Kohlmeisenmännchen: Gute Sänger erkennt man an grossen „Krawatten“

Kohlmeisenmännchen, die bessere Sänger sind, haben über der Brust ein breiteres schwarzes Federband als ihre weniger wohlklingenden Artgenossen. Zugleich haben sie einen höheren sozialen Status, mehr Erfolg bei Weibchen, mehr Nachkommen und sind resistenter gegen Parasiten. Das hat Prof. Heinz Richner vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern herausgefunden und in einer Studie in „Proceedingsofthe National Academy ofSciences PNAS“ veröffentlicht.

Bach, Beethoven, Messiaen und andere Komponisten liessen sich von Vogelgesängen zu ihrenWerken inspirieren. Wenn man auf einem Frühlingsspaziergang vom flötenden Gesang einesPirols oder einer Singdrossel begleitet wird, lassen sich denn auch Parallelen zur Musik erkennen.Wie der Vogelgesang dient auch Musik hauptsächlich der Kommunikation mit Artgenossen, und esstellt sich deshalb die Frage nach dem Ursprung und der Evolution dieser komplexenKommunikationsform.

Präzision erfreut das Ohr

Pythagoras hat vor mehr als 2.000 Jahren gezeigt, dass eine schwingende Saite, die in der Mittemit dem Finger fixiert wird, genau eine Oktave höher klingt, und eine Fixierung auf zwei Drittelnihrer Länge eine reine Quinte und auf drei Vierteln eine reine Quarte erzeugt. Zarlino fügte im 16. Jahrhundert mit vier Fünfteln und fünf Sechsteln die grosse und kleine Terz hinzu.

DieSchwingungsfrequenzen der Intervalltöne stehen somit immer in einfachen geradzahligenVerhältnissen und bilden auch die Grundlage der in vielen verschiedenen Kulturengebräuchlichen, rein-gestimmten Tonleitern – im Vergleich zur temperierten Stimmung, die etwas „ungenauer“ ist. Die Frequenzen der Intervalltöne beruhen auf den Obertönen und stellen somitauch das einfachste und einzige natürliche Referenzsystem dar, an dem die Präzision einesSängers oder einer Sängerin beurteilt werden kann.

Das Singen und Spielen von Intervallen mit derart präzisen Frequenzverhältnissen verlangt einehohe Kontrolle über den Stimmapparat von Tier oder Mensch, gepaart mit einer präzisenSinneswahrnehmung und einer schnellen Justierung falls das gesungene Intervall zu hoch oder zutief ausfällt.

Diese Präzision benötigen auch Kohlmeisenmännchen(Parusmajor) während derBrutzeit. Sie singen unermüdlich einen zweisilbigen Gesang. Ein einzelnes Exemplar hat einRepertoire von bis zu sechs verschiedenen Gesängen. Der Gesang dient dazu, das Territoriumgegenüber Rivalen zu markieren und mögliche Fortpflanzungspartnerinnen anzulocken.

Heinz Richner ging in seiner Studie nun von der Hypothese aus, dass die Präzision dergesungenen Intervalle verschiedener Kohlmeisenmännchen ein Indikator für deren Attraktivitätoder sozialen Status sein kann.

Auf die Breite der Krawatte kommt es an

Kohlmeisen gehören zu den optisch auffälligsten Singvögeln: Der schwarz-weisse Kopf kontrastiertmit dem leuchtenden Gelb der Vorderseite, in dessen Mitte eine mehr oder weniger breite „Krawatte“ aus schwarzen Federn auffällt. Frühere Studien haben gezeigt, dass dieKrawattengrösse ein Indikator für Attraktivität, sozialen Status, Fortpflanzungserfolg und Resistenzgegen Parasiten ist.

In der Studie wurden nun Männchen mit einem Computer-generierten Meisengesang zum Singenanimiert, deren Gesang aufgezeichnet, die Schwingungsfrequenzen der beiden Töne deszweisilbigen Gesanges mittels Computersoftware berechnet, und damit die Abweichung zumnaheliegendsten Intervall bestimmt. Danach wurden die Männchen vermessen und die Bauchseitefotografiert, um die Breite und Fläche der schwarzen Krawatte zu bestimmen.

Mit Präzision zum Erfolg

Die Ergebnisse zeigen, dass die Sänger präziser Intervalle und mit grossem Gesangsrepertoireauch diejenigen mit grosser Krawatte sind. Somit kann ein Rivale oder eine mögliche Partnerin dieQualität eines Männchens nicht nur an der Krawatte, sondern auch aus grösserer Distanz und imdichten Wald einschätzen. Es ist die erste Studie, die für eine Tierart einen Zusammenhangzwischen individueller Qualität und der Präzision der gesungenen Intervalle herstellt.

„Es isterstaunlich, dass Kohlmeisen dieselben Intervalle benutzen, auf denen auch die Tonleiternwestlicher Musik in der reinen Stimmung beruhen“, sagt Heinz Richner. Deshalb hat die neueStudie nicht nur hohe Relevanz für das Verständnis der Evolution akustischer Kommunikation beiTieren – sondern potenziell auch für die Evolution der Musik.

Angaben zur Publikation:

Heinz Richner: Intervalsinging links tophenotypicquality in a songbird. Proceedingsofthe
National Academy ofSciences PNAS, 2016, DOI: 10.1073/pnas.1610062113.

 

Artikel von: Universität Bern
Artikelbild: Heinz Richner, UniBE

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