Studie: Stärkung der öffentlichen Sozialhilfe nötig
Eine Studie bringt es an den Tag: Die Sparpolitik der Kantone und Gemeinden angesichts steigender Sozialhilfefälle bringt die Gefahr mit sich, dass Aufgaben, die eigentlich Sache der öffentlichen Sozialhilfe wären, immer öfter an Hilfswerke delegiert werden. Eine Stärkung der öffentlichen Sozialhilfe tut deshalb not.
Caritas Schweiz, Schweizerisches Rotes Kreuz und Heilsarmee haben bei Carlo Knöpfel, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Sozialarbeit, eine Studie zur Zusammenarbeit von Hilfswerken und öffentlicher Sozialhilfe in Auftrag gegeben. Anhand einer Online-Befragung von Hilfswerk-Mitarbeitenden, konkreten Fallstudien und Experten-Interviews wurde eine Analyse für die Jahre 2005 bis 2015 erstellt.
Die Untersuchung zeigt, dass sich das Verhältnis, die Form der Zusammenarbeit und die Entwicklung der materiellen und immateriellen Hilfe der öffentlichen Sozialhilfe und der Hilfswerke in den letzten zehn Jahren in zwei sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt haben.
Die öffentliche Sozialhilfe muss sich mehr und mehr auf die Auszahlung der finanziellen Unterstützungsleistungen konzentrieren, die Arbeit in den Sozialdiensten ist von Spar- und Zeitdruck geprägt, für eine längerfristige Begleitung und Betreuung fehlt immer häufiger die Zeit. In der gleichen Phase haben die Hilfswerke ihre Angebotspalette ausgeweitet, die Sozialberatung da und dort gestärkt und sich zunehmend auch mit Fragen des Sozialhilferechts beschäftigt.
Keine systematische Delegation an Hilfswerke
Von einer systematischen Abschiebung von Fällen auf Anweisung durch die Sozialdienste an die Hilfswerke kann nicht die Rede sein. Doch wo die Sozialdienste ihren Auftrag nicht wahrnehmen, suchen die Betroffenen die Hilfswerke auf.
Hin und wieder sind aber auch entsprechende Hinweise von Sozialarbeitenden auf den Sozialdiensten im Spiel. Die Abklärung von Rechtsansprüchen bindet immer häufiger die Zeit der Sozialberatungsstellen der Hilfswerke. Festgestellt wird, dass die Hilfesuchenden ungenügend über ihre Pflichten und Rechten informiert sind. Häufig wird aber auch beklagt, dass die Sozialdienste in der Praxis in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Sozialbehörden restriktiver werden, wenn es um situationsbedingte Leistungen geht.
Ein kritisches Moment ist die persönliche Hilfe, also die Beratung und Begleitung der Armutsbetroffenen. Nicht nur die Sozialdienste, auch die Hilfswerke haben weder genügend Zeit noch Geld, um in ausreichendem Masse Begleitung und Betreuung anbieten zu können. Sie können die längerfristige Hilfe nicht flächendeckend anbieten.
Zukünftige Entwicklung belastet Hilfswerke
Die interviewten Expertinnen und Experten bestätigen die Einschätzungen der Teilnehmenden aus der Online-Befragung. Sie sind sich einig, dass sich diese Entwicklung in die nahe Zukunft fortsetzen wird. Die Sozialdienste werden sich auf die Prüfung der materiellen Hilfe konzentrieren müssen. Ihnen werden mehr und mehr die Mittel für Integrationsmassnahmen, eine längerfristige Hilfe und situationsbedingte Leistungen fehlen.
Hier öffnet sich ein Handlungsraum, den die Hilfswerke füllen könnten, wenn sie denn wollen. Dazu müssten sie ihre Rolle im Gefüge der sozialen Sicherheit überdenken, Angebote weiter ausdifferenzieren, mehr Mittel beschaffen und neue Formen der Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten etablieren.
Die Gefahr besteht dabei, dass die Hilfswerke in eine Situation geraten, in der sie quasi-staatliche Aufgaben übernehmen, für die sie weder legitimiert noch finanziert sind. Die Alternative dazu ist eine neue Stärkung der öffentlichen Sozialhilfe.
Vor diesem Hintergrund formuliert die Studie zuhanden der Hilfswerke vier Handlungsempfehlungen. Erstens müssen sich die Hilfswerke dafür einsetzen, dass die Rechtsstaatlichkeit in der Sozialhilfe weiterhin vollumfänglich garantiert wird.
Zweitens muss die persönliche Hilfe, also die Beratung, Betreuung und Begleitung der hilfesuchenden Menschen auf den Sozialdiensten wieder mehr Gewicht bekommen. Dazu sind der Sozialhilfe mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Drittens muss die Finanzierung der situationsbedingten Leistungen überdacht werden. Wo diese im Rahmen der Abklärung bei den Sozialdiensten als notwendig erachtet werden, müssen sie auch aus den Mitteln der Sozialhilfe finanziert werden.
Und viertens sind die Hilfswerke aufgefordert, sich noch sehr viel stärker und häufiger zu Wort zu melden, wenn Fehlentwicklungen bei der Sozialhilfe beobachtet werden und die Vermeidung und Bekämpfung von Armut von der sozialpolitischen Agenda zu verschwinden droht.
Caritas Schweiz, das Rote Kreuz und die Heilsarmee werden in ihren Gremien sowohl die Analyse-Ergebnisse als auch die Handlungsempfehlungen sowie deren Umsetzung diskutieren.
Die Studie „Hilfswerke und öffentliche Sozialhilfe – von der Komplementarität zur Subsidiarität?“ steht auf den Homepages der Hilfswerke als pdf-Datei zur Verfügung und kann heruntergeladen werden.
Artikel von: Caritas Schweiz
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