder halbnackter Frauen auf Instagram zu finden seien, ein Foto einer bekleideten Frau mit Blutfleck jedoch nicht angemessen sei. Diese Kommentare brachten Instagram schliesslich dazu, das Bild wieder zu veröffentlichen.

Blutiges Tabu muss gebrochen werden

In ihrem Talk im Rahmen der Tedx-Donauinsel-Konferenz in Wien bringen Harant und Steinbrugger von der erdbeerwoche die Problematik auf den Punkt: „Wir alle haben die Wahl, ob die Menstruation ein Tabu bleibt und ob unsere Freundinnen, Schwestern und vor allem unsere Töchter –die nächste Generation – sich weiterhin für ihre Periode schämen, oder ob sie ein ganz normaler Teil unseres Lebens wird. Unsere Vision ist, dass sich alle zwei Milliarden Frauen, die auf dieser Welt ihre Regel haben, nicht mehr für ihren Körper schämen. Und dass sie eine Wahl haben! Sowohl, wenn es darum geht, Zugang zu Hygieneprodukten zu bekommen, als auch die Wahl, sich für eine nachhaltige und gesunde Alternative zu entscheiden. Das ist nicht nur ein Frauenrecht, sondern ein Menschenrecht. Bitte helft uns, die Nachricht zu verbreiten – Brechen wir gemeinsam das blutige Tabu!“

 

Artikel von: erdbeerwoche
Artikelbild: Bindenarbeiterinnen – 1 Maschine gibt bis zu 8 Frauen Arbeit. (© erdbeerwoche)

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