Bundesrat will Menschen mit Behinderungen besser vor Gewalt schützen
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 16. Juni 2023 einen Bericht zur Gewalt an Menschen mit Behinderungen verabschiedet. Der Bericht beleuchtet die aktuelle Datenlage und die vorhandenen Schutz- und Beratungsangebote. Er sieht verschiedene Massnahmen und Empfehlungen vor, wie Menschen mit Behinderungen künftig besser vor Gewalt geschützt werden sollen.
Mit dem Beitritt zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) von 2017 verpflichtet sich die Schweiz, Massnahmen zum Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und Opfer häuslicher Gewalt umzusetzen. Im letzten Jahr hat der Bundesrat einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention 2022-2026 verabschiedet. Auch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das die Schweiz 2014 ratifizierte, verlangt, dass Menschen mit Behinderungen wirkungsvoll vor Gewalt geschützt werden.
Überdurchschnittlich stark von Gewalt betroffen
Für die Schweiz liegen kaum verlässliche Daten vor. Studien aus den Nachbarländern zeigen aber, dass Frauen und Männer mit Behinderungen überdurchschnittlich stark von physischer, psychischer und sexueller Gewalt betroffen sind. Die Problematik wird dabei durch strukturelle Faktoren verstärkt. Dazu gehören etwa Benachteiligungen in Bezug auf die Wohn- oder Arbeitssituation oder der eingeschränkte Zugang zu Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Ein besonders hohes Risiko, Opfer von Gewalt zu werden, haben Menschen mit Behinderungen, die in Institutionen der Behindertenhilfe leben, von der Unterstützung Dritter abhängig oder von kommunikativen Einschränkungen betroffen sind.
Diskriminierungsfreie Umsetzung von Gewaltschutzmassnahmen
Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz und die bestehenden Massnahmen zur Verhinderung von Gewalt und zum Schutz gewaltbetroffener Personen diskriminierungsfrei umzusetzen und dabei verschiedenen Benachteiligungsdimensionen (Geschlecht, Behinderung, Herkunft, Geschlechtsidentität etc.) Rechnung zu tragen. Die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sind bei der Planung und Implementierung von Massnahmen konsequent zu berücksichtigen. Dazu gehört auch, dass die Zugänglichkeit der Beratungs- und Schutzangebote für alle Zielgruppen gewährleistet wird. Spezifische Angebote für gewaltbetroffene Menschen mit Behinderungen sind lediglich dort zu prüfen, wo der Zugang zu den Regelstrukturen nicht ausreicht. Ebenfalls einen Beitrag zur Reduktion struktureller Gewaltrisiken leisten Massnahmen zur Gleichstellung und Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und zur Gleichstellung der Geschlechter.
Eine Studie, die die Hochschule Luzern (HSLU) im Auftrag des Bundes durchgeführt hat, zeigt, dass die bestehenden Beratungs- und Schutzangebote für gewaltbetroffene Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend zugänglich sind. Zum Teil sind die Angebote zu wenig bekannt oder Gebäude und Informationen sind nicht barrierefrei zugänglich. Insbesondere Frauen und Männer mit Behinderungen, die in Institutionen leben oder arbeiten, haben nur bedingt Zugang zu unabhängigen Unterstützungsangeboten. Ebenfalls als verbesserungsbedürftig erweisen sich die Vernetzung und der Wissenstransfer zwischen dem System des Gewaltschutzes und der Behindertenhilfe.
Massnahmen und Empfehlungen
Der Bundesrat erfüllt mit dem vorliegenden Bericht die Anliegen des Postulats Roth Franziska 20.3886 „Gewalt an Menschen mit Behinderungen in der Schweiz“. Er definiert im Bericht eine Reihe von Massnahmen zur Verbesserung der Datenlage sowie zur Sicherstellung der Barrierefreiheit bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Ebenfalls soll der Begriff der häuslichen Gewalt im Zusammenhang mit kollektiven Wohnformen geklärt werden. Der Bundesrat formuliert zudem Empfehlungen an die Kantone, in deren Zuständigkeit die Prävention und die Bekämpfung von Gewalt in erster Linie liegt. Gestützt auf die Studie der HSLU, empfiehlt der Bundesrat den Kantonen, ihre Bemühungen zur Sicherstellung der Zugänglichkeit von Beratungs- und Schutzangebote, insbesondere auch im institutionellen Bereich, zu verstärken und die Weiterbildung und Vernetzung des Fachpersonals aktiv zu fördern.
Quelle: Der Bundesrat
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