Abstand halten im Strassenverkehr – Tipps der Kantonspolizei St. Gallen
von Andrea Hauser
Auffahrunfälle gehören zu den häufigsten Kollisionen auf Schweizer Autobahnen. Fast immer steckt dieselbe Ursache dahinter: ein zu geringer Abstand. Wer seinem Vordermann „am Stossfänger klebt“, gibt sich selbst kaum Zeit, auf plötzliches Bremsen, ein Hindernis oder eine Verengung zu reagieren. Schon bei Tempo 120 legt ein Auto pro Sekunde gut 33 Meter zurück – das ist länger als ein Sattelschlepper. Abstand halten ist daher die wichtigste Präventionsmethode gegen Sach- und Personenschäden.
In Kooperation mit der Kapo St. Gallen hat Polizei.news Wissenswertes rund um den Sicherheitsabstand im Strassenverkehr zusammengestellt.
Gesetzliche Mindestanforderungen beim Sicherheitsabstand
Das Strassenverkehrsgesetz (Art. 34 Abs. 4 SVG) verlangt generell einen „ausreichenden Abstand“ in allen Begegnungs‑ und Überholsituationen. Die Verkehrsregelnverordnung (Art. 12 Abs. 1 VRV) konkretisiert dies für das Hintereinanderfahren: Sie müssen so viel Platz lassen, dass Sie auch beim überraschenden Vollbremsmanöver des Vorausfahrenden sicher anhalten können. Was „ausreichend“, hängt in der Praxis vom Einzelfall ab. Unter anderem spielen das Tempo, der Fahrzeugtyp, die Witterung und die Verkehrsdichte eine Rolle.
Warum mehr Abstand die Sicherheit erhöht
Reaktions‑, Brems‑ und Anhalteweg addieren sich. Durchschnittlich vergeht zwischen dem Erkennen einer Gefahr und dem Druck aufs Pedal etwa eine Sekunde. In dieser Zeit fährt das Fahrzeug ungebremst weiter. Erst dann beginnt die eigentliche Verzögerung. Kurze Blicke aufs Navi, Telefon oder in den Rückspiegel verlängern die Reaktionszeit weiter. Genügend Abstand ist daher die einzige Möglichkeit, um die Sicherheit zu erhöhen.
Faustregeln für den Sicherheitsabstand
Für das Einhalten des Abstands gibt es verschiedene Faustregeln:
- Halber Tacho: Geschwindigkeit in km/h halbieren, Ergebnis in Metern. Bei 120 km/h also 60 m.
- Zwei‑Sekunden‑Regel: Fixen Punkt (Leitpfosten, Schatten etc.) wählen, sobald der Vordermann diesen passiert: «21 – 22» zählen. Erst danach dürfen Sie selbst den Punkt erreichen.
- Beide Methoden ergeben ungefähr den gleichen Mindestabstand von 1,8 Sekunden. Wer weniger als ein Sechstel des Tachowerts (≈ 0,6 Sekunden) Abstand hält, riskiert eine Verurteilung wegen grober Verkehrsregelverletzung – mit Ausweisentzug und saftiger Busse.
Wichtig ist, nicht nur an den Abstand zum Vordermann zu denken, sondern auch seitlich Abstand zu halten:
- Velos und leichte Zweiräder: mindestens 1,5 m beim Überholen, mehr ausserorts oder bei Kindern.
- Gehende und Reitende: Tempo reduzieren, Gang einlegen, freundlich Platz lassen.
- Lastwagen‐zu‑Lastwagen: bei engen Fahrstreifen Geschwindigkeit anpassen und mittig bleiben, um Luftströmungen zu kompensieren.
Diese Werte sind teilweise Empfehlungen, doch Gerichte verweisen bei Unfällen regelmässig auf den „objektiv nötigen“ Abstand, wenn besondere Gefahren offensichtlich waren.
Einflussfaktoren: Wann noch mehr Abstand Pflicht wird
Verschiedene Faktoren machen es erforderlich, den gewohnten Abstand deutlich zu vergrössern:
- Besonders bei Nässe, Schnee oder Glätte verlängert sich der Bremsweg massiv – schon bei leichtem Regen reduziert sich die Reifenhaftung spürbar. In solchen Fällen sollten Sie den üblichen Abstand mindestens verdoppeln.
- Auch das Fahrzeuggewicht spielt eine Rolle: Wer mit schwerem Gepäck oder einem Anhänger unterwegs ist, muss ebenfalls mit längeren Bremswegen rechnen. Hier empfiehlt sich ein zusätzliches Sicherheitsplus von etwa 25 Prozent.
- Ein oft unterschätzter Faktor ist die Ablenkung – sei es durch das Smartphone, das Infotainmentsystem oder Müdigkeit. Studien zeigen, dass sich die Reaktionszeit durch Ablenkung oder Übermüdung um über 50 Prozent verlängern kann. In solchen Situationen reicht der normale Sicherheitsabstand oft nicht aus. Wer also merkt, dass die Konzentration nachlässt, sollte nicht nur langsamer fahren, sondern auch mehr Abstand lassen.
- Auch das Gelände wirkt sich aus: Auf Gefällstrecken verlängert sich der Bremsweg, weil das Fahrzeug zusätzlich durch die Hangabtriebskraft beschleunigt wird. Hier ist es sinnvoll, frühzeitig herunterzuschalten und mit der Motorbremse zu arbeiten. Gleichzeitig sollte der Abstand zum Vorausfahrenden noch grosszügiger gewählt werden.
Praxis‑Check: So kontrollieren Sie Ihren Abstand
Zwei‑Sekunden‑Regel üben: Wählen Sie bewusst markante Punkte und zählen Sie laut im Kopf – das schärft das Gefühl.
- Marker auf der Autobahn: Die weissen Seitenpfosten stehen 50 m auseinander. Zwei Pfosten Abstand bei Tempo 100 bedeuten knapp 1 Sekunde – also zu wenig!
- Display nutzen: Viele Fahrzeuge zeigen den Abstand in Metern oder Sekunden an. Stellen Sie eine Warnschwelle ein (z. B. 1,9 s).
- Adaptiver Tempomat (ACC): Stellen Sie die grösste Stufe ein, wenn Sicht schlecht oder Verkehr dicht ist.
Konsequenzen bei zu geringem Abstand
Wer mit zu wenig Abstand unterwegs ist, riskiert nicht nur Auffahrunfälle, sondern auch empfindliche rechtliche Konsequenzen. Bereits ein leichter Verstoss kann zu einer Busse von mindestens 140 Franken führen. Wird der Mindestabstand erheblich unterschritten – etwa unter 0,6 Sekunden – droht ein Führerausweisentzug und eine Anzeige wegen grober Verkehrsregelverletzung.
Im Falle eines Unfalls tragen Sie als Auffahrender in der Regel die volle Verantwortung. Versicherungen können bei Grobfahrlässigkeit Leistungen kürzen oder Rückforderungen stellen. Auch die Einstufung bei der Haftpflichtversicherung kann negativ beeinflusst werden – was sich in höheren Prämien niederschlägt.
Spezialfälle – Stau, Baustelle, Innerorts
Bei Stau ist es besonders wichtig, frühzeitig zu reagieren. Schalten Sie rechtzeitig die Warnblinker ein und halten Sie zum Stauende mindestens 100 bis 150 Meter Abstand. Das verschafft dem nachfolgenden Verkehr mehr Zeit, ebenfalls zu bremsen.
Baustellen erfordern besondere Vorsicht. Hier ist die Fahrbahn oft verengt, es gibt kaum Fluchtwege, und es kann zu abruptem Abbremsen kommen. Verdoppeln Sie in solchen Situationen die Zwei‑Sekunden‑Regel und fahren Sie mit erhöhter Aufmerksamkeit.
Auch innerorts ist der Abstand entscheidend. Besonders in Wohngebieten oder bei Schulwegen ist jederzeit mit spielenden Kindern oder plötzlich öffnenden Türen zu rechnen. Ein Sicherheitsabstand von mindestens drei Sekunden bei 30 bis 50 km/h hilft, auch hier auf unvorhersehbare Situationen reagieren zu können.
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