„Giftalarm“: Psyche spielte Pöstlern einen Streich

Eine verdächtige aussehende Substanz taucht im Postverteilzentrum Mülligen auf. Anschliessend klagen 34 Personen über vermeintliche Vergiftungssymptome und lösen einen Grosseinsatz der Rettungskräfte aus. Schlussendlich stellt sich die Substanz jedoch als harmlos heraus (vermutlich war es Stärke). Der Fall zeigt eindrucksvoll, welche Wirkung die Macht der Suggestion auf Menschen haben kann.

Placebo-Effekt nennen es Mediziner, wenn sich Menschen nach Einnahme eines wirkstofffreien Präparats besser fühlen, nur weil sie dem Stoff positive Wirkungen zuschreiben. Bei negativen Reaktionen wird hingegen vom Nocebo-Effekt gesprochen.

Menschen fühlen sich nach Verabreichung eines wirkstofffreien Präparats plötzlich krank, weil sie eine schädliche Wirkung erwarten. Typische Symptome sind Übelkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung oder Benommenheit. Das kann bis hin zur Ausprägung körperlicher Symptome wie Hautausschlag, erhöhter Blutdruck oder erhöhte Herzfrequenz gehen.

Die betroffenen 34 Mitarbeiter des Postverteilzentrums Mülligen wurden offenbar Opfer ähnlicher psychischer Mechanismen. Auch sie klagten nach dem Auftauchen der ungefährlichen, aber verdächtig wirkenden Substanz beispielsweise über Kopfweh und Husten – wobei sie diese Symptome fälschlich als Folge einer Vergiftung deuteten.

Wer Symptome sucht, wird sie oft finden…

Die Psychologin Dr. Gaby Bleichhardt, Expertin für somatoforme Störungen und Hypochondrie an der Universität Marburg in Deutschland, erklärte gegenüber dem Tages-Anzeiger, wie es zu solchen Wirkungen kommen kann. „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich Gift eingeatmet habe, was die Postangestellten ja annehmen mussten, fange ich an, in meinen Körper nach Symptomen zu suchen.“ „Aufmerksamkeitsfokussierung“ und „dysfunktionale Bewertung“ nennen dies Psychologen.

Aber auch der Faktor Angst spielt eine Rolle. So wird die auftretende Übelkeit fälschlich als Symptom von Vergiftung gedeutet, dabei ist sie nur Ausdruck der Angst. Ebenso sind Hustenanfälle erklärlich. „Wer glaubt, dass er etwas Gefährliches eingeatmet hat, wird alles tun, das wieder aus dem Körper zu kriegen“, erläutert die Psychologin. Der Auslöser für den Husten ist auch hier nicht die Substanz selbst, sondern die Sorge, sich vergiftet zu haben.

Diverse Faktoren kamen in diesem speziellen Fall verstärkend hinzu. Die Pöstler waren durch Ernstfall-Übungen für „verdächtige Sendungen“ sensibilisiert. Ausserdem lässt die Nachtschicht Menschen vermutlich dünnhäutiger als am Tage reagieren. Schliesslich gab der Grosseinsatz der Rettungskräfte den Personen das Gefühl, sich in einer bedrohlichen Situation zu befinden, was die Ausweitung zum Massenphänomen begünstigte.

Weil Menschen nun mal so funktionieren, wie sie funktionieren, ist wohl auch künftig mit derartigen Fällen von „falschem Alarm“ zu rechnen. Entsprechend sind solche Massenphänomene schwierig zu verhindern, wie Gaby Bleichhardt weiss. Ihr zufolge hilft allerdings manchmal schon wenig, um im akuten Fall die Situation zu entspannen. „Sich hinsetzen und einen heissen Tee mit Zucker trinken“ könne manchmal schon helfen.

 

Oberstes Bild: © Lightspring – shutterstock.com

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